1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Raketenalarm in Tel Aviv

11. Mai 2021

Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist gefährlich eskaliert: Nach massivem Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen flog Israels Luftwaffe Vergeltungsangriffe. Die Hamas reagiert mit dem Beschuss von Tel Aviv.

https://p.dw.com/p/3tCzp
Zerstörte Fahrzeuge in Holon bei Tel Aviv nach dem Raketenbeschuss der Hamas
Zerstörte Fahrzeuge in Holon bei Tel Aviv nach dem Raketenbeschuss der HamasBild: Ahmad Gharabli/AFP/Getty Images

"Wir werden Angriffe auf unser Territorium, unsere Hauptstadt, unsere Bürger und unsere Soldaten nicht dulden", erklärte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. "Diejenigen, die uns angreifen, werden einen hohen Preis zahlen", sagte der Premier mit Blick auf militante Palästinenser im Gazastreifen. Die radikalislamische Hamas habe eine "rote Linie" überschritten. Später kündigte Netanjahu noch härtere Angriffe an: Die Palästinenserorganisation Hamas werde "Schläge bekommen, die sie bislang nicht erwartet". 

Neue Eskalationsstufe: Alarm in Tel Aviv

Am Dienstagabend wurde in Tel Aviv Raketenalarm ausgelöst. Im Stadtzentrum waren mehrere Explosionen zu hören. Die israelische Armee hatte zuvor ein Gebäude mit Büros von Mitgliedern des Hamas-Politbüros und Sprechern der islamistischen Palästinenserorganisation im Gazastreifen zerstört. Die Anwohner des Gebäudes wurden vor dem Angriff von den israelischen Streitkräften gewarnt und angehalten, das Haus zu verlassen, wie Augenzeugen berichteten. Ein Sprecher der Hamas hatte zuvor mit einem "harten" Raketenangriff auf Tel Aviv gedroht, sollte der "Hanadi-Turm" zerstört werden. Nach eigenen Angaben feuerte die Hamas 130 Raketen auf die israelische Großstadt.

Rauch über dem Hanadi-Tower in Gaza
Rauch über dem zusammenbrechenden Hanadi-Tower in GazaBild: Mohamed Abed/AFP/Getty Images

Nach Militär-Angaben haben Palästinenser seit Montag hunderte Raketen auf Israel abgefeuert - auch mit dem Ziel Jerusalem. Dutzende davon seien von der Raketenabwehr "Eisenkuppel" abgefangen worden, andere auf unbewohnte Flächen gestürzt, so die israelische Armee. In der Stadt Aschkelon wurde ein Wohngebäude getroffen. Mindestens zwei israelische Staatsbürgerinnen starben in Aschkelon durch Raketenbeschuss, sechs Menschen wurden laut Rettungskräften verletzt.

Rettungskräfte betreuen einen Israeli, der bei dem Angriff in Aschkelon verletzt wurde
Rettungskräfte betreuen einen Israeli, der bei dem Angriff in Aschkelon verletzt wurde Bild: Amir Cohen/REUTERS

Bei Vergeltungsangriffen auf Ziele im Gazastreifen wurden nach einer Mitteilung der dortigen Behörden mindestens 26 Menschen getötet, darunter Kinder. Nach Darstellung der Hamas ist auch einer ihrer Kommandeure unter den Toten.

Die israelische Seite meldete, 15 Mitglieder der Hamas und des Islamischen Dschihads seien nach derzeitigem Stand getötet worden. Ausgeführt worden seien die Angriffe mit Kampfflugzeugen und Drohnen. Beschossen worden seien Einrichtungen zur Produktion von Raketen, Lager- und Trainingseinrichtungen sowie militärische Stellungen. Zudem seien zwei Tunnel attackiert worden, die unterschiedlich weit fertiggestellt gewesen seien. 

Schwere Schäden auch an Gebäuden des Flüchtlingslagers Al-Shati im Gazastreifen
Schwere Schäden auch an Gebäuden des Flüchtlingslagers Al-Shati im GazastreifenBild: Khalil Hamra/AP/picture alliance

Laut Armeesprecher Jonathan Conricus wurden insgesamt 130 militärische Ziele angegriffen. "Wir befinden uns in der Anfangsphase unserer Reaktion gegen militärische Ziele im Gazastreifen", sagte Conricus. "Wir sind bereit für eine Eskalation." Inzwischen genehmigte Verteidigungsminister Benny Gantz die Mobilisierung von 5000 Reservisten. Die zusätzlichen Kräfte sollen laut dem Büro von Gantz unter anderem dem südlichen Regionalkommando der Streitkräfte zugeteilt werden. 

