1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Kinder! macht Neues!"

Dieter David Scholz7. November 2001

125 Jahre Bayreuther Festspiele - 50 Jahre Neubayreuth

https://p.dw.com/p/1LI8

Folge 5: Die Stunde der Schwiegerstunde
1930 sterben Cosima und Siegfried Wagner. Seine Gattin Winifred wird Chefin am Grünen Hügel.

Am Ende der Ära Siegfrieds, Richard Wagners Sohn, erlebten die Bayreuther Festspiele ihren bis dahin größten künstlerischen Erfolg, nicht zuletzt wegen des überragenden Dirigats Arturo Toscaninis. .

Arturo Toscaninis "Tannhäuser"- und "Tristan"-Dirigate im Jahre 1931 waren der eindeutige Höhepunkt der Bayreuther Festspielgeschichte im ersten Drittel des zwanzigsten Jahr-hunderts. Siegfried Wagner hatte kurz vor seinem Tod Toscanini noch eingeladen, am Grünen Hügel allen Konservativen und Nationalisten zum Trotz, zu dirigieren. Er beeindruckte mit einer aufrüttelnd neuen, kristall-klaren und von allem Bayreuther Traditionspathos entstaubten Wagnerlesart aus dem Geist der Moderne. Dass kaum ein Jahr nach Siegfrieds frühem Tod im Jahre 1930 seine Witwe Winifred, die sich sofort zur engagierten Festspielleiterin mauserte, ausgerechnet Toscanini verlieren sollte, den damals wohl gefeiertsten Dirigenten der Welt, gehörte zu ihren größten Misserfolgen. Winifred, die zwar testamentarisch alle Macht in Bayreuth in Händen hielt, wie schon vor ihr Cosima, verfügte allerdings weder über Kenntnisse aus des Meisters erster Hand, noch über fachliche Kompetenz. Sie war gezwungen, sich sofort nach Siegfrieds Tod Berater zur Seite zu nehmen. Zu ihrer rechten Hand wählte sie als künstlerischen Leiter und Regisseur den Berliner General-intendanten und Dirigenten Heinz Tietjen, der als Theater-mann eine unantastbare Autorität war, als Zeitgenosse und Persönlichkeit jedoch den Ruf eines schillernden Intriganten genoss. Als sie gar noch mit Hitler paktierte, der 1933 an die Macht kam, weigerte sich Toscanini, jemals wieder den Fuß nach Bayreuth zu setzen. Sein Abschied von Bayreuth war verbittert. An Winifred schrieb er:

"Ich verlasse Bayreuth, angewidert und erbittert. Ich kam dorthin mit dem Gefühl, mich einem wahren Heiligtum zu nähern und ich verließ ein banales Theater."

Winifred Wagner konnte sich mit dem Verlust des Dirigenten Arturo Toscanini nie abfinden. Sie unternahm viel, ihn zurückzugewinnen, umsonst. Der Imageverlust, den bedeutendsten Dirigenten in Bayreuth nicht halten zu können, war groß. Ihre Gegner triumphierten. Sie hatte es übrigens nie einfach gehabt in Bayreuth: schon als junge Braut muss ihr Wahnfried furchterregend vorgekommen sein. Die Wagner-Villa war ein Museum, in dem kein Stuhl verrückt werden durfte, alles stand so wie zu des Meisters Ableben. Das Leben darin folgte einem strengen Ritual. Cosima, die Wagner-Witwe wurde verehrt wie eine Reliquie. Auch die übrigen im Hause Wahnfried lebenden Familienangehörigen machten ihr seit Jahren das Leben schwer.

Franz Völker war einer der besten Wagnertenöre der Dreißiger- und Vierzigerjahre und eine Zierde der Bayreuther Festspiele in der Ära Winifreds, die sich in Adolf Hitler gewissermaßen einen Lohengrin erhoffte, eine Art Lichtgestalt und Beschützer Bayreuths.

Erstmals kam Hitler am 30. September 1923 nach Bayreuth. Bereits am nächsten Tag besuchte er den Kulturphilosophen und Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain, der mit einer der Töchter Cosimas verheiratet war. Durch dessen Vermittlung wurde ihm bereits am darauffolgenden Tag Audienz bei Winifred Wagner gewährt. Winifred Wagner war begeistert von Adolf Hitler.

"Seine Persönlichkeit hat wie auf jeden, der mit ihm in Berüh-rung kommt, auch auf uns einen tiefen, ergreifenden Eindruck gemacht, und wir haben begriffen, wie ein solch schlichter, körperlich zarter Mensch eine solche Macht auszuüben fähig ist."

Die Allianz Bayreuth - Hitler war geschlossen. Ein Triumph Hitlers und der Wagnerfamilie. Winifred Wagner machte sich ganz bewusst zum Steigbügelhalter für Hitler und den Nationalsozialismus. Mit seiner Machtübernahme 1933 erfüllte sich ihr persönlicher Wunsch.

Alljährlich während der Festspielzeit weilte Adolf Hitler in Bayreuth, von 1933 bis 1939 jeden Sommer. Ab 1936 wohnte er sogar als Winifreds Gast in der Villa Wahnfried. Der persönliche Kontakt zwischen Winifred und Hitler intensivierte sich. Es ist erlaubt, in Winifreds persönlicher Beziehung zu Adolf Hitler mehr als nur geschäftliches Kalkül zu sehen.

