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Jugendsprache zum Nachschlagen

2. Dezember 2011

Wenn Jugendliche miteinander reden, kommen Erwachsene kaum mit. Ein Wörterbuch soll Abhilfe schaffen. Doch was ist authentische Jugendsprache und wo kommt sie her?

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Grafik Kinder- und Jugendsprache: 'bombe, peinlich, chillig, hip, crazy, cool'
Bild: picture-alliance / M.i.S.-Sportpressefoto

Zunächst versteht Stefan die Frage nicht: Ob er Jugendsprache beherrsche? "Was soll das denn das sein?" Der 16-Jährige geht noch zur Schule und lernt verschiedene Fremdsprachen. Dass das, was er und seine Freunde sprechen, gleich eine eigene Sprache sein soll, hält er allerdings für übertrieben. Das klinge wie eine Erfindung aus der Welt der Erwachsenen. Bohrt man jedoch etwas nach, so muss Stefan zugeben: Innerhalb seines Freundeskreises redet er anders als beispielsweise mit seinen Lehrern oder seinen Eltern. Wie denn? "Na, anders halt."

Wer diese "andere" Spache verstehen will, dem sollen Wörterbücher wie "Jugendsprache unplugged" helfen. Beim Blättern durch das kleine handliche Büchlein bleibt ein amüsiertes Lächeln nicht aus. Herrlich sind einige der Neuschöpfungen: Datenzipfel heißt hier ein USB-Stick, die Familienfeier wird zur Faltenparty, ein kleiner Hund zur Fußhupe. "Jugendsprache ist wirklich kreativ", sagt Stefanie Schill von Langenscheidt. Seit 2008 bringt der Verlag jedes Jahr ein neues Nachschlagewerk mit 600 Wörtern heraus.

Jugendsprache erfindet sich ständig neu

Stefan blättert interessiert durch den Sprachführer. Einige Wörter benutzen er und seine Freunde tatsächlich, wie zum Beispiel chillen für entspannen, abgehen für etwas gut finden oder Bernd für Verlierer. Viele weitere Wörter wie beispielsweise Pubertätshelikopter für Mofa hat er aber "noch nie gehört".

Stefanie Schill glaubt trotzdem an das Wörterbuch. Gesammelt werden die Wörter über das Internet: über eine eigens dafür eingerichtete Seite kann jeder neue Vorschläge schicken. Bis zu 4.000 Einsendungen bekommt der Verlag pro Jahr. Da die Jugendsprache "extrem schnelllebig" sei, lohne sich eine jährliche Neuauflage. "Wir wollen hier kein Archiv erstellen, sondern Trends aufzeigen. Und Jugendsprache ist der beste Ausdruck von Trends."

Symbolbild: Wort der Woche Gammelfleisch
Aus Gammelfleisch wurde Gammelfleischparty

Auffällig sei hierbei der Bezug zum jeweiligen Medien-Aufreger des Jahres. 2008 wurde beispielsweise Gammelfleischparty zum Jugendwort des Jahres gewählt, organisiert vom Langenscheidt Verlag gemeinsam mit der Jugendzeitschrift Spießer und der Jugendmesse YOU. Gammelfleisch, also verdorbenes Fleisch, war damals zuhauf in deutschen Fleischtheken entdeckt worden. Gammelfleischparty stand für Jugendliche dementsprechend für eine Party, auf der sich Ältere vergnügten. In diesem Jahr soll die Affäre rund um den umstrittenen Doktortitel des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg zu einer Wortkreation geführt haben: Mit guttenbergen soll neuerdings abschreiben gemeint sein. Auch dieses Wort hört der 16-jährige Stefan heute zum ersten Mal.

Jugendsprache steht nicht im Wörterbuch

Eine Jugendsprache gebe es nicht. "Genauso wenig wie es die Jugendlichen gibt", sagt Daniel Steckbauer, Mitarbeiter am sprachwissenschaftlichen Institut der Freien Universität Berlin. Steckbauer hat jahrelang Jugendsprache untersucht und vor allem darauf geachtet, authentische Sprachsituationen einzufangen. Dazu haben er und sein Team verdeckte Aufnahmen in Zeltlagern gemacht. "Jugendsprache kann man nicht verstehen, in dem man einige Wörter nachschlägt", sagt Steckbauer. Seine Forschungsgruppe hat vielmehr Satzbau und Gebrauch von Grammatik untersucht.

