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Ikone als Kulturminister

Soraia Vilela3. Januar 2003

"In ärmeren Häusern lebt man auch", meinte der Popstar Gilberto Gil, als er als neuer Kulturminister Brasiliens feststand. Er hat gerade einmal 50 Millionen Euro in seinem Etat. Aber Gil läßt sich davon nicht entmutigen.

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Gilberto Gils ursprüngliche Profession: PopstarBild: DW

Mit einer Biografie, die "beruflich und moralisch indiskutabel ist", wie der Rockmusiker Roberto Frejat neulich sagte, ist Gilberto Gil einer der Ikonen der música popular brasileira. Nach einem BWL-Studium am Anfang der Sechziger Jahre stieg der Sohn eines Arztes und einer Grundschullehrerin in die Musikwelt ein. Aus dem Akkordeonspieler wurde ein Guitarrenvirtuose und später ein Komponist, der aus der eher konservativen Musikrichtung Bossa Nova den bahnbrechenden "Tropicalismo" entwickelte.

Revolution und Exil

Am Ende der Sechziger Jahre diente Gil die Musik als Mittel zur politischen Aktion. Seine kritischen und zur Zeit der Militärdiktatur hintersinnig verschlüsselten Texte galten in Brasilien als erstes Zeichen einer gesellschaftlichen Revolution, die sich als die "tropische Cousine" der 68er Bewegung sah. Nachdem Gil 1969 wegen "Subversion" ins Gefängnis musste, ging er ins Exil nach London. Drei Jahre später war er wieder zurück.

Neben Caetano Veloso, Tom Zé und vielen anderen, plädierte Gil damals für ein gesellschaftliches Modell, welches das "Auffressen ausländischer kultureller Werte" empfahl. Freilich nur in Verbindung mit dem Schutz der eigenen Kultur. Praktisch hieß dies, das Land sollte nicht alles "schlucken", sondern die eigenen Richtlinien selbst bestimmen, um internationalen Partnern gegenüber Autonomie zu gewinnen.

Pop, Rock, Reggae und zeitgenössische Musik

Musikalisch dienten Gil damals nicht nur die Rock- und die Reggaeszene als Inspirationsquellen, sondern auch zeitgenössische Komponisten wie Pierre Boulez, John Cage oder Karlheinz Stockhausen. "Das war, als ob ich in Kontakt mit einer Musik getreten wäre, die gar keine Musik war. Eine Musik, die das Geräusch, den Krach und die Ruhe miteinbezogen hat", erklärt Gil auf seiner Homepage.

Seit über drei Jahrzehnten stürtmt Gil von Erfolg zu Erfolg. Seine Platten wurden weltweit verkauft und im Laufe der Zeit stand sein Name immer mehr für Begriffe wie Rassendemokratie und Umweltschutz. In den achtziger Jahren trat er den brasilianischen Grünen bei. Später gründete er eine der ersten Nicht-Regierungs-Organisationen Brasiliens, die für Umweltschutz kämpfende "Onda Azul" (Blaue Welle).

Auch die Verteidigung der kulturellen Wurzeln Brasiliens steht im Mittelpunkt seiner Arbeit. "Brasilien hat ein schwarzes Gesicht und sein Unbewußtes ist schwarz. Wenn wir die kontinentalen Dimensionen des Landes berücksichtigen, ist Brasilien das Land, das am stärksten von den Schwarzen beeinflusst wurde".

Politisch mittelmäßig?

Während der Musiker und Aktivist Gil allgemein geschätzt wird, sind seine politischen Meriten umstritten. Nachdem er 1987 die Funktion des Kulturbeauftragtes von der Stadt Salvador ausübte, saß er für eine Legislaturperiode im Stadtrat. Selbst politische Freunde bezeichneten seine Performance damals eher als mittelmäßig.

Heute, nach erfolgreichen 42 Jahren als Komponist und Sänger mit 67 Platten, übernimmt der 60-jährige Gil die wahrscheinlich schwierigste Aufgabe seines Lebens: Mit knappen Mitteln das Kulturministerium Brasiliens zu verwalten. Einmal im Monat will er doch weiterhin Konzerte veranstalten, um seine eigene Produktionsfirma – "wegen der paar Dutzend Arbeitsplätze" – weiter betreiben zu können.

Dies sorgte in Brasilien schon für Aufregung, aber seine Ernennung wurde im Großen und Ganzen mit Begeisterung aufgenommen. "Gil ist eine Ikone, die eine Identifikation aller Brasilianer hervorruft — von der intellektuellen Schicht bis hin zu den Jugendlichen in der Peripherie der Großstädte", fasst der brasilianische Schriftsteller Bruno Tolentino die Stimmungslage zusammen.

Der Journalist und Kulturmanager Jorge da Cunha Lima erläutert: "Normalerweise haben Minister akademische Qualifikationen. Gil besitzt eher ein kreatives Potential". Und das ist nicht gerade unerwünscht in einem Land, in dem die regierenden Oligarchien mit bisher einem Prozent des Haushalts zeigen, was für einen Wert die Kultur für sie hat.