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Boateng: "Kein Kind wird als Rassist geboren"

Jonathan Harding
4. Juni 2020

Nach der Tötung von George Floyd positionieren sich Bundesligaspieler gegen Rassismus und Polizeigewalt. Im DW-Interview spricht Bayern-Profi Jerome Boateng über seine Gefühle und den Wert von Bildung und Unterstützung.

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Jerome Boateng
Bild: picture-alliance/Eibner

DW: Was denken Sie als Deutscher, der in Deutschland lebt, wenn Sie die aktuellen Bilder aus den USA sehen?

Jerome Boateng: Die Bilder schockieren mich. Was man jetzt alles auf Social Media zu sehen bekommt, ist schon brutal. Leider nehmen auch die Proteste jetzt schwierige Formen an. Dennoch führt der Fall "George Floyd" einem vor Augen, wie weit verbreitet Rassismus gegen Schwarze in Amerika immer noch ist und welche Rolle auch "Racial Profiling" [rassistisch motivierte Polizeikontrollen - Anm. d. Red.] in den USA spielt. Ich finde das extrem traurig, auch weil ich selbst oft in Amerika bin und das Land und die Kultur sehr mag. Aber es ist nichts Neues, sondern eine Sache, die immer präsent ist. Rassismus gibt es überall, aber in den USA ist es schon extrem. Ich habe ein gutes Zitat gelesen: Es ist als wäre Rassismus ein dunkler Raum und ab und zu macht jemand das Licht an, und alles kommt zum Vorschein. Wenn man daran denkt, wie viel Afroamerikaner für das Image und die Kultur in Amerika tun, ist mir das völlig unerklärlich. Ich denke da nur an Sport, Mode und Musik. Auch Barack Obama als Präsident war ein Aushängeschild.

Sehen Sie irgendwelche Parallelen in Deutschland?

Auf jeden Fall ist Rassismus auch bei uns ein Thema und sehr präsent. Es gab in den letzten Jahren Attentate gegen Ausländer und Andersgläubige in Deutschland. Insgesamt geht es in eine gewisse Richtung, wo ich mir denke, wir waren doch schon weiter. In meiner Kindheit in Berlin habe ich auch Erfahrungen mit Rassismus gemacht, klar. Aber ich erinnere mich auch an die Zeit auf dem Fußballplatz, wo es egal war, woher man kam und welche Religion man hatte. Wir waren Iraner, Afrikaner, Türken, Deutsche. Da hat man nicht groß darüber nachgedacht oder gesprochen. Es geht ums Miteinander.  

Jerome Boateng
Jerome Boateng ist in Berlin aufgewachsen und kennt den täglichen Rassismus aus Kindheit und JugendBild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Sind Sie der Meinung, dass die Afro-Deutschen in Deutschland nicht genügend sichtbar oder unzureichend anerkannt sind?

Insgesamt sind Menschen mit afrikanischen Wurzeln in einigen Bereichen unterrepräsentiert. Man hat schon oft den Eindruck, dass man als Sportler am ehesten noch die Anerkennung bekommt. Ich will jetzt aber auch nicht alles schlecht machen. Grundsätzlich, denke ich, ist Deutschland ein offenes Land. Ich habe persönlich ja auch sehr viele gute Erfahrungen gemacht. Da gibt es in Europa viele Länder, wo es noch viel schlimmer ist.

Denken Sie, dass in der jetzigen Zeit Sportlerinnen und Sportler auch Aktivisten sein müssen? 

Unsere Stimmen werden gehört, wir haben eine Plattform und Reichweite. Ich finde es aber wichtig, dass sich das alles nicht nur auf Social Media abspielt. Aktionen wie der "Black Out Tuesday" [Aktion in den sozialen Medien, bei der schwarze Bilder gepostet wurden, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren - Anm. d. Red.] sind schön und gut, aber es gilt wirklich anzupacken und etwas zu tun, sei es in Form von Arbeit mit Kindern oder anderen Integrationsprojekten. Da kann jeder helfen. Ich selbst möchte unbedingt in naher Zukunft in diesem Bereich etwas machen, und es gibt bereits verschiedene Ansätze und Ideen. 

Viele schwarze Fußballspieler haben sich zuletzt geäußert. Wie könnten Ihre weißen Kollegen sie unterstützen? 

Nicht jeder weiße Sportler, der sich jetzt nicht äußert, ist Rassist. Das ist klar. Wenn ich Videos von Demos sehe, sehe ich Menschen aller Hautfarben. Aber natürlich ist es wünschenswert, dass sie ihre Bekanntheit auch für dieses Thema einsetzen. Viele machen das, aber ich denke, da ist noch viel Luft nach oben. 

Fußball Bundesliga Jerome Boateng mit Töchtern
Jerome Boateng mit seinen beiden Töchtern im Mai 2019Bild: Imago Images/B. Müller

Was muss getan werden, damit sich die Situation verbessert?

Alles beginnt bei der Erziehung der Kinder, das ist das Allerwichtigste. Kein Kind auf dieser Welt wird als Rassist geboren. Es liegt immer an den Eltern und an dem, was sie ihren Kindern mitgeben. Das Schlimmste, was passieren kann, wäre, dass meine Kinder jemals derartige Erfahrungen machen müssen. Es ist wichtig, dass wir ihnen mitgeben, dass Rassismus nicht geht. Und wenn sie mitbekommen, dass jemand beschimpft wird, denjenigen verteidigen und sich wehren. Das muss in den Schulen beginnen und fester Bestandteil des Unterrichts sein. Nur so kommen wir weiter.

Fußballprofi Jerome Boateng steht seit 2011 beim FC Bayern München unter Vertrag. Der 31-jährige Innenverteidiger war zuvor für seinen Jugendverein Hertha BSC, den Hamburger SV und kurzzeitig in England für Manchester City aktiv. 2013 gewann er mit den Münchenern das Triple aus deutscher Meisterschaft, DFB-Pokal und UEFA Champions League. Mit der deutschen Nationalmannschaft wurde er 2014 in Brasilien Weltmeister. Im März 2019 kündigte Bundestrainer Joachim Löw einen Umbruch im DFB-Team an und gab bekannt, dass Boateng nicht mehr Teil des Kaders sei. Als gebürtiger Berliner wuchs er in der Bundeshauptstadt bei seiner deutschen Mutter auf. Sein ghanaischer Vater trennte sich von der Familie, als Boateng fünf Jahre alt war.

Das Interview führte Jonathan Harding.