Auf der griechischen Insel Samos geht eine Ausstellung der Frage nach, was uns der legendäre "Summer of Love" von 1967 heute noch zu sagen hat. Eine kulturelle Befragung der Demokratie heute - jenseits aller Nostalgie.
Es begann mit roten Nelken und endete im Chaos. 1967, das war das Jahr einer erdrutschartigen Zeitenwende und ein Jahr der Zerreißprobe für die Band "The Rolling Stones". Am 17. April 1967 traten sie im Panathinaiko-Stadion in Athen auf, das letzte geplante Konzert ihrer Europatournee. Eine pechschwarze Nacht, nicht nur wegen der Tumulte, bei denen Brian Jones' Bodyguard im Kampf mit aufgebrachten Fans auf der Bühne ein paar Zähne verlor.
Nach dem Song "Satisfaction", dem 6. Lied des Konzertes, ließ Mick Jagger rote Nelken von der Bühne regnen - ein Symbol des Sozialismus. Das wollten die Machthaber in Athen um jeden Preis verhindern: Die Polizei zog den Stecker, das Licht ging aus, das Konzert endete im Herumstolpern in der Dunkelheit. Und der Bandmanager wurde verhaftet, Keith Richards am nächsten Tag am Flughafen festgehalten und so lange nach Drogen durchsucht, bis er seinen Flieger verpasste.
Nur zwei Tage nach dem Athener Konzertgewitter putschte das griechische Militär – ausgerechnet in dem Jahr, das den Frieden und den "Sommer der Liebe" bringen sollte.
"Summer of Love" auch in Griechenland
"Wir reden von 1968 meistens als einem ikonischen Jahr", sagt die Athener Kunsthistorikerin und Kuratorin Katerina Gregos. "Das Jahr 1967 war aber noch viel prägender." In der Tat: Der Sechs-Tage-Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, der Militärputsch in Griechenland, die massive Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg begründeten eine Protestkultur, die es niemals zuvor gegeben hatte. "Es gab damals nicht nur Sex, Drugs und Rock'n Roll", sagt Gregos. "Wir verdanken die heutigen Emanzipationsbewegungen auch dieser Zeit um 1967."
Kuratorin Gregos hat im griechischen Sommer 2017 nun ihr eigenes Summer-of-Love-Abenteuer in die Hand genommen. Sie hat eine Ausstellung auf der Insel Samos zusammengestellt, die nicht von den Mythen, Erzählungen und überdimensionierten nostalgischen Erinnerungen an das Jahr 1967 handelt - mit Batik-Tüchern, VW-Bullis und rundgehenden Haschisch-Pfeifen. Sie blickt in die Zukunft. "Ich wollte schon seit Jahren eine Ausstellung zum Summer of Love machen, aber nichts Kitschiges, Sentimentales und rückwärts Gewandtes", sagt die energische Gregos, die in ganz Europa kuratiert. "Eher dem nachstöbern, was Utopie war und ist. Und welche Folgen sie hat."
Konzeptkunst als Memorial
Es ist eine sensationelle kleine Ausstellung geworden, die die Münchner Schwarz Stiftung finanziert hat. Seit Jahren ist sie auf Samos aktiv. Im kleinen Fischerort Pythagoreion, im Südosten von Samos, nur zwei Kilometer vom Flughafen entfernt, landet man im Hafen direkt neben zeitgenössischer Kunst.
Zwischen den festgetäuten, türkisen Fischerbooten auf der einen und der Badebucht auf der anderen Seite ragt urplötzlich ein moderner grauer Betonwürfel empor: der Art Space Pythagoreion. Hier kann man den legendären "Summer of Love" tatsächlich in Badehose und Schlappen besichtigen, wenn man will. Niemand sagt etwas. "Love ist the institution of REVOLUTION", hat der griechische Künstler Maikhail Karitkis bannerartig über den Eingang gemalt. Ein paar Straßen wurden hier für die Ausstellung sogar nach den Schauplätzen von 1967 umbenannt, als habe die Hippiewelt von dem Badeort Besitz ergriffen.
Drinnen geht es streng konzeptuell zu. Die holländische Künstlerin Marge Monko hat eine Schwarz-Weiß-Fotomontage mit einer riesigen Pillenpackung aufgespannt. Sie geht der Frage nach, wie sich die Anti-Baby-Pille seit ihrer Einführung in verschiedenen Ländern, zuerst 1960 in den USA, auf das Verhalten der Frauen auswirkte: "The more I make Love/ The more I want to make Revolution", hieß es damals.
