International investieren, national sparen
31. Januar 2011Die Deutsche Bahn (DB) hinkt hinterher - zumindest was die Problemlösungen für den Personenverkehr in Deutschland angeht. Immer wieder bemängeln Fahrgäste Verspätungen und Zugausfälle. Die jüngsten Ereignisse zeigen technische Sicherheitsmängel: Im April 2010 verlor ein Intercity Express (ICE) auf der Fahrt von Amsterdam nach Basel eine Tür. Sie schlug bei einem entgegenkommenden Zug in der Nähe des Bistrowagens ein - sechs Reisende bekamen Glassplitter ab. Im Sommer fielen zahlreiche Klimaanlagen aus, Reisende wurden ohnmächtig. Im Dezember dann machten Schnee und Eis der Bahn zu schaffen: Weichen froren rein, Signale fielen aus. Nun hat der Zusammenstoß zweier Züge zehn Menschen das Leben gekostet.
Wie sicher ist die Bahn wirklich?
Die Bahn gilt trotzdem als sicheres Verkehrsmittel. Berechnungen des Statistischen Bundesamtes zufolge ist sie sogar eines der sichersten - vor allem im Vergleich zum Auto: Die Gefahr, bei einer Reise im Zug getötet zu werden, ist 63 Mal geringer als im Auto. Das Verletzungsrisiko ist sogar 96 Mal geringer. Die Bahn verweist dabei auf ihre Sicherheitskette: Jede Fahrt bedarf einer ausdrücklichen Genehmigung des Fahrdienstleiters, der das Schienennetz von einer Zentrale aus computergestützt überwacht. Mit einem Signal gibt er den Fahrweg für jeden einzelnen Zug einer Strecke frei. Laut Bahn und dem Verkehrsbündnis "Allianz pro Schiene" ist es unmöglich, dass ein Fahrdienstleiter zwei Zügen gleichzeitig die Fahrerlaubnis für denselben Gleisabschnitt erteilt. Genau dieser unmögliche Fall ist in Sachsen-Anhalt beim Zusammenprall der Züge aber eingetreten.
Um Unfälle zu vermeiden, werden auch die Lokführer überwacht - mit der so genannten Totmannschaltung. Sollte ein Lokführer beispielsweise ohnmächtig werden, wird der Zug zwangsgebremst. Denn der Lokführer muss die Totmannschaltung während der Fahrt ständig gedrückt halten und alle 30 Sekunden loslassen.
Sollte dieses System beschädigt sein, gibt es noch die punktförmige Zugbeeinflussung (PZB), die besonders an kritischen Stellen, wenn der Zug nicht rechtzeitig abgebremst wird oder ein Signal missachtet wird, den Zug zwangsweise bremst. Doch genau diese PZB war beim jüngsten Unglück in Hordorf in Sachsen-Anhalt nicht vorhanden. "Das liegt daran, dass die Reichsbahn der DDR dort wohl keine solche Sicherung hatte. Und nach der heutigen Eisenbahnbau- und Betriebsordnung ist es nicht vorgeschrieben, ein solches System einzubauen, wenn die maximal erlaubte Streckengeschwindigkeit nicht mehr als 100 Kilometer pro Stunde beträgt", sagt der Bahnexperte Karl-Dieter Bodack.
In Hordorf fielen gleichzeitig zwei Elemente der Sicherheitskette aus: zwei Züge im selben Gleisabschnitt und die PZB. Der Übergang von der zweigleisigen zur eingleisigen Strecke sei über ein Signal gesichert, sagt Bodack, der früher als führender Entwicklungsingenieur bei der Bahn tätig war und nun zu einem der vehementesten Kritiker der Unternehmensstrategie der Deutschen Bahn AG gehört. "Wir müssen davon ausgehen, dass einer der Züge selbstverständlich ein Haltesignal hatte."
Wo liegen die Versäumnisse?
Für das Bundesverkehrsministerium liegt die Schuld für das Unglück nicht bei der Deutschen Bahn als Netzbetreiber, sagte ein Sprecher des Bundesverkehrsministers Peter Ramsauer am Montag (31.01.2010). Die PZB sei dort gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Deutsche Bahn führe ihren Zugbetrieb eben sparsam durch, meint Bodack. In der Regel unternimmt sie nur das, was gesetzlich vorgeschrieben ist in Bezug auf die Sicherheit.
