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Im Jazz fehlen weibliche Stars

29. Juni 2011

Das German Women Jazz Orchestra tritt vom 9.- 16. Juli in der Arabischen Welt an, wo sie schon den Women's Football Cup Arabia 2010 in Bahrain musikalisch begleiteten.

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Das German Women Jazz Orchestra auf dem Cairo International Jazz Festival in Ägypten, März 2011. (Foto:@Goetheinstitut)
Das German Women Jazz Orchestra in KairoBild: Goethe Institut

Die Tour führt das 12-köpfige Orchester gleich durch vier arabische Länder. Und die Damen hoffen, ehrgeizigen jungen Musikerinnen mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Band wurde 2010 von der Deutschen Welle und dem Deutschen Musikrat gegründet und formiert sich aus Mitgliedern des Bundesjazzorchester.

Die Deutsche Welle hat mit Bandleaderin und Saxofonistin Angelika Nieciser über ihre eigens für die Tour komponierten Stücke, die Rolle der Frau in der Musik und über Frauenfußball im Nahen Osten gesprochen.

Deutsche Welle: Sie fahren wieder in den Nahen Osten. Wo geht es diesmal hin?

Angelika Niescier: Das entwickelt sich kontinuierlich, die Pläne wurden geändert. Eigentlich sollten wir auch in Syrien auftreten, aber das klappt leider nicht. Jetzt stehen Beirut im Libanon, Amman in Jordanien, Gaza und Birzeit in Palästina und Arbil im Irak auf dem Terminkalender. Ich komponiere schon eifrig für die Konzerte dort und hoffe, dass wir sogar einige Workshops geben können.

Was werden Sie aufführen?

Anderthalb Stunden Niescier im Big Band Stil.

Warum fahren Sie in diese doch nicht ganz ungefährliche Region?

Plakat Konzertankündigung in Ägyten (@Goetheinstitut)
Konzertankündigung in ÄgytenBild: Goethe Institut

Angefangen hat alles 2010. Das German Women Jazz Orchestra wurde von der Deutschen Welle und dem Deutschen Musikrat anlässlich des arabischen Frauen Football Cup 2010 gegründet. Wir spielten in Bahrain einige meiner Kompositionen und ich war auch beauftragt, eine Hymne für die Eröffnungszeremonie zu schreiben. Das war das erste Mal, dass wir in dieser Besetzung aufgetreten sind. Und ich fand, es wäre doch jammerschade, wenn es bei einem einzigen Mal bliebe. Deswegen habe ich einige Goethe-Institute kontaktiert, und sie fanden, es sei eine tolle Idee, ein weibliches Orchester in verschiedene Regionen dieser Welt zu schicken. Und so fuhren wir im März 2011 zum Cairo Jazz Festival.

Es war eine wirklich überwältigende Erfahrung. Wir traten beim ersten großen Kulturevent nach der Revolution an, die Anfang das Jahres stattgefunden hat. Die Atmosphäre vor Ort war einzigartig; die Leute wollten etwas für ihr Land und für ihre Lebensweise tun. Sie genossen unseren Auftritt sehr und haben uns enthusiastisch empfangen.

Wie kam jetzt die Tour in andere arabische Länder zustande?

Die Goethe-Institute haben das angeleiert. Wenn man eine reine Frauenband losschickt, ist das auch ein politisches Statement. Man kann zeigen, dass man ein Anliegen hat - nämlich bezüglich der Rolle der Frau -, aber man spricht es nicht so direkt aus. Anders wäre ein Film, der das Leben der Frauen in Deutschland und den arabischen Ländern vergleicht. Es ist trotzdem eine klare Aussage, was möglich ist und dass es gut ist. Aber wir versuchen nicht, daraus ein großes Ding zu machen, es ist einfach eine Stellungnahme.

