Ölprojekte in Afrika vor Gericht in Paris
9. Dezember 2022Mehr als eine Milliarde Barrel Öl und Gas soll in den Reservoirs nahe des Albertsees im Westen Ugandas schlummern. Der französische Ölgigant TotalEnergies will diese Rohstoffquellen anzapfen - das ist das Tilenga-Projekt. Die fast 1500 Kilometer lange unterirdische Pipeline EACOP (East African Crude Oil Pipeline) soll das Ölfeld quer durch Tansania mit dem Indischen Ozean verbinden.
Das Unternehmen verspricht, die Erschließung der Ölfelder brächte Zehntausende neue Arbeitsplätze in Ostafrika. Doch die Auswirkungen auf Umwelt und Menschen sind umstritten. Dutzende der 400 Bohrungen liegen im Murchison-Falls-Nationalpark, benannt nach den gleichnamigen Wasserfällen. Anwohner müssen umgesiedelt werden, aber Betroffene klagen, dass sie vergeblich auf Entschädigungen warten.
Vier ugandische und zwei französische Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen versuchen darum, das Tilenga-Projekt zu stoppen. Derzeit wird vor einem französischen Gericht ihre Klage gegen TotalEnergies verhandelt.
Die Pläne des Konzerns "gefährden das Pariser Klimaabkommen von 2015 und das Überleben der Menschheit", sagte Louis Cofflard, einer der Anwälte der Kläger, während der ersten Anhörung in Paris. "Das Projekt stürzt zahlreiche Familien in Armut - wir fordern, dass es sofort gestoppt wird."
Gesetz nimmt Unternehmen in die Pflicht
Die Kläger berufen sich auf ein französisches Gesetz aus dem Jahr 2017, dem ersten dieser Art weltweit. Es besagt, dass multinationale Unternehmen mit Hauptsitz in Frankreich einer sogenannten Sorgfaltsprüfungspflicht unterliegen. Wenn Tochtergesellschaften in anderen Ländern aktiv sind, muss der Mutterkonzern eine Strategie erstellen und dokumentieren, welche Auswirkungen die Projekte auf die Umwelt, die lokale Bevölkerung und die Menschenrechte haben. Negative Folgen müssen angemessen kompensiert werden. Versäumt das Unternehmen das, muss es gegebenenfalls Schadensersatz zahlen oder Projekte aussetzen.
TotalEnergies hat einen solchen Plan erstellt, aber nach Ansicht der Kläger ist er nicht detailliert genug und enthält auch nicht die erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen.
Das Unternehmen weist diese Vorwürfe zurück. "Die Kläger haben eine maximalistische Sichtweise", argumentierte Ophélia Claude, Anwältin von TotalEnergies, vor Gericht. Keines der Strategiepapiere werde "jemals in der Lage sein, ihre Forderungen zu erfüllen". Nach Aussage der Anwältin ist es kontraproduktiv, zu viele Informationen in die Pläne aufzunehmen. "Unternehmen, nicht Richter, sollten entscheiden, welche Maßnahmen erforderlich sind."
Keine Entschädigung erhalten
Doch die Menschen in Uganda, die das Projekt in Mitleidenschaft zieht, sind unzufrieden. Geoffrey Byakagaba erzählt der DW, die Situation sei "überhaupt nicht gut".
Der 44-Jährige baute früher im Dorf Kasenyi zusammen mit zwei Geschwistern und seiner Mutter auf neun Hektar Land Maniok, Mais und Süßkartoffeln an - dort, wo erste Vorbereitungen für den Bau der zentralen Ölverarbeitungsanlage des Projekts begonnen haben.
"2017 hatten wir uns für die von TotalEnergies angebotene Option 'Land für Land' entschieden. Für das Geld, das sie uns alternativ gegeben hätten, hätten wir keine gleichwertige Fläche kaufen können", sagt Byakagaba. "Aber bisher haben wir kein Land im Tausch bekommen. Ich musste woanders einen Hektar pachten, um wenigstens etwas Gemüse anbauen zu können."
