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Wie man Kanzlerkandidaten coacht

Torsten Landsberg
7. September 2021

Wie behält man die Kontrolle über den eigenen Wahlkampf? Der Politikberater Frank Stauss über fatale Fehler, vernünftige Wähler und Glaubwürdigkeit.

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Die Kanzlerkandidaten Armin Laschet, Annalena Baerbock und Olaf Scholz sind nebeneinander auf einem TV-Bildschirm zu sehen, über dem Gerät steht an einer Wand "Bundestagswahl".
Schwierige Wahl: "Ich muss mir die drei jetzt noch mal genauer angucken"Bild: SvenSimon/dpa/picture alliance

DW: Herr Stauss, von dem Humoristen Loriot ist dieser Satz überliefert: "Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen." Wie geräuschlos darf ein Wahlkampf sein?

Frank Stauss: Gerade das Plakat gehört in Deutschland zum Kulturgut, es hat eine wirklich lange Tradition. Für viele Menschen ist es tatsächlich das Signal: Hoppla, da steht offensichtlich eine Wahl vor der Tür. Auf der anderen Seite findet dieser Wahlkampf natürlich überall auch seine thematischen Tiefen, wenn man möchte. Wählerinnen und Wählern steht die Möglichkeit zu, sich wie noch nie zuvor in der Geschichte selbst zu informieren. Aber Begeisterung löst der Wahlkampf bislang nicht aus.

Viele Slogans wirken nichtssagend, dafür scheint sich die Personalisierung immer weiter zuzuspitzen.

Der Politikberater Frank Stauss sitzt auf einem Tisch vor einem Sofa und stützt das Kinn auf die Hand
Politikberater Frank StaussBild: Marlene Gawrisch

Die Personalisierung nimmt seit Jahren zu, das hat mit unserer zersplitterten medialen Landschaft zu tun - weil wir die Menschen auch gar nicht mehr so direkt erreichen, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Viele Menschen klinken sich aus dem politischen Diskurs oder zum Teil auch aus dem gesellschaftlichen Diskurs medial aus, einfach weil sie heute viel  mehr Möglichkeiten zur Zerstreuung haben. Das politische Wissen in der Gesellschaft nimmt tatsächlich ab und nicht zu. 

"Kontrollverlust, weil wir viel mehr Kanäle haben"

Macht diese Entwicklung die Arbeit des Politikberaters leichter, sprich: Geht es nur noch darum, meine Kandidatin oder meinen Kandidaten gut aussehen zu lassen, wenn ein Großteil der Gesellschaft sich für Inhalte eh wenig interessiert?

Es lastet natürlich mehr Verantwortung auf den Kandidaten. Wir erleben ja auch gerade, was es bedeutet, wenn die Kandidaten eben nicht funktionieren, also wenn sie nicht den Ansprüchen gerecht werden. Insofern liegt da mindestens genauso viel Chance wie Gefahr. Als Wahlkampfmanager versuchen Sie, in diesem ja doch sehr feindlichen Umfeld einigermaßen Kontrolle über ihre Kampagne zu behalten. Es gibt aber einen Kontrollverlust, weil wir viel mehr Kanäle haben. Sie können eine wunderbare Kampagne machen, und dann kommt Ihnen ein Rezo  (bekannter YouTuber, der auf seinem Kanal Politiker kritisiert, Anmerk. der Red.) dazwischen und haut plötzlich alles kaputt.

Die Kandidatin und die beiden Kandidaten für das Kanzleramt - Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz - sind auf unterschiedliche Weisen vorbelastet, politisch oder durch unglückliches Agieren. Wie wichtig ist die Fehlerkultur, also die Transparenz im Umgang mit Fehlern?

Der YouTuber Rezo sitzt mit blauen Haaren unter einer Kappe vor einer blauen Wand und lächelt.
Kontrollverlust: Soziale Medien und YouTuber wie Rezo machen den Wahlkampf unberechenbarBild: picture-alliance/dpa/Privat

Die ist extrem wichtig, weil die Personen immer wichtiger werden. Wir haben jetzt die außergewöhnliche Situation, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ein Amtsinhaber oder eine Amtsinhaberin nicht mehr antritt. Die Leute müssen sich neu sortieren und stellen fest: Ich muss mir die drei jetzt noch mal genauer angucken, die da zur Wahl stehen. Und diesen Test bestehen offenbar zurzeit zwei nicht. Olaf Scholz hat auch seine Fehler und sicherlich auch mal unglücklich agiert. Aber er ist so lange in einem Top-Job in der Bundesrepublik, dass er für die Leute eben wirklich eine etablierte Marke geworden ist. Dem trauen sie jetzt einfach mehr zu.

"Ein Wahlkampf hat nie ein historisches Moment"

Selbst wenn Finanzskandale wie Cum-Ex oder Wirecard zu komplex sind, um Olaf Scholz in der Wählergunst zu belasten - er hat die Agenda 2010 (Reform des deutschen Sozialsystems und Arbeitsmarktes Anmerk. d. Red.) in Regierungsverantwortung umgesetzt und will diese Politik nun als Kanzler zurückdrehen. Ist das glaubwürdig?

So denken Wählerinnen und Wähler nicht. Die nehmen genauso wahr wie andere auch, dass die Welt sich verändert und dass die Antworten heute anders ausfallen als die Antworten vor zwanzig Jahren. Ein Wahlkampf hat nie ein historisches Moment. Wählerinnen und Wähler schauen immer nach vorne. Wem trauen sie zu, die nächsten vier Jahre das Land zu führen?

Wie greifen Sie als Wahlkampfmanager ein, wenn es nicht läuft und die Umfragewerte fallen? Wenn ein Kandidat im unpassenden Moment vor einer Fernsehkamera lacht oder eine Kandidatin ihren Lebenslauf geschönt hat?