Das German Jazz Orchestra in Bahrein (Foto: Ahmed Hazeem)
Auftritt in BahrainBild: DW

Es geht auch nicht nur darum, dass Mädchen netten Jazz spielen. Dass wir alle Frauen sind, mag vielleicht in den ersten zwei Minuten des Auftritts eine Rolle spielen, aber danach geht es nur noch um die Musik und nicht um Männer oder Frauen. Womit ich nicht sagen will, dass Frauen in der Musik kein Thema wären, im Gegenteil. Selbst hier in Europa findet man nur wenige hochqualifizierte Frauenorchester. Sie sind ziemlich selten, denn es gibt nur wenige professionelle Musikerinnen, mit denen man ein Orchester aufbauen könnte.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Wieviel Zeit haben Sie? (lacht) In den Musikhochschulen gibt es Studentinnen, aber das Verhältnis zwischen Männern und Frauen liegt nicht bei 50:50, zumindest nicht im Bereich Jazz und improvisierte Musik. Wenn man die Sängerinnen mal außen vorlässt, liegt das Verhältnis je nach Instrument bei circa 30:70.

Publikum auf dem Kairo International Jazz Festival (Copyright: DW/Nelly Ezzat)
Volles Haus in KairoBild: DW/Nelly Ezzat

Irgendetwas scheint dann noch zwischen dem Abschluss und dem Eintritt ins Berufleben zu passieren, es werden noch weniger Frauen. Deswegen gibt es kaum hervorragende und erfolgreiche Musikerinnen im Jazz. Es sind wahrscheinlich nicht mal zehn, ich kann sie wohl an einer Hand abzählen.

Was hält die Frauen zurück? Mangelndes Selbstvertrauen, Lampenfieber, auf einer Bühne zu stehen, oder gibt es unsichtbare Barrieren, die es Frauen schwerer machen?

Ich weiß es nicht genau. Ich habe oft darüber nachgedacht und bin irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass viele meiner Kolleginnen einfach keine Lust auf den Stress haben, den dieser Beruf mit sich bringt. Das ist aber nur meine persönliche Meinung, man sollte das in Studien genauer untersuchen.

Natürlich ist es stressig, das professionelle Niveau hochzuhalten. Vielleicht wollen einige Frauen nur Musik unterrichten und sich ansonsten auf ihre Familien konzentrieren. Es ist sicher kein Zuckerschlecken. Aber ab einem gewissen Punkt spielt es gar keine Rolle mehr, ob man Männlein oder Weiblein ist, da geht es dann nur noch darum, die Musik und die Kunst weiterzuentwickeln. Meine Kolleginnen und ich wollen deswegen ein bisschen eine Vorreiterrolle übernehmen, Workshops geben und Mädchen ermutigen, Musikerinnen zu werden.

Wie würden Sie Ihre Kompositionen beschreiben?

Angelika Niescier spielt Saxophon auf der JazzKicks Veranstaltung in Bahrain (Foto: Andrea Bóttcher)
Bandleaderin Angelika NiescierBild: DW

Naja, da ist natürlich jede anders. Ich versuche gern, durchdachtes komponiertes Material mit emotionalen Improvisationen zu mixen, so dass die Zuhörer raten müssen, was jetzt der komponierte Teil ist und was improvisiert wurde.

Was oder wer inspiriert Sie am meisten?

Das ist eine schwere Frage. Komponisten wie Stravinsky, moderne und klassische Musik, Alban Berg, Luigi Nono und natürlich Jazzlegenden wie John Coltrane, Dave Holland oder Anthony Braxton. Aber ich bin auch offen für andere Künste. Eine ständige Quelle der Inspiration sind für mich die Werke des Malers Barnett Newman. Außerdem liebe ich modernen Tanz. Ich glaube, Kunst inspiriert sich gegenseitig und hilft dabei, sich weiterzuentwickeln.

Wie war es letztes Jahr in Bahrain? Wie kam es zur Kombination Fußball und Musik?