Neben der rein taktischen Überlegung, durch den Schulterschluss mit- Bayreuth bürgerliche Reputation zu erlangen, war Hitler zweifellos beseelt von einer inbrünstigen Wagner-Schwärmerei. Hitler hatte gegenüber Wagner eine äußerst selektive Wahrnehmung an den Tag gelegt. Wie noch heute viele konservative Wagnerianer, so sah auch Hitler in Wagner nur den schwülstig-bombastischen Verherrlicher eines Teutonentums, den erhebenden Instrumentator des altgermanischen Mythos, den musiktheatralischen Illustrator der mittelalterlichen Sage. Welches Missverständnis!

Durch die Wagnerverehrung Hitlers, die übrigens keineswegs von vielen Nationalsozialisten geteilt wurde, blieb Bayreuth immerhin vor der Gleichschaltung bewahrt, der ansonsten nahezu alle Kultureinrichtungen ausgeliefert waren. Winifred konnte künstlerisch und personell nach Belieben schalten und walten. Sogar den genialen Bühnenbildner Emil Preetorius, ein Protegé Bruno Walters und enger Thomas Mann-Freund, der ein aktives, kämpferisches Mitglied des "Vereins zur Abwehr des Antisemitismus" war, und den Nazis verhasst, konnte sie in Bayreuth halten. Seine Dekorationen des "Rings", des "Lohengrin" und des "Tristan" gehören zu den bedeutendsten der Bayreuther Festspielgeschichte.

So erfolgreich die Ausstattungen und Inszenierungen Bayreuths unter der Leitung Winifred Wagners ausfielen, so schwierig war das Dirigentenproblem zu lösen. Nach dem Weggang Toscaninis, ließ auch Furtwängler Winifred zunächst im Stich, bevor ihn Hitler als seinen Lieblingsdirigenten 1936 zurück ans Bayreuther Pult holte. Nur Victor de Sabata war als einziger ausländischer Dirigent und nur einmal, 1939, bereit, in Bayreuth aufzutreten. Die meisten der bedeutenden Dirigenten hatten Deutschland verlassen, waren ins Exil geflohen oder aus dem Land gejagt worden von den Nationalsozialisten: Sogar so Prominente wie Bruno Walter, Fritz Busch, Otto Klemperer, Leo Blech und Erich Kleiber. Zu schweigen von den Legionen der weniger bekannten, gleichwohl hochbegabten Künstler. Die Nazifizierung Deutschlands bedeutete auch für Bayreuth einen unabsehbaren künstleri-schen Kahlschlag. Man musste sich fortan mit Mittelmaß bescheiden: Tietjen wurde Chefdirigent, ihm assistierten Karl Elmendorff und Franz von Hoeßlin, beide Nazitreue und Bayreuthergebene Kapellmeister.

Zwar säumten damals Hakenkreuzfahnen, NS-Statisten und -Truppen die Bayreuther Auffahrt zum Grünen Hügel, aber auf der Festspielbühne verbot Winifred jedes Parteiabzeichen, jedes Hakenkreuz, und auch das Singen des Horst-Wessel-Liedes, der heimlichen Nationalhymne der Nationalsozialisten, die ansonsten landauf, landab in den Opernhäusern und Konzertsälen gesungen wurde, selbst ein Herbert von Karajan scheute davor nicht zurück.

Anders, wie gesagt, in Bayreuth! Es blieb künstlerisch autonom und sonnte sich trotz der ge-nannten Dirigentenprobleme in beispiellosem Ruhme. Vor allem sängerisch bot es trotz Ab-wanderung und Flucht von vielen bedeutenden Sängern noch immer Hochkarätiges. Einer der besten Wotan-Sänger war Rudolf Bockelmann. Rudolf Bockelmann war - neben Josef von Manowarda und im Gegensatz zu diesem kein Nazi - einer der beiden führenden Wagnerbäs-se Bayreuths im Dritten Reich. Dass Winifred Wagner das sängerische Niveau Bayreuths hochhalten konnte, gehört ebenso zu ihren unbestreitbaren Verdiensten, wie die Öffnung des Bayreuther Wagnerarchivs für objektive Wagnerforschung, auch wenn der 1932 eingestellte Otto Strobel dafür nicht eben der unbestechlichste Mann war. Das größte Verdienst Winifreds und ihres Teams Tietjen und Pretorius, war es vor allem, Bayreuth endgültig aus dem Geist und der Bühnenästhetik des neunzehnten Jahrhunderts be-freit und es ins zwanzigste hineingestoßen zu haben.

Dass ihr Paktieren mit Hitler indes den Anfang vom Ende der so einzigartigen Bayreuther Festspiele bilden sollte, daß sie die nationalsozialistische Unterwanderung der Bayreuther Festspiele ermöglichte, indem sie dem Hitlerschen ideologischen Missbrauch Bayreuths und Wagners Tür und Tor geöffnet hatte, begriff sie ebenso wenig wie Wotan seinen Triumph am Ende des "Rheingolds", ein Triumph, der schon den Keim des Untergangs in sich trägt, wie er dann in der Götterdämmerung Ereignis wird. 1937 dirigierte Wilhelm Furtwängler in Bayreuth eine glanzvolle "Götterdämmerung", in der die unvergleichbare Sängerin Frieda Leider noch einmal die Brünnhilde sang, es war ihr vorletztes Jahr in Bayreuth. Auch sie wurde von den Nationalsozialisten aus dem Land getrieben.