1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU -Westbalkan

20. Oktober 2010

Die Beitrittsperspektive für die Länder des Westbalkans besteht, sagt EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle im Interview. Kein Land dürfe durch Blockaden in einem anderen Land der Region zurückgehalten werden.

https://p.dw.com/p/Pj3p
EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle in Sarajewo/ Bosnien und Herzegowina am 8.10.2010 (Foto: DW)
Der Gipfel in Sarajewo hat die Beitrittsperspektive unterstrichenBild: DW

DW-WORLD.DE: Welche Perspektive haben die Staaten des Westbalkans, EU-Mitglieder zu werden? Einige Brüsseler Diplomaten haben das Jahr 2018 in die Debatte geworfen. Halten Sie so eine Perspektive für realistisch?

Stefan Füle: Mitgliedschaft kommt dann, wenn ein Land dazu bereit ist. Das heißt, die Beitrittskriterien erfüllt. Dann ist es in der Lage, einen positiven Beitrag für die EU zu leisten, kann aber auch von den Vorteilen, die eine Mitgliedschaft bringt, profitieren. Bis dahin ist es ein Prozess, der dem Land viel abverlangt, nämlich alle eigenen Ressourcen zu mobilisieren. Qualität ist dabei wichtiger als Geschwindigkeit. Das heißt aber nicht, dass ein Land sich kein Zieldatum setzen soll, denn das erleichtert, die eigenen Ressourcen gezielt einzusetzen.

Wie wirkt sich die Finanzkrise auf den Erweiterungsprozess aus?

Die Krise hat uns alle getroffen, wenn auch unterschiedlich schwer. Die bereits seit langem bestehende Kooperation der EU mit den Ländern der Region hat allerdings geholfen, Strukturmaßnahmen umzusetzen, die die Auswirkungen der Krise abgeschwächt haben. Dadurch waren die Folgen nicht so schwer, wie sie hätten sein können. In der Zukunft wird die EU mehr Unterstützung dafür aufwenden, die Länder bei der Festlegung einer entschlossenen Wirtschaftspolitik zu bestärken, und auch die Institutionen, die dies dann umsetzen müssen. Das wird von zentraler Bedeutung sein, denn wenn die Krise eines deutlich gemacht hat, war es die Notwendigkeit ordentlicher öffentlicher Finanzen und von Maßnahmen, die die wirtschaftliche Stabilität verbessern. Trotz der Krise haben jedenfalls die Mitgliedsstaaten die europäische Perspektive des Westbalkans auf dem Gipfel in Sarajewo in diesem Jahr noch einmal bestätigt.

Was sind die Haupthindernisse für eine Integration dieser Staaten?

Die größte Herausforderung besteht darin, die schwierige Vergangenheit zu überwinden und eine europäische Tagesordnung zu bestimmen und auf diesem Wege voranzuschreiten. Der ganze Prozess baut sich auf bestimmten Ecksteinen auf: Ohne Rechtsstaatlichkeit, ohne eine effektive unabhängige Justiz, ohne einen starken Willen Korruption und organisierte Kriminalität zu bekämpfen, ohne deutliche Beweise, dass die Länder das auch umsetzen und die Einführung eines reformierten öffentlichen Dienstes wird eine Mitgliedschaft ganz einfach nicht möglich sein. Auch auf der regionalen Ebene gibt es eine Menge Herausforderungen, die dort gelöst werden müssen: Aussöhnung ist ein sehr empfindliches Thema. Es gibt auch noch zahlreiche ungelöste bilaterale Fragen, die sich nicht auf den Assoziierungsprozess auswirken sollten. Deshalb ermutigen wir die Länder, bilaterale Lösungen in einem Geiste gutnachbarschaftlicher Beziehungen zu suchen.

Wird jedes Land einzeln an seinen Erfolgen gemessen oder wird es eine Integration für die ganze Region geben?

Eine der goldenen Regeln des Assoziierungsprozesses ist es, dass jedes Land selbst an dem gemessen wird, was es erreicht. Während wir der ganzen Region eine EU-Perspektive bieten, müssen wir auch sicherstellen, dass kein Land durch Entwicklungen in einem anderen zurückgehalten wird. Die Kriterien, die genutzt werden, um einzuschätzen, ob ein Land bereit ist oder nicht, sind für alle Länder gleich. Es sind die Kopenhagen Kriterien, die 1993 verabschiedet wurden, für die Bereiche: Politik, Wirtschaft, Gesetzgebung und Verwaltung. Zudem sieht der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess weitere Kriterien für regionale Zusammenarbeit und den Respekt für Verpflichtungen vor, die durch die Unterzeichnung internationaler Konventionen und Verträge eingegangen wurden. Die Perspektive des Westbalkans wurde jedenfalls auf den Gipfeltreffen von Zagreb im Jahr 2000, von Thessaloniki 2003 und zuletzt von Sarajewo in diesem Jahr bekräftigt. Grundlage sind die Leistungen jedes einzelnen Landes und die Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten. In diesem Jahr begannen auch die Assoziierungsverhandlungen mit Island, das beinahe die ganze Gesetzgebung bereits auf EU-Linie gebracht hat, was dadurch erleichtert wurde, dass das Land bereits Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes EEA und des Schengenraumes ist. Auch mit der Türkei führen wir Verhandlungen. Allerdings geht dies langsam vonstatten, weil die Kapitel, die wir verhandeln müssen, sehr komplex sind. Bei alledem legen wir großen Wert auf die Qualität des Prozesses und der Fortschritt geht Hand in Hand mit den Reformen in den Kandidatenstaaten selbst.

Das Interview führte Vilma Filaj-Ballvora

Redaktion: Fabian Schmidt / Mirjana Dikic