Das war Steffi Jones Idee. Sie ist die Lokale Präsidentin des Organisationskomitees der Frauen WM 2011. Seit drei Jahren arbeitet sie daran, dass das Publikum mehr Interesse an Frauenfußball zeigt und versucht den Gedanken voranzutreiben, dass Mädchen und Frauen durchaus auf professionellem Niveau Fußball Wettkämpfe austragen können. Immerhin ist Deutschland das Land der Weltmeisterinnen. Steffi Jones ist um die ganze Welt gereist, um Frauenfußball anzupreisen.

Celia Okoyino Da Mbabi spielt Fußball (Foto:Gero Breloer/AP/dapd)
Deutschland ist Gastgeberland der Frauen-WM 2011Bild: dapd

Aber in arabischen Ländern gibt es natürlich mehr Debatten darüber als hier. Dort geht es nicht nur um die Popularität des Sports; in einigen Ländern dürfen Frauen noch nicht mal Fußball spielen, geschweige denn an Wettkämpfen teilnehmen. Insofern war der Women’s Football Cup Arabia ein großer Coup. Einige der teilnehmenden Teams hatten sich gerade mal drei Monate zuvor gegründet. Andere, wie das jordanische, gab es schon ein paar Jahre. Die Jordanierinnen haben letztendlich gesiegt und nehmen jetzt an der Frauen-WM in Deutschland teil.

Es ist mehr als eine Frage des Sports oder des Geschlechts; es ist eine politische
Angelegenheit. Deswegen haben die Deutsche Welle und der Deutsche Musikrat beschlossen, den Cup Arabia mit Musik zu unterstützen. Und immerhin gab es genug Frauen, um das German Women Jazz Orchestra zu gründen.

Sie haben gesagt, dass es sehr wenige Berufsmusikerin gibt. Was würden Sie Mädchen und jungen Frauen raten, die über eine Musikerinnen-Karriere nachdenken?

Sie sollen es einfach angehen. Und auf keinen Fall denken: "Oh, vielleicht schaffe ich das nicht" oder "Das ist so hart." Natürlich ist es hart, aber das ist es überall und in jedem Beruf. Na ja, vielleicht ist ein künstlerischer Werdegang schwerer zu gehen als zum Beispiel Biologielehrerin zu werden. Im Endeffekt arbeitet man rund um die Uhr und entwickelt ständig Sachen weiter. Aber wenn man das Bedürfnis verspürt sich mitzuteilen und dieses Bedürfnis stark genug ist, dann sollte man es einfach tun.

Junge Geigenspielerin (Foto: DW-abed samara)
Hoffnungsvoller NachwuchsBild: DW/Abed Samara

Man sollte ich auch keine Sorgen machen, wie man das später mit einer eigenen Familie hinkriegt. Alles ist machbar, wenn man es nur will. Ich habe genug Kolleginnen, die Familie und Musikkarriere unter einen Hut kriegen. Man muss einfach alles geben, solange man noch studiert, und später kommt es dann auf die innere Einstellung an. Also, mach' es jetzt und schieb es nicht auf. Man muss immer präsent sein, auf der Bühne stehen, spielen und proben, sich von Anfang an weiterentwickeln und immer komponieren.

Eine letzte wichtige Frage: Warum braucht die Welt Musik?

Warum braucht die Welt Politik, warum müssen Menschen miteinander reden? Meiner Meinung nach ist es ein menschliches Grundbedürfnis, Kunst darzubringen und Kunst zu genießen – und zwar nicht nur um Spaß zu haben und dann ist alles gut. Nein, Musik und Kunst sind ein Spiegelbild dessen, was Menschsein bedeutet und was Menschlichkeit in der Gesellschaft ausmacht. Und genau deswegen brauchen wir sie. Wir brauchen Essen und ein Zuhause, aber wir brauchen ebenso die Musik.

Das Gespräch führte Louisa Schaefer
Adaption Suzanne Cords/ Redaktion: Rick Fulker