POP-Art in der Musik
Im Kunstraum gibt es eine psychedelisch geschwungene, türkis-blaue Kuschelecke mit Vinyl-Platten und Büchern zu den Jahr 1967. Plattenhüllen von den Doors bis Andy Warhol und viele griechischen Cover erzählen ebenso davon wie Protestplakate der 67er-Generation. Wer heute 20 oder 30 ist, kann sich kaum vorstellen, was für ein Kulturrevolution damals explodierte – für die heutige Hipster liegt der Himmel der Hippies ungefähr so weit entfernt wie die Kriegserzählungen des Großvaters. Samos dient da als kleines Aufputschmittel zur Inspiration und als Möglichkeit einer direkten historischen Erfahrung.
1967 war aber auch sehr, sehr politisch, das wird ebenfalls in der Ausstellung deutlich. Der belgische Filmemacher Johan Grimonprez hat gerade den großartigen Film "Shadow World" über den internationalen Waffenhandel und die westlichen Regierungsbeteiligungen an Verkäufen an Dikaturen aller Couleur vorgelegt. Er schneidet Szenen eines politischen Interviews mit Michael Hardt und dem Schwarz-Weiß-Film Alphaville von Godard gegen. Der Meister der Nouvelle Vague inszenierte darin eine frostige Welt, in der Gefühle und Worte wie Liebe, Gefühl, Zuwendung verbannt sind. Die Heldin muss diese Worte erst wiedererfinden und erkämpfen.
Im Kontrast dazu zieht der amerikanische Politikwissenschaftler Michael Hardt in einem Text eine direkte Linie von der Gegenwart zu 1967: "Als der Tahrir Platz in Kairo während des Arabischen Frühlings 18 Tage lang besetzt war, suchte die New York Times ständig den Verantwortlichen, das Individuum, das dahinter steht. Das Faszinierende war aber, wie ganz verschiedene Gruppen hier interagierten. Das war ein wichtiges Experiment, das in den letzten Jahren wiederkehrt in mächtigen Bewegungen wie Occupy. Die sind nicht alle erfolgreich, aber sie entstammen einem politischen Wunsch nach Demokratie. Ich würde alle diese Bewegungen ‚Experimente in politischer Liebe' nennen."
Solange wir eine Gesellschaft haben, die auf Angst gegründet ist, könne es keinen Frieden geben, sagt Michael Hardt. Solche Sätze fließen in die Ausstellung ein - in der Sommerlandschaft von Samos, die von Touristen geprägt ist.
Lifestyle der Hippies ist geblieben
Nach der Wirtschafts- und Flüchtlingskrise kommen die Touristen wieder in Scharen auf die Insel. Allerdings kein unbelasteter Ort: Das türkische Festland ist nur 1,2 Kilometer entfernt, jeden Tag kommen hier Flüchtlinge an. An guten Tagen kann man von der Türkei bis nach Samos schwimmen. Im Norden der Insel leben noch 3.000 Flüchtlinge in einem Camp, das sie großenteils niemals verlassen.
In der Ausstellung treffe ich eine arabische Frau mit Kopftuch und Sonnenbrille, die sich über die Exponate beugt. Eine syrische Journalistin, die selbst geflüchtet ist und ihren Namen nicht nennen will. Sie kümmert sich um andere Flüchtlinge und hat sogar eine kleine Kunstinitiative gegründet. "Die Situation im Lager bei uns ist furchtbar. Das Essen ist schlecht, für die Neuankömmlinge gibt es nichts, nicht mal ein Zelt", berichtet sie. Gerade für Frauen sei die Lage unerträglich. "Ich bin in die Ausstellung Summer of Love gekommen, weil Künstler oft gute Ideen haben. Unsere Flüchtlingsinitiative hat öfter schon Flüchtlinge hierher gebracht."
Eine halbe Stunde von Pythagoreion entfernt, im Norden der Insel, liegt Hippie Beach. Vor vier Jahren ist hier der letzte Hippie gestorben, der die langgezogene Bucht bewohnte. Es gibt hier nur Kiesel, keinen Sandstrand. Doch den Hippies folgten auch die Griechen. "Wir haben uns das Leben der Hippies schon als Jugendliche abgeguckt, haben mit ihnen geredet, geraucht und getrunken, obwohl unsere Eltern streng dagegen waren", sagt der Pächter des Restaurants. Etwas vom Lifestyle der Hippies hat auf die lokale Bevölkerung abgefärbt. Im Restaurant gibt es trockenen Weißwein und eine einfach-ländliche Speisekarte.
Der legendäre "Summer of Love" in San Francisco wurde am 6. Oktober 1967 zu Grabe getragen - in einer düster-makabren Prozession. Auf den griechischen Inseln ist der Geist der Hippies dagegen weiter lebendig. Hier fanden Hunderte von ihnen ihr Rückzugsgebiet. Der Wind, der durch den Strand und die Büsche von Samos weht, riecht würzig. Der Geist von Hippie Beach ist hier noch spürbar.