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PolitikÄthiopien

Äthiopien: Friedensdialog für alle Konfliktparteien versäumt

Martina Schwikowski
27. September 2023

Kaum ein Jahr nach Ende des Bürgerkrieges in Äthiopien dauern Kämpfe der Fano-Miliz in der Amhara-Region an. Sie könnten in einen neuen Krieg münden, sagen Experten.

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Äthiopien | Kämpfer der Fano-Miliz in Lalibela in der nördlichen Amhara-Region
Der Bürgerkrieg ist beendet, aber in Amhara kämpft die Fano-Miliz weiter gegen die Regierung Äthiopiens weiter (Archivbild)Bild: Solan Kolli/AFP/Getty Images

Die Situation in Äthiopien wird zunehmend gefährlicher, schätzt Yared Hailemariam, Direktor des Äthiopischen Zentrums für Menschenrechtsverteidigung, die Lage im ostafrikanischen Vielvölkerstaat ein. Besonders in der nördlichen Amhara-Region brodelt der Konflikt.

Hailemariam sagt, die Regierung unter Premierminister Abiy Ahmed habe Fehler bei den Verhandlungen des Friedensabkommen Anfang November 2022 zur Beilegung des zweijährigen Bürgerkriegs gemacht. "Die meisten von uns hatten erwartet, dass das Friedensabkommen die politischen Spannungen und den Konflikt in Tigray lösen würde", sagt Hailemariam im DW-Interview aus Brüssel.

Konfliktparteien ausgeschlossen

Doch das Gegenteil sei der Fall: "Das Pretoria-Abkommen lädt zu einem neuen Konflikt in der Amhara-Region ein, denn die bewaffneten Amhara-Gruppen, insbesondere Fano und die Amhara-Eliten, forderten von Anfang an ihre Beteiligung an den Friedensverhandlungen", betont er. "Aber die Verhandlungen wurden nur zwischen der TPLF (Volksbefreiungsfront von Tigray, d. Red.) und der äthiopischen Regierung geführt und schlossen andere Konfliktparteien aus, die an dem zweijährigen Krieges aktiv beteiligt waren."

Die Abgesandten der äthiopischen Regierung und aus Tigray schütteln sich die Hände
Bei den Verhandlungen zum Friedensvertrag vor knapp einem Jahr waren nicht alle an den Kämpfen beteiligte Gruppen einbezogenBild: SIPHIWE SIBEKO/REUTERS

Laut Hailemariam besagt eine der Klauseln des Friedensvertrages, dass die TPLF-Spezialeinheiten und die Tigray-Kräfte nach der Unterzeichnung entwaffnet werden, aber das sei nicht vollständig geschehen. Dadurch sei der jüngste Konflikt in der benachbarten Amhara-Region ausgelöst worden.

Kampf für die Volksbefreiung

Die in der Amhara-Region ansässige Amhara People's Force (Fano) hat jetzt verkündet, dass sie im Kampf mit den äthiopischen Verteidigungskräften nicht besiegt worden sei.

Infografik Karte Äthiopien DE

Ein Sprecher der Fano, der anonym bleiben möchte, erklärte gegenüber DW, seine Gruppe wolle die Regierung von Premierminister Abiy Ahmed durch bewaffneten Kampf stürzen und die Macht an das äthiopische Volk übergeben: "Fano kämpft für die Befreiung des Volkes und des Landes, wenn die Gerechtigkeit in der Amhara-Gesellschaft verletzt und die Freiheit mit Füßen getreten wird."

Fano kämpfe auch für die Befreiung des äthiopischen Volkes vom "faschistischen Regime" von Abiy Ahmed. "Das Regime hat die Korruption und den ethnischen Extremismus im ganzen Land verbreitet", behauptet der Fano-Sprecher. Das Volk der Amhara forderte die Regierung auf, mit ihnen zu diskutieren und sich für den Frieden einzusetzen.

Schwelender Konflikt

Bereits seit Monaten kommt es in dem Bundesstaat, der südlich an Tigray grenzt, immer wieder zu Unruhen. Auslöser war eine Ankündigung der Bundesregierung in Addis Abeba im April, die Regionalarmeen der Bundesstaaten aufzulösen. Diese entsprechen im Wesentlichen den verschiedenen Ethnien Äthiopiens. 

Amhara-Nationalisten betrachteten die Ankündigung als Bedrohung und potenzielle Schwächung in Grenzstreitigkeiten mit dem benachbarten Tigray und griffen zu den Waffen. Premierminister Abiy rief im August den Notstand aus.

Abiy Ahmed, äthiopischer Premierminister
Premierminister Abiy Ahmed ist der Frieden in Äthiopien nicht gelungen - Milizen fordern neue DialogeBild: Massimo Percossi/Ansa/ZUMA Press/IMAGO

Die Regierung habe es versäumt, die Tür für Gespräche und Verhandlungen zu öffnen, sagt Hailemariam vom Äthiopischen Zentrum für Menschenrechtsverteidigung. Also sei der einzige Ansatz, den sie hatten, die gewaltsame Zerschlagung der Amhara-Gruppe gewesen. Jedoch sei der Widerstand der bewaffneten Amhara-Gruppe größer als von der Regierung erwartet.

"Völkermord in Äthiopien"

Yirga Gelaw Woldeyes geht noch einen Schritt weiter: "In Äthiopien findet ein Völkermord statt, über den die Welt nicht spricht", sagt Woldeyes im DW-Gespräch. Er ist Dozent und Forscher am Center for Human Rights Education der Curtin-Universität in Australien.

Diese Gewalt finde vor allem in Amhara selbst statt, fügt er hinzu, wo derzeit noch der sechsmonatige Ausnahmezustand herrscht. "Die Regierung hat den Internetzugang in diesem Gebiet gesperrt, und wir hören von außergerichtlichen Tötungen, dem Einsatz von Drohnen und Angriffen auf unschuldige Zivilisten", sagt Woldeyes zur DW.

Proteste in Italien gegen Gewalt und Verfolgung in Amhara
Washington DC, Berlin und - wie hier - Rom: In verschiedenen Städten auf der Welt protestierten Menschen der äthiopischen Diaspora gegen die Gewalt und Verfolgung in AmharaBild: Marcello Valeri/ZUMA/picture alliance

Auch die Äthiopische Menschenrechtskommission (EHRC) sprach kürzlich von "sehr besorgniserregenden" Zeugenberichten über "außergerichtliche Tötungen durch Sicherheitskräfte der Regierung in verschiedenen Teilen der Region". Die Kommission ist zwar staatlich unterstützt, jedoch unabhängig. Die EHRC teilte weiter mit, dass es nicht nur in Amhara, sondern auch in der Nachbarregion Oromia und der Hauptstadt Addis Abeba zu "willkürlichen Verhaftungen" gekommen sei.

Die Regierung verlasse sich auf den Einsatz von militärischer Gewalt, um politische Probleme in der Region zu lösen, so Hailemariam. Das sei ausschlaggebend für diesen Konflikt, aber auch für den vorherigen, der in Krieg mündete. Wenn es der Regierung und den anderen Konfliktparteien nicht gelinge, sich an einen Tisch zu setzen und ihre politischen Streitigkeiten friedlich zu lösen, könnte dies einen neuen Konflikt auslösen, sagt Hailemariam. Und Äthiopien könnte noch lange in einer weiteren Runde des inter-ethnischen Konflikts stecken bleiben.

Mitarbeit: Mohammad Negash