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In der Zwickmühle

Klaus Dahmann 26. Februar 2003

Die Staaten Südosteuropas haben ein Loyalitätsproblem: Entweder unterstützen die USA - und werden als "neues Europa" gelobt. Oder sie halten zu Deutschland und Frankreich, den "alten Europäern" - und beziehen Schelte.

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In welchen Wind das Mäntelchen hängen?Bild: AP

Eine unangenehme und heikle Diskussion hat US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit seiner abwertenden Einschätzung des "Alten Europa" ausgelöst. Redakteure der Deutschen Welle befragten Intellektuelle aus Südosteuropa - und alle sind sich einig: Am besten wäre es, überhaupt keine Wahl zwischen den USA einerseits und Deutschland und Frankreich andererseits treffen zu müssen. Und sei es auch "nur" in der Irak-Frage.

Bulgarien: Wie man es macht, ist es verkehrt

Der Meinungsforscher Andrei Raitschev aus Sofia bringt es auf den Punkt: "Bulgarien darf keinesfalls gezwungen werden, eine Wahl zu treffen." Doch gerade sein Land ist in einer besonderen Zwickmühle: Als nicht-ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird die bulgarische Regierung heftig von den USA umworben, die derzeit auf Stimmenfang für eine neue Irak-Resolution sind. Und Sofia hat bereits angedeutet, einen Militärschlag gegen Saddam Hussein mittragen zu wollen.

Nun macht auf der anderen Seite die französische Regierung Druck: Einige EU-Kandidaten hätten - so Präsident Jacques Chirac wörtlich - "die Chance verpasst zu schweigen". Damit verbunden ist eine Drohung: Wer sich in dieser Frage lautstark mit den USA solidarisiere, für den könne das negative Auswirkungen auf die Beitrittsverhandlungen haben.

Andrei Raitschev sieht sich an längst vergangene Zeiten erinnert: "Chiracs Äußerung ist natürlich sehr unangenehm. Die Europäer sollten wissen, dass wir auch eine eigene Meinung haben. Man darf die Position der bulgarischen Regierung nicht einfach mit erhobenem Finger abtun. Es ist zwar nicht mit dem früheren Diktat Moskaus zu vergleichen, aber eine gewisse Arroganz steckt schon darin."

Bosnien-Herzegowina: Am besten schweigen

Heikel - wenn auch aus anderem Grunde - ist auch die Situation für die Menschen in Bosnien-Herzegowina: Denn ihr Staat agiert noch immer nicht souverän, bei vielen Entscheidungen hat der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft das letzte Wort. Internationale Gemeinschaft - das heißt ganz konkret: Europa und die USA. Sich hier für eine Seite zu stellen, bedeute, die andere Seite gegen sich aufzubringen, meint der bosnische Philosophie-Professor Sacir Filandra.

Deshalb sei sein Land wahrlich in keiner beneidenswerten Lage. "In solch einer Situation bemühen sich sowohl normale Menschen als auch die Regierung, gar nicht Position zu beziehen", sagt er. "Sie ziehen es vor zu schweigen, in der Hoffnung, dass eine Entscheidung an ihnen vorbeigehen möge. Bosnien ist immer noch ein zu mürber und schwacher Staat und jedes Missfallen, sei es auf europäischer oder amerikanischer Seite, kann diesem Staat nur schaden."

Mazedonien: Wo bleibt die "europäische Haltung"?

Das Dilemma, in dem sich die ost- und südosteuropäischen Staaten befinden, ist auch deshalb groß, weil die EU-Länder nicht mit einer Stimme sprechen. Es wäre einfacher, sich für eine europäische Haltung in der Irak-Frage zu entscheiden, wenn es sie denn gäbe. Der mazedonische Kolumnist Guner Ismail drückt es positiv aus: "Die Idee vom vereinten, multilateralen Europa ist nicht untergegangen. Untergegangen ist wohl nur die räumliche Vorstellung vom früheren Europa und der Glaube, dass die Welt auf die Art und Weise geteilt werden kann wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Heute ist Europa dynamisch."

Rumänien: Integration leben statt institutionalisieren

Der rumänische Schriftsteller Horea-Roman Patapievici kritisiert die EU. Nicht nur für die Politiker, sondern auch für die junge Generation in den ehemals sozialistischen Ländern sei die Europäische Union heutzutage kein Orientierungspunkt. "Die pro-westliche Haltung der jungen Generation orientiert sich nicht an Westeuropa, sondern an den USA. Alle ihre Bestrebungen sind auf die USA fixiert." Der Schriftsteller nennt auch einen Grund: "Der europäische Integrationsprozess bleibt an der Oberfläche unsichtbar, weil er von Institutionen durchgeführt wird. Die eigentliche Integration ist die in die Vereinigten Staaten, in die Werte der amerikanischen volkstümlichen Kultur."

Griechenland: Gegen blinden Gehorsam

Wächst in Osteuropa tatsächlich, wie Rumsfeld es ausdrückte, ein "neues Europa" heran, das sich durchweg an den USA orientiert? Der griechische Schriftsteller und Literatur-Kritiker Demosthenes Kourtovik dreht diese Einteilung herum: "Das 'neue Europa' - so wie Rumsfeld es versteht - ist im Grunde genommen das 'alte Europa', denn 'altes Europa' ist gleichbedeutend mit diesem blinden Gehorsam gegenüber der amerikanischen Politik", findet er. "Diese Polarisierung zwischen Amerika und Europa, die sich jetzt abzeichnet, mag vorläufig sein, aber sie signalisiert einen tieferen, langwierigeren Prozess. Europa und die USA entwickeln sich auseinander."