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Israel verurteilt

Peter Philipp20. Mai 2004

Eine korrekte Zahl der Opfer wird wohl nie festzustellen sein. Was sich in der Nähe von Rafah im Gazastreifen ereignete, stellt aber eindeutig die schlimmste Eskalation in den 37 Jahren israelischer Besatzung dar.

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Innerhalb von 24 Stunden mindestens 25 Tote, davon etwa die Hälfte bei einem einzigen Zwischenfall, als ein israelischer Panzer und wahrscheinlich auch ein Kampfhubschrauber in eine rund 1000-köpfige Gruppe von Demonstranten feuerte. Schon zuvor hatten Menschenrechtsorganisationen wie "Amnesty international" das israelische Vorgehen in der Gegend als "Kriegsverbrechen" verurteilt, diesmal fand auch der UN-Sicherheitsrat schärfste Worte der Verurteilung für Israel und – sicher ein Novum angesichts der bisher so uneingeschränkt pro-israelischen Haltung dieser US-Regierung: Washington enthielt sich der Stimme und ermöglichte dadurch die Verurteilung Israels.

Israel weht ein härterer Wind ins Gesicht, das ist nicht zu übersehen. Aber offizielle israelische Stellen tun, als bräuchten sie sich darüber keine Sorgen zu machen. Die "Aktionen" in Rafah würden fortgesetzt, den Tod unschuldiger Zivilisten "bedauere" man aber.

Zunächst hatten andere offizielle Sprecher versucht, den Angriff auf die Demonstranten zu dementieren: Da müsse eine Sprengladung explodiert sein. Dann hiess es, Bewaffnete hätten sich unter den Demonstranten befunden. Und wieder andere meinen lapidar: Zivilisten, die sich in Kriegsgebieten herumtrieben, gingen nun einmal Gefahren ein. Das muss nicht nur den Palästinensern wie blanker Hohn in den Ohren klingen: Die Zivilisten trieben sich aber dort nicht herum. Sie leben in der Gegend und sie demonstrierten gegen die Zerstörung Hunderter von Wohnhäusern und gegen diverse Restriktionen der Besatzer.

Massnahmen, die im Widerspruch zur Genfer Konvention stehen und im Widerspruch zu den meisten internationalen Übereinkünften. Im offiziellen Israel freilich ist man der Meinung, dass solche Konventionen nicht anwendbar seien, wenn sie dem eigenen militärischen oder politischen Planspiel im Wege stehen: So besteht Israel seit Jahrzehnten darauf, dass Westbank und Gazastreifen "im völkerrechtlichen Sinne" eigentlich keine "besetzten Gebiete" seien und die Genfer Konvention deswegen dort nicht verpflichtend sei. Und nun erteilte der oberste israelische Gerichtshof auch noch einen Persil-Schein zur Zerstörung der Wohnhäuser: Dasselbe Gericht, das schon vor Jahren Folter oder "übermäßige Gewalt" in bestimmten Fällen zuließ, gab der Regierung Scharon nun grünes Licht zum Kahlschlag einer Sperrzone bei Rafah.

Der Grund für die Maßnahmen der Armee: Hier werden Waffen und Sprengstoff durch unterirdische Tunnel aus Ägypten in den Gaza-Streifen geschmuggelt und bevor Israel Gaza verläßt, will es zumindest sicherstellen, dass dieser Nachschubweg ein für allemal abgeschnitten ist.

Ein weiterer Grund ist die Suche nach denen Verantwortlichen für Zerstörung von zwei israelischen Panzerfahrzeugen und die Schändung der dabei getöteten Soldaten.

Verständliche Motive. Die aber doch unter keinen Umständen blindes Vorgehen gegen Zivilisten rechtfertigen können und dürfen. Erst recht nicht gegen Kinder. Auf makabre Weise werden Parallellen deutlich zwischen dem israelischen Vorgehen bei Rafah und dem der USA in Falluja. Oder dem Beschuss der Demonstranten und dem Angriff auf eine Hochzeitsgesellschaft im Westirak. Oder – vor zwei Jahren – in Afghanistan: Hier wie dort werden die Soldaten dünnhäutig und die Situation verleitet sie zu Kurzschluss-Reaktionen. In denen erst gefeuert und dann – vielleicht – gefragt wird.

Immerhin gibt es in der israelischen Öffentlichkeit – und sogar in der Regierung – Leute, die den einzig richtigen Schluss daraus ziehen: Die Besatzung muss beendet werden. Im Fall USA-Irak scheint man noch nicht so weit zu sein. Aber das Abstimmungsverhalten Washingtons in der Frage von Rafah deutet auf einen ersten Stimmungswandel hin.