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Glaube

Karsamstag

23. April 2021

Karsamstag ist der Tag des „Zwischen“, der Gottesfinsternis und der Leere. Aber vielleicht spiegelt der Karsamstag gerade deswegen in besonderer Weise unser Lebensgefühl wider und gibt Raum für neue Erkenntnis.

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Totaler Sonnenfinsternis in Südamerika
Bild: picture-alliance/AA/S. Brogca

 „Jeden Morgen neu, Herr, ist deine Treue“. Wohl kaum ein Wort aus dem Stundengebet ist so charakteristisch für den Karsamstag wie dieser Vers aus den Klageliedern des Propheten Jeremia. Das ist Hoffnung wider alle Hoffnung, verhalten aufschimmerndes Licht am Ende eines langen Tunnels. Der Karsamstag ist ein geheimnisvoller, scheinbar schwebender Tag, ein Tag des „Zwischen“, ein Brückentag zwischen Tod und Leben, zwischen abgrundtiefer Dunkelheit und langsam aufstrahlendem neuen Licht. Vor allem aber ist der Karsamstag der Tag der Gottesfinsternis, des „Todes“ Gottes. Es ist der Tag der Grabesruhe, des Schweigens, der Leere und des Nichts. Die Jünger haben alle ihre Hoffnungen mit Jesus begraben. Sie sind enttäuscht und verzweifelt. Nichts ist ihnen geblieben außer ihren Erinnerungen. Was ihnen Halt gab, ist nicht mehr. Sie zweifeln, sie klagen und sie weinen. Sie ziehen sich resigniert zurück und wenden sich wieder ihren Alltagsgeschäften zu.

Man könnte sich fragen: musste nicht Gott oder vielmehr das Bild, das die Menschen sich von ihm gemacht und in das hinein sie Jesus gepresst hatten, sterben, damit neues Leben werden und wachsen konnte? Manchmal braucht es Scherben und Trümmer, um durch zerstörte Häuser und Ruinen hindurch wieder neu den Blick auf den Himmel frei zu machen. Vielleicht sind das Schweigen und die scheinbare Leere des Karsamstags so etwas wie die Erwartungshaltung der ganzen Erde, auch die Erwartungshaltung der Kirche und die der Christinnen und Christen an diese. Sie erinnert an das Schweigen vor der Erschaffung der Welt (Gen 1,2). Alles wartet, dass Gott machtvoll handelt. Wir alle warten. Und nur allzu oft scheinbar vergeblich.

Vielleicht spiegelt der Karsamstag, der lange ein bloßes Schattendasein zwischen Karfreitag und Ostern führte, in ganz besonderer Weise das Lebensgefühl unserer Zeit. Friedrich Nietzsche hat es vor 150 Jahren so beschrieben: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!“ Und Hanns-Dieter Hüsch, der poetische Liedermacher vom Rhein, fügte dem 100 Jahre später hinzu: „Gott ist aus der Kirche ausgetreten“. Wir selbst haben ihn vertrieben. Und doch: mag er auch gestorben sein in den Herzen vieler Menschen, in den zerstörten Hoffnungen auf Erneuerung der Kirche, im vergeblichen Warten auf ehrliche Zeichen der Reue und Umkehr schuldig gewordener Bischöfe, Priester und Ordensleute. Er lebt weiter in der Sehnsucht nach dem unendlichen Geheimnis, in der Suche nach Sinn und nach dem letzten tragenden Grund unserer Existenz.

Gott ist nicht nur der immer ganz andere, der Unbegreifliche, sondern auch der oft gänzlich Abwesende – in der Welt und allzu oft eben auch in der Kirche. Dieser Deus absconditus aber ist es auch, den wir Menschen des 21. Jahrhunderts vielleicht brauchen, um - wie Papst Benedikt XVI. es einmal formulierte - „den Abgrund seiner Größe zu erfahren und den Abgrund unserer Nichtigkeit, der sich auftun würde, wenn er wirklich nicht wäre“.

Wo aber bleibt da die Hoffnung, die – wie das Sprichwort sagt – immer zuletzt stirbt? Wohl am ehesten dort, wo wir – trotz allem – daran festhalten, dass dieser unbegreifliche Gott den Weg durch die Abgründe unseres Lebens mit uns geht. Gertrud von le Fort hat das einst so ausgedrückt: „Auch die Nacht hat ihre Wunder. Es gibt Sterne, die nur am Horizont der Wüste erscheinen. Es gibt Erfahrungen der göttlichen Liebe, die nur in der äußersten Verlassenheit, ja, am Rande der Verzweiflung geschenkt werden. Und eben das ist jene äußerste Liebe, die sogar in ihren eigenen Entzug einwilligt, darin aber zugleich die größte Annäherung an Gott erreicht.“

Was also bleibt vom Karsamstag? Vielleicht die Erkenntnis, dass Tod, Resignation, Ohnmacht und Verzweiflung nicht das letzte Wort haben. Wenn das Alte nicht mehr ist und das Neue noch nicht da, wenn Abstieg und Aufstieg so ganz nah beieinanderliegen, dann dürfen wir vielleicht erfahren, dass alle Karsamstags-Erfahrungen unseres Lebens geheiligt sind.

 

 Rheingau Schwester Philippa Rath
Bild: privat

 Sr. Philippa Rath OSB ist Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen. Sie ist Theologin, Historikerin und Politikwissenschaftlerin und hat vor ihrem Klostereintritt in verschiedenen deutschen Medien gearbeitet. Im Kloster ist sie als Stiftungsvorstand verantwortlich für die Klosterstiftung Sankt Hildegard, für den Freundeskreis der Abtei sowie für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie befasst sich seit 25 Jahren mit Leben und Werk der heiligen Hildegard. In den Jahren 2011/12 war sie Postulatorin im Verfahren um die Heiligsprechung und Erhebung Hildegards von Bingen zur Kirchenlehrerin. Sie ist Delegierte des Synodalen Weges und Mitglied des Synodalforums „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“, sowie Herausgeberin des Buches „Weil Gott es so will – Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin“.