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Kelly-Affäre im Theater

Hana Goodhart, dpa10. November 2003

Noch bevor der Abschlussbericht zur britischen Kelly-Affäre vorliegt, hat ein Londoner Theater den Verlauf der gerichtlichen Untersuchung auf die Bühne gebracht. Eine Renaissance des politischen Theaters?

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Der Tod des Waffenexperten Kelly auf der BühneBild: AP

"Justifying War" heißt Richard Norton-Taylors Drama, das den Tod des angesehenen Waffenexperten David Kelly und die darauffolgende gerichtliche Untersuchung auf der Bühne im Trycicle Theatre, London, zeigt. Grundlage des Zweieinhalb-Stunden-Stücks sind die Gerichtsprotokolle in wortgetreuer Authentizität. Regie führt Theaterleiter Nicholas Kent.

Theater = Sprachrohr und Informationsquelle?

Logo Tricycle Theatre in London

Die Besonderheit des Stücks liegt nicht nur in der Schnelligkeit, mit dem ein Theater auf ein aktuelles Thema reagiert. Außergewöhnlich ist auch der Anspruch, die Ereignisse präzise zu dokumentieren. Kent erklärte in einem Interview, das Stück wolle so viele Menschen wie möglich am Verlauf der Untersuchung, bei der weder Radio- noch Fernseh-Aufnahmen zugelassen waren, teilhaben lassen.

Die Untersuchung von Lordrichter Hutton sollte die näheren Umstände aufklären, unter denen sich der Waffenexperte und Angestellte des britischen Außenministeriums, David Kelly, das Leben nahm. Der Wissenschaftler war die Quelle für einen BBC-Bericht, wonach die Regierung unter Tony Blair die von Saddam Husseins vermeintlichen Massenvernichtungswaffen ausgehenden Gefahren absichtlich aufgebauscht haben soll. Die Kelly-Affäre führte zu einer tiefen Regierungskrise in Großbritannien.

Theater = Realität?

Autor Norton-Taylor erklärte im linksliberalen "Guardian", für den er auch als Journalist arbeitet, sein Stück "Justifiying War" solle vor allem zu einem größeren Verständnis dafür führen, "wie wir regiert werden". Die Hutton-Untersuchung habe einen Einblick in den britischen Regierungsapparat gegeben wie nie zuvor. In seinem Stück beschränkt sich die Handlung auf der Bühne auf ein Minimum: "Es kommt nur auf die Worte an." Größtmögliche Realitätsnähe und Plausibilität seien dabei angestrebt worden.

Einige Schauspieler haben sogar als Zuschauer an den Befragungen teilgenommen, um den von ihnen verkörperten Charakteren möglichst nahe zu kommen. Zu den mehr als 70 vor dem Hutton-Ausschuss vernommenen Zeugen, die auch in dem Drama dargestellt werden, gehören Verteidigungsminister Geoff Hoon, Kellys Witwe Janice und der mittlerweile von seinem Amt zurückgetretene Vertraute Blairs und dessen Kommunikationschef Alastair Campbell.

Theater = Geschichtsdokumentation?

Richard Norton-Taylor
Richard Norton-TaylorBild: AP

"Justifying War" ist nicht die erste Kooperation von Kent und Norton-Taylor. Die Reihe der von den beiden gemeinsam realisierten Gerichtssaal-Dramen umfasst unter anderem ein Stück über die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse und eines über das UN-Tribunal zum von der serbischen Armee verübten Mord an 7000 moslemischen Männern. Norton-Taylor sagte zum Publikumserfolg dieser Stücke, es sei, als ob das Publikum förmlich nach Theater mit aktuellem Zeitbezug und politischer Relevanz hungern würde.