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Klatschen verboten

Roman Garthoff27. Mai 2006

Blindenfußball in Berlin. Die vier weltbesten Teams treten am Freitag und Samstag (26./27.5.) beim International Blind Challenge Cup gegeneinander an.

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Vier Mannschaften treten beim "Blind Challenge Cup" gegeneinander anBild: DW

"Geh´ zur Bande Andy, das ist dein Ball - zur Bande Andy, schnell", brüllt Trainer Tony Larkin aufs Spielfeld. Andy, die Nr. 15, rennt an die Seite des Spielfelds und knallt gegen die gepolsterte Bande. Den Ball hat er nicht gekriegt. Den hat ihm sein spanischer Gegenspieler weggeschnappt. Prompt fällt das 1:0 für Spanien.

Tony Larkin ist sauer, weil Andy nicht rechtzeitig auf ihn gehört hat. Als Trainer der englischen Nationalmannschaft hilft Tony seinen Jungs auch bei der Orientierung auf dem tennisplatzgroßen Spielfeld. Er schreit ihnen zu, ob sie nach links, nach rechts oder geradeaus laufen müssen.

Wo ist der Ball?

Den Ball können die Spieler hören, weil er im Innern Rasseln hat. Und damit nicht alle gleichzeitig auf den Ball zustürmen, gibts eine klare Regel: "Die Spieler hören ja, wenn jemand mit dem Ball auf sie zukommt. Dann müssen sie ganz laut "voy" rufen, damit der Gegenspieler weiß: Da ist ein Abwehrspieler, der will mir den Ball wegnehmen", erklärt Tony.

Das Spiel England gegen Spanien läuft jetzt 18 Minuten. Insgesamt werden 50 Minuten gespielt. Es steht immer noch 1:0 für die Spanier. Tony fordert ein "Time out" und holt seine vier Spieler zu sich an den Spielfeldrand. "Was macht ihr denn da? Jetzt konzentriert euch doch mal. Dave, du sollst auf deiner Seite bleiben."

Dave ist sauer über den Anranzer seines Trainers. Wütend will er die Wasserflasche auf den Rasen schleudern, trifft aber den Trainer. Der nimmt´s gelassen, war ja nicht mit Absicht.

Danach läuft es für die Engländer besser. Nach einem Foul der Spanier bekommen sie ein "Neunmeter" - das was beim "Fußball der Sehenden" ein Elfmeter ist. Lee soll schießen. Der Schiedsrichter führt in an seinen Platz. Lee konzentriert sich, denn er muss jetzt ganz genau hinhören.

Der Pfostenklopfer Hinterm gegnerischen Tor steht ein Kommandogeber. Erst klopft er gegen den rechten Pfosten, dann gegen den linken. Dadurch bekommt Liam eine räumliche Vorstellung von der Breite und Entfernung des Tores. Dann ruft der Kommandogeber "Center, Center" - das heißt, der Torwart steht in der Mitte. Jetzt weiß Lee alles, was er wissen muss. Er nimmt Anlauf, schießt - aber der spanische Torwart hält.

Blindenfußball-Turnier am 26.5.06 in Berlin
Anlauf für den "Neunmeter"Bild: DW

Er hat den Ball kommen sehen, denn die Keeper sind neben den Kommandogebern die einzigen auf dem Spielfeld, die nicht blind sind. "Das mag erstmal unfair aussehen - ist es aber nicht. Denn wenn ein Blinder aufs Tor schießt, kann man als Torwart überhaupt nicht ahnen, wo der Ball hingeht", sagt Turnierleiter Thomas Drobisch. "Und außerdem sind dem Torwart dafür andere Beschränkungen auferlegt. Er darf sich nur in einem kleinen Viereck vor seinem Tor bewegen, und er darf nur seine Hände benutzen, um den Ball zu halten."

Nicht alle Spieler sind vollkommen blind. Einige haben noch eine Restsehkraft. Deshalb müssen sie eine Augenbinde tragen, wegen der Chancengleichheit.

