1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Jetzt ist die Zivilgesellschaft gefragt"

Sabrina Pabst12. Dezember 2014

Nach dem Brandanschlag auf geplante Flüchtlingsheime warnt Rechtsextremismus-Experte Hans-Gerd Jaschke vor durch die Pegida-Proteste ermutigten Nachahmern. Die Zivilgesellschaft müsse sich wehren.

https://p.dw.com/p/1E3B2
Feuerwehrfahrzeuge stehen in der Nacht in Vorra (Landkreis Nürnberger Land) vor einem brennenden Haus. In den drei als Flüchtlingsunterkunft vorgesehenen Gebäuden hatte es gebrannt. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts auf Brandstiftung. (Foto: ToMa/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Toma

Deutsche Welle: In der Nähe von Nürnberg gab es drei Brandanschläge auf geplante Flüchtlingsunterkünfte. Die Polizei geht von einem rechtsextremen Hintergrund aus, da auch Hakenkreuze und fremdenfeindliche Schmierereien entdeckt wurden. In Dresden demonstrierten zehntausende Menschen, die sich gegen die Islamisierung des Abendlandes wehren wollen. Wächst ein neues Klima der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland?

Hans-Gerd Jaschke: Wir müssen die Nürnberger Taten vor dem Hintergrund der jüngsten deutschen Geschichte sehen. Es gab ähnliche Anschläge zwischen 1990 und 1993 in Rostock, Hoyerswerda, Solingen und weiteren Städten. Das besondere an diesen Straftaten ist, dass sich die Täter durch Stimmungen in der Bevölkerung, die gegen den angeblichen Asylmissbrauch eingestellt war, ermutigt und unterstützt fühlten. Wenn man das auf die heutige Situation überträgt, könnte man annehmen, dass heute auch so eine Stimmung gegen die Islamisierung des Abendlandes, wie es bei "Pegida" ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", Anm. d. Red.) heißt, entsteht. Dadurch konnten möglicherweise auch gewaltbereite Jungendliche oder junge Erwachsene von rechts die Sache in die Hand nehmen und diese Anschläge verüben, statt nur darüber zu reden und dagegen zu demonstrieren. Das sind Mechanismen, die in den Köpfen solcher Täter vorgehen und das ist eine sehr gefährliche Entwicklung, weil es Nachahmer geben kann.

Nürnberg liegt im CSU-regierten Bayern. Die Partei versucht auch immer wieder, mit populistischen Parolen zu punkten. Fühlen sich diese Täter nicht auch durch die legitimierte und konservative Regierung gestärkt?

Gerade seitens der CSU - von der Maut bis hin zum Aufruf, dass Ausländer in ihren Familien deutsch sprechen sollten - wird eine nicht sehr freundliche Politik gegenüber Zuwanderern betrieben. Der Katalysator liegt aber eher in den Pegida-Aktionen und in der großen Zahl der Teilnehmer an deren Märschen. Es sind Wutbürger, Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die hier aktiv sind und darauf können sich Täter beziehen.

Wächst derzeit eine rechte Bewegung oder wachsen die Ressentiments einer bürgerlich rechten Mitte gegenüber Minderheiten wie Asylbewerber oder Migranten?

Wenn man das veröffentlichte Pegida-Positionspapier zu Grunde legt, dann sind das Forderungen, die der bürgerlich rechten Mitte entstammen. Die sind nicht rechtsextrem oder rassistisch, sondern die könnten auch in den Positionspapieren beispielsweise der CDU/CSU stehen. Wichtig ist aber auch, dass in anderen europäischen Ländern islamkritische oder islamfeindliche Strömungen seit Jahren bestehen: Geert Wilders in den Niederlanden oder Marine Le Pen in Frankreich. Sie hatten Erfolg bei den Europawahlen dieses Jahres. Nur in Deutschland gab es eine solche Bewegung nicht. Es passiert in Deutschland das, was im europäischen Ausland schon seit Jahren existiert.

Wie kann es denn sein, dass alleine vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte so eine Bewegung hier entstehen kann? Wir hatten jahrelang die RAF oder seit kürzester Zeit den Islamismus unter Beobachtung. Haben wir vergessen, uns auf den Rechtsextremismus zu konzentrieren?

Sie haben vermutlich Recht. Wir hatten in den 90-er Jahren nach Rostock, Hoyerswerda und Solingen eine Fülle von Aufarbeitungen von Rechtsextremismus. Das wurde dann mehr oder weniger durch die 9/11-Anschläge in den Hintergrund gedrängt. Seitdem ist islamistischer Terrorismus das alles beherrschende Thema. Die Vorgänge im Bereich des Rechtsextremismus sind zu Unrecht vernachlässigt worden. Denn wir haben auf der Ebene der Einstellungen und des Populismus, auch der Gewaltbereitschaft, einen anhaltenden starken Rechtsextremismus. Nur auf der Ebene der Wahlen gibt es - Gott sei Dank - keinen Erfolg von rechts außen.

Was müssten unsere Politiker unternehmen, damit sich die Demonstranten der bürgerlichen Mitte, die bei den Pegida-Märschen mitmarschieren, ernstgenommen fühlen und nicht auch nach rechts abrutscht?

Es geht um Asyl, um gewünschte Einwanderung und um Wirtschaftsflüchtlinge - das ist ein außerordentlich komplexes Thema. Politik ist aufgefordert, ein Konzept vorzulegen und zu diskutieren, wie Deutschland als Einwanderungsland aussehen soll. Vermutlich kann man damit keine Wahlen gewinnen oder man begibt sich auf vermintes Gelände. Deswegen sind Lösungen auf diesem Feld sehr kleinteilig und sehr kurzfristig. Was auch auffällt: In Ostdeutschland sind wenige Erfahrungen mit Zuwanderern und Migranten gemacht worden. Trotzdem besteht dort das Phänomen, das als Antisemitismus ohne Juden bekannt ist. Wohingegen in westdeutschen Ballungsräumen 50 Jahre Konflikte aufgegriffen und auch sehr positive Erlebnisse mit Zuwanderung gemacht worden sind.

Die Heime in Nürnberg waren noch nicht bewohnt und es sind zum Glück keine Menschen zu Schaden gekommen. Wie können wir den Schutz von Flüchtlingen verbessern, die nach ihren traumatischen Erlebnissen in Deutschland angekommen sind und hier eigentlich Schutz suchen?

Hier ist jetzt die Zivilgesellschaft gefragt. Es gab in den 90-er Jahren erfolgreiche Lichterketten gegen den Protest von rechts, so dass er eingedämmt werden konnte. Wenn 10.000 Menschen am Montag (15.12.2014) demonstrieren sollten, dann wäre es wichtig, dass Gegendemonstranten aufstehen, ihren Protest anmelden und sich wehren, auch mit möglichst zahlreichen Aktionen. Ich hoffe, dass sich Menschen für ein bunteres Deutschland erheben und es eine Gegenbewegung gibt, damit wir ein Signal an Zuwanderer und ins Ausland senden: Deutschland besteht nicht nur aus rechten Protestierern, sondern es gibt auch ein anderes Deutschland.

Hans-Gert Jaschke ist Politikwissenschaftler an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Er unterrichtete an der Polizei-Führungsakademie und der Hochschule der Polizei. Seine Arbeiten konzentrieren sich auf politischen Extremismus, insbesondere Rechtsextremismus, und Innere Sicherheit