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Abstimmung in Katalonien: Illegal, aber wegweisend

Marcus Lütticke9. November 2014

Obgleich die spanische Regierung das Referendum verboten hat, haben sich die Katalanen nicht davon abbringen lassen, über ihre Unabhängigkeit abzustimmen. Die wirtschaftliche Schwäche Spaniens beflügelt die Separatisten.

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Flagge von Katalonien (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/A.Gea

Wenn vor einem Fußball-Länderspiel die spanische Nationalhymne ertönt, bleibt es auf den Rängen meist ruhig. Die Fans im Stadion stimmen allenfalls ein "La la la" zur Melodie der Hymne an. Das liegt daran, dass die spanische Hymne keinen offiziellen Text hat. Spanien ist ein Land mit mehreren großen, sehr unterschiedlichen Volksgruppen, die - meist neben dem Spanischen - jeweils ihre eigene Sprache sprechen.

Sprache und Kultur spielen auch für das Unabhängigkeitsstreben der Katalanen eine wichtige Rolle. Katalanisch ist zwar schon jetzt neben Spanisch offizielle Amtssprache in der autonomen Region im Nordosten des Landes, und die meisten Menschen sind zweisprachig. Auch in den Schulen werden beide Sprachen unterrichtet und sie dürfen gleichberechtigt in der öffentlichen Verwaltung benutzt werden. Trotzdem fühlen sich viele Katalanen sprachlich und kulturell vom restlichen Spanien nicht genügend gewürdigt - und wollen eigenständig sein.

"Ich würde lieber ein Katalane erster Klasse sein, als ein Spanier dritter Klasse", sagt Marc-Ignasi Corral-Baqués, ein 49-jähriger katalanischer Arzt. "Die spanische Regierung behandelt uns nicht gleich. Sie respektiert unsere Kultur nicht. Stierkämpfe und Flamenco gehören nicht zu meiner Kultur. Das ist Spanien, aber das sind nicht wir."

Inoffiziell und nicht bindend

Bei der Abstimmung am Sonntag hatten die Menschen zwei Fragen auf ihrem Wahlschein: Möchten Sie, dass Katalonien ein Staat wird? Wenn ja, soll dieser Staat unabhängig sein?

Ergebnisse sollen an diesem Montag veröffentlicht werden. Rechtlich bindend ist das Votum aber keineswegs. Das spanische Verfassungsgericht hatte die Abstimmung nach einer Klage der spanischen Regierung sogar verboten. Schließlich erklärte Madrid, dass man die Abstimmung nicht verhindern werde. Ministerpräsident Mariano Rajoy bekräftigte jedoch, sie werde weder Gewicht noch Folgen haben.

Kataloniens Regierungschef Artur Mas bei der Stimmabgabe (Foto: Reuters)
Befürworter der Unabhängigkeit - Kataloniens Regierungschef Artur Mas bei der StimmabgabeBild: Reuters/P.Hanna

Selbst die katalanische Regionalregierung, die die Abstimmung vorangetrieben hatte, bezeichnete diese zuletzt als inoffiziell und nicht bindend. Zur Wahl gehen konnte jeder, ob er oder sie zur Stimmabgabe berechtigt ist, wurde nicht geprüft.

Bestrebungen für ein von Spanien unabhängiges Katalonien gibt es bereits seit Jahrzehnten. Die Franco-Diktatur unterdrückte nach 1939 den Gebrauch der katalanischen Sprache. 1979 erhielt die Provinz dann ein Autonomiestatut, das 2006 erweitert wurde. Die jetzige Volksbefragung war jedoch die erste ihrer Art. Um ein wirkliches Meinungsbild der Katalanen zu erhalten, ist die Wahlbeteiligung von entscheidender Bedeutung. Ist diese hoch und spricht sich eine Mehrheit für die Unabhängigkeit aus, hat die Regionalregierung gegenüber Madrid gute Argumente in der Hand.

Schwierige Mobilisierung

Geplant war ursprünglich ein offizielles Referendum mit einer ähnlich bindenden Wirkung wie die Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands im September. Doch dem machte die spanische Justiz einen Strich durch die Rechnung. "Wie will man die Menschen mobilisieren, wenn das Ergebnis der Abstimmung sowieso nicht bindend sein wird - die sagen dann doch, da habe ich was Besseres zu tun", sagt Enric Ucelay-Da Cal, Historiker an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona. Kritiker halten das Ergebnis darum auch für nicht repräsentativ: Sie werfen ein, dass vor allem die Gegner der Unabhängigkeit einfach zu Hause blieben. Drei Tage vor der Umfrage hatten daher Freiwillige begonnen, mit Hilfe von Telefonbüchern die Bevölkerung abzutelefonieren, sie zur Wahl zu ermutigen und eventuelle Fragen zu beantworten.

Wirtschaftliche Stärke als Motor

Es gibt viele Gründe für den Wunsch nach Unabhängigkeit und eine eigenständige kulturelle und sprachliche Identität spielen eine maßgebliche Rolle - nicht nur in Katalonien. Bemerkenswert ist aber, dass es fast immer wirtschaftlich starke Regionen sind, die nach Autonomie streben. Ob Katalonien, Südtirol und Venezien in Italien oder Flandern in Belgien: Alle sind sogenannte Bruttozahler innerhalb ihres Nationalstaates und subventionieren wirtschaftlich schwächere Regionen. Katalonien ist eine der wirtschaftlich stärksten Regionen Spaniens, das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner liegt mit 26.412 Euro etwa 4000 Euro über dem spanischen Durchschnitt. Katalonien wäre als eigenständiger Staat sogar Bruttozahler in der EU.

Kundgebung der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien (Foto: Reuters)
Kundgebung der UnabhängigkeitsbewegungBild: Reuters/Albert Gea

Ob ein unabhängiges Katalonien aber überhaupt EU-Mitglied werden dürfte, ist nicht gewiss. Wenn es sich von Spanien abspaltet, müsste es wohl die Neuaufnahme in die EU beantragen. Voraussetzung dafür ist, dass alle 28 EU-Mitglieder zustimmen - auch Spanien. Die Unabhängigkeit kann also nicht gegen Spanien und die EU durchgesetzt werden, sondern nur mit deren Zustimmung.

In Schottland waren die separatistischen Bestrebungen formal schon deutlich weiter gediehen, als im September 2014 das Referendum über die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich stattfand - mit offizieller Duldung der britischen Regierung in London. Schottland ist innerhalb Großbritanniens jedoch kein ausgesprochener Wirtschaftsmotor. Vielleicht kostete gerade dieser Umstand bei der Abstimmung die entscheidenden Stimmen. In einer Sache sind die Schotten den Katalanen jedoch trotz verlorener Abstimmung voraus: Sie haben eine eigene Fußballnationalmannschaft - und können dort ihre eigene Hymne vor jedem Länderspiel singen.

Unter Mitarbeit von Lauren Frayer, Barcelona.