Armin Laschet lacht mit umstehenden Männern, während Bundespräsident Steinmeier (nicht im Bild) ein Pressestatement zum Hochwasser gibt
Fatale Signalwirkung: Kanzlerkandidat Armin Laschet, während Bundespräsident Steinmeier über die Flutkatastrophe in Erftstadt sprachBild: Marius Becker/dpa/picture alliance

Das Wichtige ist, dass man vorher eingreift, zum Beispiel bei der Frage des Lebenslaufs. Das sind alles Dinge, die hätte man im Vorfeld prüfen können. Man wusste ja schon lange genug, dass Frau Baerbock oder Herr Habeck (Parteivorsitzender der Grünen, Anmerk. der Red.) kandidieren werden. Das war einfach ein Versäumnis, ein vermeidbarer Fehler. Den Lacher von Laschet, den können Sie auch als Berater nicht vermeiden. Die Aufgabe von dem begleitenden Beraterteam ist es natürlich, darauf zu achten: Wo steht mein Mann oder meine Frau gerade und welches Bild erzeugt das? Es gab ja auch inszenierte Bilder von Laschet vor dem großen Müllberg im Katastrophengebiet (im vom Hochwasser betroffenen Orten, Anmerk. d. Red.), und das war trotzdem Quatsch.

Wie versuchen Sie, einen negativen Trend zu drehen?

Man muss es erst mal akzeptieren. Das ist das Wichtigste. Es geht immer nach vorne, es zählt immer der nächste Tag. Und Sie müssen dann mit Ihrem Kandidaten und Ihrer Kandidatin wirklich noch mal intensiv sprechen und sagen: 'Wir können jetzt nicht weitermachen wie bisher.' Dann muss man alles noch mal auf den Prüfstand stellen.

"Die Leute wählen kein Team"

Bei Armin Laschet wurde kritisiert, dass er zunächst kein Team benannte, jetzt hat er doch eins vorgestellt. Bei Olaf Scholz scheint es dagegen ein Pluspunkt zu sein, dass aus der SPD niemand außer Scholz in Erscheinung tritt. Welche Rolle spielt der Teamgedanke tatsächlich?

Ganz ehrlich, das Team hat noch nie funktioniert. Die Leute wählen kein Team, gerade wenn es um die Frage der Kanzlerkandidatur geht. Die entscheiden alleine auf Basis der Nummer eins.

Die vergangenen Jahre und Jahrzehnte waren bestimmt von globalen Problemen, die nach einem parteiübergreifenden Konsens verlangt haben: Finanzkrise, Pandemie, selbst beim Klima. Wie arbeitet man einen unverkennbaren Kern heraus, wenn die Lösung ohnehin parteiübergreifend geklärt werden muss?

Die Grünen Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck stehen in einem Wald und gucken nach oben.
Ein Blick auf die Umfragewerte? Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und Co-Parteichef Robert HabeckBild: TOBIAS SCHWARZ/AFP/REUTERS

Das ist sicherlich nicht leichter geworden. Auf der anderen Seite ist es für mich ein sehr hoffnungsvolles Signal über die politische Stimmungslage und Stabilität der Demokratie in Deutschland. Die Forschungsgruppe Wahlen hat für das ZDF gefragt, ob Angela Merkel unterm Strich einen guten Job gemacht hat. Das haben 83 Prozent der Befragten bejaht. Das bedeutet, es gibt einen demokratischen Grundkonsens, aus dem eigentlich nur die AfD (die rechtspopulistische Partei "Alternative für Deutschland", Anmerk. d. Red.) ausschert. Es gibt ähnliche Werte für die Frage, ob der Klimawandel menschengemacht ist. Wir haben eine sehr vernunftorientierte Bevölkerung in Deutschland.

"Es ist nicht die Zeit für Enthusiasmus"

Aus dem Konsens erwächst aber auch das Gefühl, es ist egal, welche der demokratischen Parteien ich wähle: Die Politik wird, unabhängig von den Farben der Koalition, weitgehend identisch sein. Das geht zulasten der Streitkultur: Wenn es einen Konsens gibt, müssen wir nicht streiten.

Eine Situation, wo eine Wahl wirklich zu einer Bewegung wird, haben wir in Deutschland extrem selten. Das gehört auch nicht zu unserer politischen Kultur. Die Leute sind sehr nüchtern in ihren Wahlentscheidungen, und man muss dazu sagen, dass meistens auch die nüchternen Kandidaten am Ende die Nase vorn haben. Es ist nicht die Zeit für Enthusiasmus. Und wir haben im Moment auch nicht das Personal, das solche emotionalen Verzückungen zulässt.

In Ihrem Job geht es darum, den Wählerinnen und Wählern etwas zu verkaufen: eine Idee, eine Person. Muss man als Verkäufer vom Inhalt und dem Personal überzeugt sein?

Sie sollten keine Aversion gegen das haben, was Sie da machen. Sie müssen nicht immer zu hundert Prozent übereinstimmen, das ist ähnlich wie beim Wähler. Es geht darum, die Person zu unterstützen, von der ich am ehesten überzeugt bin, dass sie den Job gut erledigt. Das Gefühl sollte man auf jeden Fall haben, wenn man Wahlkampf macht.


Frank Stauss ist Partner der Kommunikationsagentur Richel/Stauss. Als Politikberater hat er Wahlkämpfe u.a. vom ehemaligen Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz oder Malu Dreyer, Ministerpräsidentein von Rheinland-Pfalz, begleitet. 2013 erschien Stauss' Buch "Höllenritt Wahlkampf - Ein Insider-Bericht".

Das Gespräch führte Torsten Landsberg.