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Webcam-Prostitution von Kindern

Stephanie Höppner9. November 2013

Weltweit werden Zehntausende Kinder zur Prostitution vor Webcams gezwungen. Die Täter, die weit entfernt vor ihren Computern sitzen, werden kaum belangt. Denn juristisch dagegen vorzugehen, ist schwierig.

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Der virtuelle Lockvogel "Sweetie" (Foto: AP)
Bild: picture alliance / AP Photo

Sweetie, der virtuelle Lockvogel der Menschenrechtsorganisation Terre des Hommes, ist mittlerweile berühmt. Mit dem Satz "Hi, I am Sweetie, I am ten years old" stellte sich der Computer-Avatar in Gestalt eines 10-jährigen Mädchens aus den Philippinen in Internetforen und Chats vor - und bekam Tausende unsittliche Anfragen erwachsener Männer. Was sie nicht wussten: "Sweetie" sammelte dabei, gesteuert aus einer Lagerhalle in Amsterdam, unbemerkt relevante Daten über die Männer.

Innerhalb von zehn Wochen konnte die Organisation über 1000 Männer identifizieren, die "Sweetie" Geld dafür boten, vor der Kamera sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen. Die Meisten kommen aus den USA, Großbritannien und Indien. Unter den Identifizierten befinden sich auch 44 Deutsche. Terre des Hommes ging mit der Aktion an die Öffentlichkeit und löste weltweit eine mediale Erschütterung aus. Die Kombination der Suchbegriffe "Sweetie" und "Terre des Hommes" ergab seit dem Bekanntwerden vor wenigen Tagen über eine halbe Million Treffer bei Google.

Aufgefordert durch Mittelsmänner - und Eltern

Mit diesem ungewöhnlichen PR-Coup sind Terre des Hommes ein ganzes Stück weiter gekommen. "Unser primäres Ziel ist nicht die Strafverfolgung - wenngleich wir natürlich wollen, dass die Täter im Netz bestraft werden, denn das Internet ist kein rechtsfreier Raum", erklärt Terre des Hommes-Sprecher Wolf-Christian Ramm im DW-Gespräch. "Unsere Botschaft ist: Man kann etwas dagegen tun." Dazu sei eine entsprechende technische Ausstattung der Behörden notwendig. "Wir wollen außerdem ein Bewusstsein für dieses noch nicht so bekannte, aber dramatisch wachsende Phänomen schaffen." Nach Angaben des FBI gibt es mehr als 40.000 öffentliche Chat Rooms, in denen sich Pädosexuelle aufhalten.

Webcam (Bild: Imago/Chromorange)
Tatwaffe Webcam: Die Täter kommen meist davonBild: Imago/Chromorange

"Hintergrund dieses Phänomens ist die rasante Ausbreitung des Internets bis in den letzten Winkel dieser Welt", sagt Ramm. Gleichzeitig werde der Zugang immer günstiger. Diese eigentlich positive Entwicklung bewirke aber auch, dass sich die Armutsprostitution auch virtuell ausbreiten könne, vor allem in Südostasien. "Die typische Situation auf den Philippinen ist die, dass Mittelsmänner Kinder und Jugendliche, die auf der Straße leben, ansprechen und sie fragen, ob sie sich nicht ein bisschen Geld dazu verdienen wollen." Aber auch Eltern würden, ähnlich wie bei der Kinderprostitution, ihren Nachwuchs dazu animieren, auf diese selbstzerstörerische Art etwas zum meist kargen Familieneinkommen beizutragen. Andere wiederum forderten ihre Kinder zwar nicht aktiv zum Webcam-Sex auf, aber würden auch nicht näher nachfragen, aus welcher Quelle das neue Geld kommt.

Terre des Hommes-Projektleiter Hans Guyt (Foto: AP)
Mehr als 1000 Täter ermittelte Terre des Hommes, sagt Kampagnenleiter Hans GuytBild: picture alliance / AP Photo

Ein Handtuch als Sichtschutz

Hans Guyt, Kampagnen-Leiter von Terre des Hommes im niederländischen Den Haag, berichtet der DW im Interview, wie die Organisation dem Phänomen auf die Spur gekommen ist: "Vor eineinhalb Jahren waren wir für ein Forschungsprojekt auf den Philippinen und bemerkten, dass viele Kinderprostituierte aus dem Sichtfeld verschwunden waren." Die Organisation fand sie vor den Monitoren und stellte Erschreckendes fest: Auch viele Kinder, die vorher nie mit Prostitution in Berührung gekommen waren, beschafften sich auf einmal mit Sex vor der Webcam Geld. Dies passierte sogar häufig in öffentlichen Internet-Cafés, die per Münzeinwurf betrieben wurden. "In vielen Fällen steht das Internet-Cafe direkt neben einer Bank von Western Union, so dass die Kinder sich das überwiesene Geld direkt abheben können." Zurück im Internet-Café würden andere Kinder ein Handtuch als Sichtschutz hochhalten, bevor die "Show" starte, wie Guyt sagt.

Mittlerweile seien alleine in den Philippinen mehrere Zehntausend Kinder betroffen. Zum Vergleich: Vor eineinhalb Jahren waren es erst einige Hundert. "In jedem Moment - also auch jetzt - sind schätzungsweise 750.000 Menschen online auf der Suche nach Sex-Angeboten mit Minderjährigen", sagt Terre des Hommes-Sprecher Ramm. Auch wenn dabei kein physischer Kontakt entsteht - die Folgen für die Kinder sind ähnlich der Prostitution: Posttraumatische Belastungsstörungen, soziale und psychische Verwahrlosung bis hin zu Drogen- und Alkoholkonsum, um das Erlebte zu vergessen. "Es ist nicht so, dass das ein harmloser Chat im Internet ist, der keine Spuren hinterlässt", sagt Ramm.

Juristische Lücken schließen

Die Täter zur Verantwortung zu ziehen könnte dennoch schwer werden. Terre des Hommes hat zwar die Daten Interpol übergeben, aber ob es tatsächlich zu einer Strafverfolgung kommt, sei unklar und vermutlich von Land zu Land höchst unterschiedlich. In den Niederlanden etwa ist computer-generierte Kinderpornografie, wie "Sweetie" sie andeutete, seit 2010 strafbar. Doch die entscheidende Frage sei, ob solche Lockmittel überhaupt eingesetzt werden dürfen, vor allem von staatlichen Ermittlern. Schließlich würde die Polizei damit jemanden dazu bringen, eine Straftat zu begehen, die er sonst vielleicht nicht begangen hätte.

Ein Kind kauert sich auf einem Treppenabsatz. (Foto:Fotolia/Kitty)
Die Opfer werden häufig traumatisiertBild: Fotolia/Kitty

In Deutschland könnte den Tätern in ähnlichen Fällen eine Verurteilung drohen. Paragraph 176 des Strafgesetzbuches besagt, dass sexueller Missbrauch auch dann mit Freiheitsentzug mit bis zu fünf Jahren bestraft wird, wenn es nicht zu einem direkten körperlichen Kontakt kommt. "Es muss keine physische Gewalt vorliegen", sagt Ramm. "Aber wir denken, dass da noch Lücken geschlossen werden müssen, um dem Phänomen noch direkter auf die Spur zu kommen." Im entsprechenden Paragraphen ist von Internet oder Webcams keine Rede.