Auffällig ist hierbei, dass Jugendliche sich aus Präpositionen nicht viel machen. "Isch geh Schule" heißt es dann beispielsweise, wobei die Verschleifung "isch" statt "ich" ein sogenannter Ethnolekt ist, der auf türkische und arabische Spracheinflüsse zurückgeht. "Dabei ist es unabhängig, wo die Jugendlichen herkommen und ob sie in einem Migrationsumfeld aufwachsen oder nicht." Eltern und Sprachliebhaber müssen sich aber keine Sorgen machen. "Die Jugendlichen können nicht nur ihre eigene Sprache sprechen, sondern auch 'normales' Deutsch. Sie wissen ganz genau, wann sie wie sprechen sollen."

Für die deutschlandweite Verbreitung des Ethnolekts macht Steckbauer den Medienkonsum der Jugendlichen verantwortlich. "Jugendliche entlehnen ihre Sprache heutzutage viel stärker aus dem Fernsehen oder der Werbung als früher. Die vielen Talk-Formate am Nachmittag sind stark durchzogen vom Ethnolekt."

Auch ein Wörterbuch wie "Jugendsprache unplugged" ist für Daniel Steckbauer ein weiteres Medium, das eher inspiriert als dokumentiert. "Die Wörter werden ja nicht wissenschaftlich erhoben. Jeder kann über das Internet Vorschläge einreichen und keiner weiß wirklich, wer diese Wörter verwendet." Bekommen dann einzelne Wörter mediale Aufmerksamkeit wie beispielsweise durch die jährliche Wahl des Jugendwortes, dann können sie tatsächlich in die Jugendsprache übernommen werden.

Keine Wissenschaft, sondern Spaß

Buchcover von 'Hä?? Jugendsprache unplugged 2012: Deutsch - Englisch - Spanisch - Französisch' von Langenscheidt
Bild: Langenscheidt

Erstaunlich findet Steckbauer bei den diesjährigen Nominierungen, dass einige Wörter zur Wahl stehen, die gar nicht neu sind. Rubbeldiekatz beispielsweise sei ein Ausdruck aus dem Mittelalter, der heutzutage für "extrem schnell" stehen soll. Auch das Wort Körperklaus (gemeint ist ein Grobmotoriker) gäbe es schon seit den 70er Jahren.

Warum diese Wörter plötzlich populär sind? Auch Stefanie Schill erklärt es über den Medienkonsum. "Körperklaus war ein ständig wiederkehrendes Wort der Jury bei einer Model-Casting-Show im Privatfernsehen. Rubbeldiekatz stammt aus einem Fußballlied und ist zudem ein aktueller Filmtitel." Die Kritik der Sprachwissenschaftler an dem Wörterbuch findet sie indes übertrieben. "Das ist ja kein Nachschlagewerk wie der Duden – es geht hier um Spaß."

Einen wirklichen Mehrwert, den auch Forscher wie Steckbauer zu schätzen wissen, sind die ebenfalls zum Wörterbuch dazugehörenden Übersetzungen der Ausdrücke und Wörter ins Englische, Spanische und Französische. Das findet auch Schüler Stefan interessant. Zwar geht ihm das Spanische tranquilito noch nicht so flüssig über die Lippen wie schmuuf (= gechillt,gelassen), aber im nächsten Spanien-Urlaub will er einmal testen, ob ihn spanische Jugendliche besser verstehen.

Autorin: Nadine Wojcik
Redaktion: Gabriela Schaaf

Das Buch:
Hä?? Jugendsprache unplugged 2012. Deutsch, Englisch, Spanisch,Französisch. Herausgeber: Langenscheidt-Redaktion. 3,99 €. ISBN-13: 9783468298592