Er habe Probleme, seine Familie zu ernähren und die Schulgebühren für seine neun Kinder zu bezahlen, sagt Byakagaba. Er selbst könne sich trotz gesundheitlicher Probleme die Behandlung in einem spezialisierten Krankenhaus nicht leisten, sondern gehe in eine preiswertere Klinik.
Die Geschichte von Byakagaba ist kein Einzelfall, betont Dickens Kamugisha, Direktor der in Uganda ansässigen Organisation AFIEGO (Africa Institute for Energy Governance). Das sei einer der Gründe, warum die Gruppe zu den Klägern im Pariser Verfahren gehört. AFIEGO setzt sich für eine nachhaltige Energiepolitik ein, von der auch die ärmere Bevölkerung profitiert.
"Mehr als 100.000 Menschen werden vertrieben und Zehntausende haben weder Entschädigungszahlungen noch Land erhalten", kritisiert Dickens Kamugisha. Er befürchtet, dies könne erst der Anfang sein. "Nationalparks und Waldreservate werden angegriffen. Seen, Flüsse und Feuchtgebiete werden in Mitleidenschaft gezogen. Wir werden noch viel mehr Problemen bekommen."
TotalEnergies geht auf einige dieser Punkte in seiner Strategie zur Sorgfaltspflicht ein. Das Unternehmen schreibt, mehr als 700 Haushalten, die ungefähr 5000 Personen umfassen, sei ein Angebot gemacht worden, Land gegen Land zu tauschen. Es behauptet auch, das Projekt werde die Biodiversität positiv beeinflussen, zum Beispiel durch die Wiederansiedelung von Nashörnern in einigen Gebieten.
TotalEnergies gibt sich gelassen
Vor Gericht konzentrierten sich die Anwälte von TotalEnergies auf Formalitäten. Sie beantragten, die Klage aus verfahrensrechtlichen Gründen für unzulässig zu erklären.
"Die Kläger versuchen hartnäckig, mit diesem Fall ein Exempel zu statuieren. Trotz der Wut und des Aufhebens um die Sache geht TotalEnergies diesen Fall mit Gelassenheit an", sagte ein anderer Anwalt des Unternehmens, Antonin Lévy. "Wir sollten uns auf das Wesentliche konzentrieren, nämlich auf den Zuständigkeitsbereich des Richters."
Kamalia Mehtiyeva, Juraprofessorin an der Universität Paris-Est Créteil sagt, dass andere internationale Konzerne den Fall wohl kaum so gelassen beobachten. "Zum ersten Mal entscheiden nationale Richter in einem Land über einen Schadensersatzfall, bei dem es um potenzielle Schäden im Ausland aufgrund der Sorgfaltsprüfungspflicht geht - das könnte ein Präzedenzfall werden", sagte sie zur DW.
"Das Gesetz ist ein echtes wirtschaftliches Risiko für multinationale Unternehmen, da sie ihre Aktivitäten aussetzen müssen, wenn es keine angemessene Überwachung gibt", fügte Mehtiyeva hinzu. Außerdem könnten Richter so lange eine tägliche Strafe verhängen, bis die Strategie aktualisiert ist.
Für Kamugisha von AFIEGO ist das Gerichtsverfahren ein Hoffnungsschimmer. Um Teile des Öl- und Gasprojekts zu stoppen, hat die Organisation die Angelegenheit schon vor ugandische Gerichte und den Ostafrikanischen Gerichtshof gebracht, dem Justizorgan der Ostafrikanischen Gemeinschaft. "Bislang haben wir vor ugandischen und regionalen Gerichten keine Gerechtigkeit erfahren. Deshalb haben wir beschlossen, den Fall nach Frankreich zu bringen, einer entwickelten Demokratie", so Kamugisha. "Wir hoffen, dass der Prozess in Frankreich Gerechtigkeit schaffen kann."
Die Entscheidung des Pariser Gerichts wird für den 28. Februar erwartet.
Aus dem Englischen adaptiert von Uta Steinwehr.