Abwarten, aber nicht abschreiben
18. Februar 2011Es ist nicht leicht für Michael Marks. Vor ein paar Tagen noch stand er auf dem Tahrir-Platz, erlebte mit, wie die Ägypter ihren Diktator stürzten. Marks ist Mitarbeiter von Germany Trade and Invest, der Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik, und er soll nun davon berichten, und zwar so, dass der Funke überspringt - in Düsseldorf, bei Konferenzzimmergeruch, Mineralwasser in handlichem Konferenzformat und routinierter Aufmerksamkeit.
"Ich hätte nie erwartet, als ich vor zweieinhalb Jahren nach Ägypten kam, dass so etwas in dem Land möglich wäre", beginnt Marks. Alle wären überrascht gewesen, welches Organisationstalent die Ägypter an den Tag legten. Es standen Ärzte bereit, es gab Lazaretts, die Menschen bekamen Trinkwasser oder etwas zu Essen, und es wurde sauber gemacht, obwohl Kairo doch - historisch belegt wie Marks betont - schon immer schmutzig war. "Das ist jetzt unser Platz", habe ein Ägypter gesagt als er mit Besen und Wasser dem Revolutionsmüll zu Leibe rückte. Das ist die schöne Seite der Revolution.
Die Revolution rüttelt nicht an den Grundfesten
Marks hat auch die andere Seite gesehen. Hat beobachtet wie Menschen plünderten, Geschäfte anzündeten und mit Feuerwaffen schossen. Er hat auch die Seite erlebt, die erahnen lässt, was möglich ist, wenn sich Hoffnungen zerschlagen. Die Seite der Revolution, die nicht nur Ägypter, sondern auch Unternehmer aus dem Ausland verunsichert. Also macht Marks das, was die Mitarbeiter von Germany Trade and Invest perfekt beherrschen, er beruhigt: "Wir sind alle optimistisch." So wie die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht an den Fundamentaldaten der Weltwirtschaft gerüttelt habe, sondern nur an irgendwelchen Zyklen, so ähnlich müsse man sich das auch mit Ägypten vorstellen. "Das heißt, die rutschen jetzt ein halbes oder ein Jahr weiter weg, aber dann geht’s eigentlich mit den Daten weiter, die man vorher hatte."
Ägyptens Wirtschaft werde wieder so dynamisch wachsen wie vor der Revolution, beruhigt Marks. Wenn das tatsächlich eintrifft, dann könnte Germany Trade and Invest Ägypten endlich zur Liste ihrer heimlichen Top-Exportmärkte hinzunehmen. Heimlich, weil es Märkte sind, die gute Chancen bieten, aber auf die Exporteure und Investoren erst gestoßen werden müssen. Eigentlich sollte Ägypten schon dieses Jahr auf die Liste kommen, doch dann kam der Umsturz. Und nun steht auf der Liste nicht Ägypten, sondern ein Land wie Katar, das als Gastgeber der Fußball-WM 2022 Aufträge in Milliardenhöhe zu vergeben hat. Oder Kasachstan mit seinen riesigen Rohstoffvorkommen und seinem immensen technologischen Nachholbedarf. Oder Südafrika, das auch nach der WM viel Geld für seine Infrastruktur ausgeben will.
Partner von gestern sind heute weg
Die Liste ist wie eine Empfehlung an deutsche Exporteure und Investoren. Ägypten ist dafür noch zu unübersichtlich, meint Martin Kalhöfer von Germany Trade and Invest. Gerade in der arabischen Welt seien Netzwerke besonders wichtig. Und die würden jetzt zusammenbrechen. Alte Leute müssten ihren Hut nehmen, neue kämen. "Man muss jetzt einfach abwarten", sagt Kalhöfer.
Wenn schon Netzwerke zusammenbrechen: Die großen Eckpfeiler der ägyptischen Wirtschaft könnten unversehrt bleiben. Seit 2004 hatte Hosni Mubarak die Wirtschaft liberalisiert. Und die Übergangsregierung hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen versprochen, dass die marktwirtschaftlichen Reformen erhalten bleiben.
Und auch in Deutschland bemüht man sich: Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat vor einigen Tagen den Zehn-Punkte Aktionsplan gestartet, um die Wirtschaftsbeziehungen mit Ägypten und den anderen nordafrikanischen Ländern zu stabilisieren. Ein zentraler Punkt: Deutschland sichert Exportvorhaben im Wert von rund 700 Millionen Euro in die Region ab. Das heißt die deutschen Investitionsschutzabkommen laufen weiter wie gewohnt - etwas Normalität für ein Land, das am Scheideweg steht.
Autor: Jutta Wasserrab
Redaktion: Monika Lohmüller