Auch israelische Araber in Aufruhr 

Im Zuge der jüngsten Eskalation zwischen Israel und den Palästinensern kam es auch in weiten Teilen Israels zu heftigen Konfrontationen. Vor allem in Ortschaften im Norden und Süden entwickelten sich zahlreiche gewaltsame Demonstrationen israelischer Araber, bei denen Steine auf Polizisten geworfen wurden. Mehrere Fahrzeuge seien in Brand gesetzt worden. Fernsehreporter verglichen die Vorfälle mit dem zweiten Palästinenseraufstand (Intifada) vor zwei Jahrzehnten.

In der Stadt Lod wurde während der Unruhen ein 25-jähriger Araber durch Schüsse tödlich verletzt. Ein 34-Jähriger wurde daraufhin festgenommen. Nach Medienberichten handelt es sich bei dem Tatverdächtigen um einen jüdischen Einwohner. Laut Polizei wurden bei den landesweiten Ausschreitungen Dutzende Menschen festgenommen. 

"Sinnlose neue Eskalation"

UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor einer Eskalationsspirale, verurteilte den Abschuss von Raketen aus dem Gazastreifen "aufs Schärfste" und forderte von Israelis und Palästinensern "maximale Zurückhaltung". Eine Sitzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen endete Diplomaten zufolge aufgrund des Widerstands der USA allerdings ohne eine gemeinsame Stellungnahme. 

Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell betonte in Brüssel: "Der Abschuss von Raketen aus dem Gazastreifen auf die Zivilbevölkerung in Israel ist vollkommen unzulässig." Zugleich rief er zu einem sofortigen Stopp der Gewalt im von Israel besetzten Westjordanland und in Ost-Jerusalem auf.

Bundesaußenminister Heiko Maas twitterte: "Raketenbeschuss auf die israelische Zivilbevölkerung ist durch nichts zu rechtfertigen - und erst recht kein Beitrag zur Lösung des Konflikts, sondern sinnlose neue Eskalation. Alle Seiten stehen in der Pflicht, weitere Opfer unter Zivilisten zu verhindern." Ähnlich äußerte sich für die USA deren Außenminister Antony Blinken.

Botschafter Issacharoff: Waren um Entspannung bemüht

Israels Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, erläuterte in einem Interview der Deutschen Welle, dass Israel schon seit Tagen im Gespräch mit internationalen Partnern gewesen sei, um zu versuchen, die Situation zu deeskalieren.

"Wir haben mit den höchsten Ebenen der Regierungen auf der ganzen Welt gesprochen, und ich habe mit meinen Amtskollegen in Deutschland gesprochen, um die Palästinenser, die Jordanier, zu bitten, alles zu unternehmen, damit dieser Konflikt aufhört und wieder Ruhe einkehrt", sagte Issacharoff. Gleichwohl sei nicht zu erkennen gewesen, dass die Hamas oder die Palästinensische Autonomiebehörde die gleichen Schritte unternommen hätten, um die sich abzeichnende Eskalation zu entschärfen."

Israel ignorierte Ultimatum

Ost-Jerusalem ist bereits seit Freitag Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern. Auslöser war die drohende Zwangsräumung von Häusern palästinensischer Familien im Stadtteil Scheich Dscharrah. Das Land, auf dem sie leben, wird von jüdischen Siedlern beansprucht. Auch am Montag kam es wieder zu schweren Zusammenstößen, bei denen laut Medienberichten mehr als 300 Menschen verletzt wurden. 

Israel | Unruhen in Jerusalem
Unruhen auf dem Tempelberg: Israels Polizei setzte Blendgranaten gegen Steine werfende Palästinenser einBild: Mahmoud Illean/AP Photo/picture alliance

Die Hamas hatte per Ultimatum den Abzug aller israelischen Polizisten und Siedler vom Tempelberg und aus Scheich Dscharrah verlangt. Als Israel der Forderung nicht nachkam, hatte am Montag kurz nach 18 Uhr Ortszeit der massive Raketenbeschuss begonnen. Zu den Attacken bekannte sich neben der Hamas auch die Gruppe "Islamischer Dschihad". 

"Unteilbares" Jerusalem

Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist für Juden wie Muslime von herausragender Bedeutung. Es ist die drittheiligste Stätte im Islam. Zugleich standen dort früher zwei jüdische Tempel, von denen der letzte im Jahr 70 von den Römern zerstört wurde. Die Klagemauer ist ein Überrest jenes zerstörten Tempels und die heiligste Stätte der Juden.

Der Status Jerusalems ist eine der zentralen Streitfragen im Nahost-Konflikt. Israel beansprucht Jerusalem als "ewige und unteilbare Hauptstadt" für sich. Die Palästinenser halten ihrerseits an ihrem Anspruch auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt fest.

sti/wa/qu (afp, dpa, ap, rtr)