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Politik

Jan Palach, Tschechiens Fanal

Aureliusz M. Pedziwol
16. Januar 2019

Vor 50 Jahren zündete sich in Prag der Student Jan Palach mit Benzin an. Es war ein Aufschrei gegen die Gleichgültigkeit nach der brutalen Niederschlagung des Prager Frühlings. Die Tat wirkt bis heute nach.

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Tschechien  Prag - Jan Palach Denkmal
Bild: Imago/CTK Photo/R. Vondrous

Der 20-jährige Student der Prager Karls-Universität Jan Palach nannte sich selbst "Fackel Nummer eins". Er kündigte an, weitere Mitstreiter würden sich anzünden, sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden.

Protest gegen Teilnahmslosigkeit und Zensur

"Er hat nicht gegen die Invasion der Tschechoslowakei und die Besetzung seines Landes durch die Rote Armee protestiert, wie es ihm wiederholt zugeschrieben wurde und immer noch wird", betont der slowakische Schriftsteller und Journalist Martin Milan Šimečka im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Palach protestierte gegen die Teilnahmslosigkeit der Menschen, die sich rasch an die neue Realität anpassten."

Kalenderblatt Selbstverbrennung von Jan Palach in Prag
Verzweifelt: Der Student Jan Palach verbrannte sich selbstBild: dpa

Historiker Łukasz Kamiński von der Universität Breslau (Wrocław) sieht das anders. "Seine Selbstverbrennung war überhaupt kein Protest", sagt Kamiński, der die Geschichte Mitteleuropas während des Kommunismus erforscht. "Mit seinem grausamen Tod wollte Palach die Tschechen und Slowaken ermutigen, sich der Besatzung zu widersetzen." Šimečka ergänzt: "Er wollte sie bewegen".

Er bewegte sie. Einige begannen Hungerproteste, andere gingen auf die Straße. Solange er noch lebte, forderten sie lautstark, was er in seinen Abschiedsbriefen verlangte: die Auflösung der Zensur und die Schließung des Propagandablatts der sowjetischen Besatzer "Zprávy".

Tschechoslowakei 1969, Beerdigung Jan Palach, Selbstverbrennung
Trauer und Protest: Über 200.000 Menschen begleiteten Palach auf seinem letzten Weg zum Prager FriedhofBild: picture-alliance/CTK Photo

Palach starb am 19. Januar, drei Tage, nachdem er sich selbst angezündet hatte. Demonstranten und Trauernde zogen zum Karolinum, dem Sitz des Rektorats der Karls-Universität, um sich vor Palachs Sarg zu verneigen. An der Beisetzung auf dem Friedhof im Stadtteil Wolschan (Olšany) nahmen später mindestens 200.000 Menschen teil.

Die "Palach-Woche"

Palachs Forderungen erfüllten sich nicht. Die Machthaber in Prag schafften die Zensur nicht ab und auch die sowjetischen Besatzer gaben ihr Propagandablatt nicht auf. Tschechen und Slowaken gerieten in eine Art "Normalisierungslethargie".

Erst erst nach 20 Jahren wachten sie auf. Eigentlich nicht sie, sondern die nächste Generation: "Die tschechischen Kinder". So nannte sich eine anarchistisch-monarchistische Initiative, die zu diesem Protest aufrief.

Als Palach starb, waren sie noch Kleinkinder. Aber 20 Jahre erinnerten sie sich an seinen politischen Kampf. Am Sonntag, den 15. Januar 1989, erschienen sie auf dem Prager Wenzelsplatz. Sie kamen am Vorabend des Jahrestages seiner Tat, um ihn zu ehren. Dann kamen sie wieder und wieder, eine ganze Woche lang, die als "Palach-Woche" in die Geschichte einging.

Samtene Revolution Prag 1989
"Samtene Revolution": Großdemonstration auf dem Wenzelsplatz am 27. November 1989Bild: picture-alliance/ dpa

"Es zeigte, wie stark Palach im tschechischen Bewusstsein präsent ist", sagt Šimečka. Das war der Anfang vom Ende des Kommunismus in der Tschechoslowakei, obwohl es damals kaum jemand ahnte. Seine gewaltsame Agonie begann am 17. November, als die Prager Studenten keine Scheu vor den Polizisten zeigten, die ihrem friedlichen Protestmarsch im Wege standen. Bevor das Jahr zu Ende ging, war das politische System zusammengebrochen und der einstige Feind Nummer eins des Regimes, Václav Havel, zum Staatspräsidenten geworden.

"Palach ist heute eine der bekanntesten Persönlichkeiten der tschechischen Geschichte", meint Łukasz Kamiński. "Er stellt auch einen Bezugspunkt zur heutigen Realität dar. Es ist kein Zufall, dass eine große Demonstration auf dem Wenzelsplatz gegen die derzeit Regierenden für den 16. Januar aufgerufen worden ist."