Islam und Identität
16. März 2007Von Konflikten halten sich die meisten Menschen am liebsten fern - die Mitarbeiter der "International Crisis Group" (ICG) haben täglich mit ihnen zu tun. Die nichtstaatliche Organisation erarbeitet weltweit Lösungsvorschläge für internationale Spannungen. Nun hat sie sich Deutschland vorgenommen.
In Deutschland kaum Islamisten
"Islamischer Fundamentalismus ist eine der großen Herausforderungen unseres Zeitalters", sagt Jonathan Laurence, Fachberater der ICG. Besonders in den letzten fünf bis sechs Jahren habe es weltweit eine Reihe von spektakulären Terroranschlägen gegeben.
Auch durch die deutsche Presselandschaft geistern fast täglich Berichte über Terrorismus und radikale Islamisten. Laut Bericht fällt diese Gruppe in Deutschland jedoch zahlenmäßig kaum ins Gewicht. In der Bundesrepublik leben zwischen 3,2 und 3,4 Millionen Muslime. Nur ein Prozent davon seien Islamisten, von denen sich wiederum nur ein kleiner Prozentsatz zu radikaler Gewaltbereitschaft bekenne.
"Drei Viertel aller Muslime in Deutschland sind türkischer Abstammung", sagt Laurence. Gerade sie seien in ihren Ansichten und in ihrer Religionsausübung besonders gemäßigt. In Deutschland gehe es vor allem darum, die türkischen Muslime besser in die Gesellschaft zu integrieren - dort solle man ansetzen, nicht beim Kampf gegen den Islamismus.
Ungleiche Bildungschancen - politische Ausgrenzung
"Fehlende Bildungsmöglichkeiten und politische Ausgrenzung sind die größten Hindernisse für eine erfolgreiche Integration", sagt Laurence. Der Bericht hinterfragt auch die strengen Sicherheitsvorschriften in Deutschland. Großangelegte Razzien in Moscheen oder Einbürgerungstests würden von vielen Muslimen als provokativ und diskriminierend empfunden. Die deutsche Regierung müsse dringend der Versuchung widerstehen, innenpolitischen Schwierigkeiten mit harter Rhetorik über türkische und muslimische Immigration zu begegnen.
Konkrete Verbesserungsvorschläge
Der Bericht der ICG bietet konkrete Vorschläge, wie Integration besser gestaltet werden kann. So werden die Landesregierungen aufgefordert, ihren momentanen Einbürgerungskurs zu überdenken. Die Bereitschaft der Muslime, die Verfassung der Bundesrepublik zu respektieren, müsse das wichtigste Kriterium sein um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten.
Außerdem solle die Teilhabe von Muslimen an politischen Prozessen gefördert werden. Auch flächendeckende verbindliche Sprachkurse im Vorschulalter schlägt der Bericht als notwendige Maßnahme vor. Sprachliche Barrieren müssten frühzeitig beseitigt werden - sie seien eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einer erfolgreich integrierten Gesellschaft.
Fortschritte erkennbar
Deutschland habe bereits beachtliche Integrationsfortschritte gemacht, so der Bericht. Besonders das Staatsbürgerschaftsgesetz von 2000 und die Einrichtung der Deutschen Islam Konferenz (DIK) im September 2006 werden als positive Zeichen verstanden. "Der Dialog zwischen den Religionen ist besonders wichtig. Man muss miteinander reden und vor allem versuchen, sich gegenseitig zu verstehen, und sich füreinander zu interessieren", meint Laurence.
Ohne eine gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen Leben, sei eine erfolgreiche Integration der Muslime in die deutsche Gesellschaft nicht zu erwarten, so der Bericht.