Trotzdem sagt die Deutsche Bahn, dass das System in Kürze auf der betroffenen Strecke installiert werden sollte und überprüft einem Bahn-Sprecher zufolge nun auch, auf wie vielen Strecken ihres Netzes momentan das Sicherheitssystem fehle.
Doch für Bodack muss die Bahn ganz grundsätzlich an ihren Strukturen arbeiten, um künftig mehr Qualität und Sicherheit gerade im Personennahverkehr gewährleisten zu können.
Wer will die Bahn sein?
Auf seiner Internetseite verkündet der DB-Konzern stolz, er gehöre mit knapp 190.000 Mitarbeitern zu einem der größten Arbeitgeber in Deutschland. Nach der Privatisierung sei er inzwischen zu einem führenden internationalen Transport- und Logistikdienstleister geworden.
Die Deutsche Bahn AG entstand 1994 aus der Fusion der Staatsbahnen Deutsche Bundesbahn (im Westen Deutschlands) und Deutsche Reichsbahn (im Osten). Nach vielen investitionsreichen Jahren wurde der Bahn zehn Jahre später mit Blick auf einen Börsengang eine Sparkur verordnet. Heute ist das Unternehmen als Konzern strukturiert - mit mehr als 500 Tochterunternehmen. Zu den bekanntesten zählen DB Regio und DB Fernverkehr im Personenverkehr sowie DB Schenker Rail im Güterverkehr. Der Bund hält noch immer alle Anteile, da der Börsengang geplatzt ist. Somit ist der Konzern im Grunde ein privatrechtlich organisiertes Staatsunternehmen.
"Im Sinne der meisten Bürger sollte die Deutsche Bahn ein Bahnunternehmen sein. Der Vorstand und die Bundesregierung sollten darauf setzen, dass wir hier im Lande eine leistungsfähige Infrastruktur haben und nicht Milliarden im Ausland investieren", kritisiert Bodeck. Hinzu kämen zahlreiche neue Strecken und Prestigeprojekte wie "Stuttgart21", die "in einem krassen Missverhältnis" zur Sparpolitik stünden, wenn es vor allem derart eklatante Sicherheitslücken im Netz gebe.
Die Bahn will nichts überstürzen
Die Bahn weist diese Kritik zurück. Der Konzern investiere jeweils mehr als 100 Millionen Euro für die Modernisierung der Intercity (IC) und Intercity Express-Züge.
Doch die veraltete IC-Flotte hätte schon längst erneuert werden sollen. "Der Bahn fehlen Reservezüge, es fehlen ICE-Züge, die Intercity-Züge sind am Ende. Viele Wagen stehen marode herum auf Abstellgleisen. Und die Bundesregierung hat das über Jahre hinweg toleriert und über den Aufsichtsrat gutgeheißen", kritisiert Bodack.
Auch Bahnchef Rüdiger Grube, der das Amt 2009 übernahm, gab nach dem Bahnchaos im Winter zu: "Wir müssen besser werden. Der Personenverkehr in Deutschland ist unser Brot-und-Butter-Geschäft."
Karl-Dieter Bodack plädiert dafür, dass die Bahn ihre Investitionen im Ausland wieder verkauft. "Wenn das Geld in das deutsche Netz gesteckt wird, dann kriegt der deutsche Steuerzahler das zurück, was die Vorgänger des jetzigen DB-Vorstands, in ihrem Drang die ganze Welt zu besitzen, ins Ausland geschafft haben."
Auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer will nach den massiven Problemen der Bahn wieder mehr in das staatliche Unternehmen investieren. "Bei den Kapazitäten ist die Bahn an die letzten Reserven herangegangen, das geht so nicht weiter", sagte Raumsauer bei einer Sondersitzung der Verkehrsminister Anfang Januar 2011. "Wir müssen wieder richtig investieren und wieder Reserven aufbauen."
Autor: Nicole Scherschun
Redaktion: Kay-Alexander Scholz