"Man geht fairer miteinander um"

Was auf dem Spielfeld passiert, sieht auf den ersten Blick brutal aus. Die Spieler rennen ineinander, grätschen sich in die Knie, aber nur sehr selten verletzt sich jemand dabei. Turnierleiter Thomas Drobisch erklärt das so: Die Verletzungsgefahr ist nicht höher als bei sehenden Spielern. Aber der Körperkontakt ist anders", sagt Drobisch. "Ich habe das Gefühl, man geht fairer miteinander um. Der Körperkontakt ist vielmehr ein Abtasten, um herauszufinden: was kann ich tun, um den Gegner auszuspielen."

Die Spanier beherrschen das besonders gut. Die Mannschaft ist mehrmaliger Europameister. Noch besser sind die Brasilianer. Bei den letzten Paralympics 2004 in Athen sind sie Weltmeister geworden.

Erst klatschen, wenn das Spiel vorbei ist

Aber auch die Engländer haben einige Erfolge vorzuweisen. Beim Blind Challenge Cup in Berlin spielen sie allerdings mit der Nachwuchsmannschaft. "Die sind noch lange nicht so gut, wie sie sein sollten, aber hier in Berlin können die Jungs noch 'ne Menge lernen", sagt Trainer Larkin. "Die Pässe klappen aber schon ganz gut", freut er sich, als Dave den Ball zu seinem Teamkollegen Lee abspielt und aufs Tor feuert.

Blindenfußball-Turnier am 26.5.06 in Berlin
Feines Gehör: die Spieler hören aufs Rasseln im BallBild: DW

Dafür gibt’s Applaus vom Publikum. Prompt poltert die Stimme des Turnierleiters aus dem Lautsprecher: "Liebe Zuschauer, ich kann verstehen, dass sie begeistert sind, aber klatschen Sie bitte erst wenn das Spiel vorbei ist." Dieser Rüffel hat seinen Grund. Jedes Geräusch, das nicht vom Spielfeld kommt, lenkt die Spieler ab.

Sie müssen sich auf ihre Teamkollegen konzentrieren. Jeder muss die Stimmen der anderen drei Spieler aus der Geräuschkulisse auf dem Spielfeld heraushören. " Alle Spieler müssen miteinander in Kontakt stehen, und natürlich mit dem Trainer, die Verständigung muss äußerst präzise sein", sagt Tony Larkin. " Darauf kommt's beim Blindenfußball an". Und er gibt zu, dass das bei den Spaniern besser klappt.

Noch nicht gut genug

Eigentlich sollten auch die Deutschen beim ersten "Blind Challenge Cup" in Berlin mitspielen. So hatten es zumindest die Veranstalter - der Blinden- und Sehbehindertenverband und der Sozialverband Deutschland - geplant. Doch die deutsche Mannschaft ist eigentlich noch gar keine richtige Mannschaft. In der vergangenen Woche haben sich die Spieler das erste Mal zu einem Workshop in Berlin getroffen. Viele wussten vorher noch gar nicht, dass es Blindenfußball überhaupt gibt.

Unter Anleitung eines englischen Trainers haben sie die Regeln des Blindenfußballs gelernt. Eine der deutschen Fußballerinnen ist Susanne Klausing. Sie steht am Spielfeldrand und hört sich das Spiel England gegen Spanien an. "Unsere Mannschaft ist einfach noch zu unerfahren, um gegen die Weltbesten zu spielen", sagt sie. "Aber wir haben den Engländern schon angedroht: In zwei Jahren sollen sie Angst vor uns haben, dann putzen wir sie weg."

"Das lerne ich auch noch"

Aber einmal dürfen auch die Deutschen kurz aufs Spielfeld. In der Halbzeitpause zeigen sie, was sie im Workshop gelernt haben. Manchmal vergisst Susanne noch das "voy" und prallt gegen ihren Mitspieler. "Das lerne ich auch noch", sagt sie, und in zwei Jahren haben wir dann zwei Nationalmannschaften - für die Männer und die Frauen".

Auch in der zweiten Halbzeit können die Engländer ihren Rückstand gegen die Spanier nicht aufholen. Es bleibt beim 0 : 1. Doch die Spanier waren längst nicht die härtesten Gegner. Im nächsten Spiel müssen Tony Larkins Jungs gegen die Brasilianer antreten.