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Kampf dem Lauschangriff: neues Abhörgesetz in Schweden

Agnes Bührig19. Juni 2008

In Stockholm hat die Regierung gestern mit Ach und Krach ein neues Abhörgesetz durchs Parlament geprügelt. Das ganze Vorhaben wäre fast gescheitert, weil selbst Koalitionspolitiker dagegen waren.

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Weniger Datenschutz für höhere nationale Sicherheit - der Geheimdienst will mitlesenBild: Bilderbox

Kritiker bezeichnen das Gesetzespaket als "Lex Orwell": Es soll den Sicherheitsbehörden erlauben, jede geschriebene E-Mail, ja die gesamte elektronische Kommunikation aller Bürger zu überwachen, sofern sie über die Landesgrenzen geht. Die Regierung hat die Gesetzesvorlage in letzter Minute umgeschrieben und etwas abgeschwächt. Das Parlament hat dem Gesetz am Mittwochabend zugestimmt - doch die Kritiker sind längst nicht zufrieden.

Schweden als Überwachungsstaat?

"Stoppt das Überwachungs-Gesetz", skandieren Hunderte Demonstranten vor dem schwedischen Reichstag. Es sind vor allem junge Leute, die hier mit Lautsprechern und Plakaten angerückt sind, um den Politikern ihre Meinung kund zu tun. "Rettet die Demokratie" steht in großen schwarzen Buchstaben auf einem handgemalten Schild. "Big brother is watching you", "der große Bruder sieht dich", so steht es auf einem anderen Transparent, das von einem jungen Mann mit Palästinensertuch und langem Bart gehalten wird. "Wir nähern uns dem Überwachungsstaat, darum geht es in dem Gesetz", meint er.

Schwedische Königsfamilie besucht ein Treffen des Parlaments in Stockholm (13.09.2005/ dpa)
Das schwedische Parlament - uneins über das AbhörgesetzBild: Picture-Alliance /dpa

Kritiker des Gesetzes argumentieren, es sei ein grundlegendes Menschenrecht, sich mit anderen über Meinungen austauschen zu können, ohne dass man belauscht werde. Mit dem Gesetz werde jedoch die Integrität des Einzelnen gekränkt. Sie wollen die offene Gesellschaft gegen den ihrer Meinung nach drohenden Schnüffelstaat verteidigen. Denn dem neuen Gesetz zufolge darf der Militärische Abhördienst FRA künftig sämtliche E-Mails, Telefaxe und Telefongespräche abfangen, die Schwedens Landesgrenzen in digitalen Kabeln überqueren.

Kein Datenschutz, sondern mehr Sicherheit

Mit Hilfe von Schlüsselwörtern wollen die Späher den Datenstrom durchsieben - auf der Suche nach Missetätern, die Schwedens Sicherheit gefährden könnten. Das sei eigentlich nichts Neues, meint Behördenchef Ingvar Åkesson. Die so genannte Radioanstalt belauschte schon während des Kalten Krieges den Funkverkehr der Warschauer-Pakt-Staaten. Heutzutage werde Schweden aber nicht mehr von Armeen bedroht, sondern von Terroristen, Computer-Hackern und Wirtschaftskriminellen. Und diese Leute funkten nicht, sondern sie kommunizierten über Telefon und Internet. Datenströme verliefen über digitale Kabelverbindungen, und die seien für die Geheimdienste bislang tabu gewesen, klagt Åkesson.

"Wir wollen da wieder Anschluss finden. Viele Leute glauben, wir hören jetzt alle Telefongespräche ab, lesen sämtliche E-Mails. Wäre es so, würde ich mir selbst die größten Sorgen machen." Tatsächlich lässt das Gesetzespaket so manche Frage offen: Experten halten die Beschränkung auf grenzüberschreitenden Datenverkehr für reine Fiktion, weil viele E-Mails ohnehin über Server im Ausland vermittelt werden.

Viele gegen den Geheimdienst

Ein mit MD5 verschlüsselter Text (Lorem Ipsum) dient als Illustration des Kryptografie-Verfahrens. Symbolfoto. Quelle: DW
Geheimdienst will den Datenstrom nach Schlüsselwörtern durchsuchen

Der finnisch-schwedische Telekomkonzern Telia Sonera erklärte, er wolle seine Server nach Finnland verlagern, um zumindest seine finnischen Kunden vor dem Zugriff des Geheimdienstes zu bewahren. Auch Journalisten und Anwälte laufen Sturm, weil sie ihren Informanten und Klienten kaum noch Vertraulichkeit zusichern können. Denn für seine Lauschangriffe braucht der Geheimdienst weder Gerichtsbeschluss noch Anfangsverdacht, auch das Parlament hat im Einzelfall keine Machthabe. Ein Umstand, der auch bürgerliche Abgeordnete aus den eigenen Regierungsreihen nicht überzeugte.

Jetzt soll es bessere Kontrollmechanismen geben, um die Privatsphäre besser zu schützen. Nach Ansicht der Kritiker reicht das aber längst nicht aus. Selbst der frühere Geheimdienstchefs, Anders Eriksson, ist skeptisch: "Es reicht nicht, ein paar Kontrollinstanzen einzusetzen, etwa indem man eine neue Behörde einrichtet." Wichtiger sei, eine unabhängige Kontrolle zu ermöglichen.