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Hintergrund: Warum Bolivien überkocht

Andrea Böckmann 17. Oktober 2003

Schmuggel und Coca-Anbau wurden verboten. Der neue Präsident versprach den Menschen Arbeit. Was daraus geworden ist und warum die Bolivianer jetzt auf die Straße gehen - DW-World beleuchtet die Hintergründe.

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Besonders der indigenen Bevölkerung geht es schlechtBild: AP

Für viele Bauern in Bolivien war der Anbau von Coca und der Verkauf der Blätter jahrelang die wichtigste Einnahmequelle. Bolivien, das heute ärmste Land Südamerikas, war weltweit Coca-Produzent Nummer Eins. Die Bauern im Chapare erzählen, daß man Kokain in Mehlsäcken an der Straße kaufen konnte. Die Regierung von General Garcia Meza förderte die Drogenproduktion und war am Geschäft beteiligt. Aber auch Mitglieder späterer Regierungen verdienten Millionen von Dollar während ihrer Amtszeit - Geld, das sie von ihrem Lohn als Staatsdiener allein nicht hätten anhäufen können.

Ein zweiter bedeutender Wirtschaftszweig war der Schmuggel. Wie bei den Drogen auch, wurde die Masse der Bolivianer davon zwar nicht reich - das große Geld floß in andere Kanäle. Aber es reichte zum Leben. Und das Geld trieb auch den Handel an. Alle Bolivianer hatten etwas davon.
Die USA mischen sich ein

Auf zunehmenden Druck der USA hin erklärte die bolivianische Regierung Ende der 90er Jahre dem Coca-Anbau und dem Schmuggel den Krieg. Zum Ausgleich erhielt das Land finanzielle Hilfe. Das Ziel: die Förderung alternativer Produkte in der Landwirtschaft. Der Bürgermeister eines Ortes im Chapare, der Coca-Region Boliviens, meint, es nutze nichts, wenn man die Bauern zum Umsatteln auf andere Produkte zwinge - sie seien meist nicht konkurrenzfähig. So vergammeln die Ananas, die Palmenstengel vertrocknen und die Bauern hüten ihre geheimen kleinen Coca-Felder und fordern die Legalisierung des Anbaus.

Proteste kochen auf

Dieser Konflikt führt seit mehreren Jahren immer wieder zu heftigen Schlachten zwischen dem Militär und den Indio- und Bauernverbänden. Deren beliebtestes Mittel ist die Blockade der wenigen Hauptverkehrsstraßen. So wie auch in diesen Tagen vermittelt dann häufig die Kirche.

Investitionen aus dem Ausland

Bolivien ist dreimal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, hat aber nur achteinhalb Millionen Einwohner. Damit ist es ein kleiner Markt. Große Investitionen fließen deshalb auch nicht in den Aufbau einer nationalen Industrie. Früher wurde in die Minen investiert - schon die Spanier beuteten die Gold- und Silbervorkommen Boliviens aus - heute kommt das Geld aus dem Ausland, zum Beispiel für das umstrittene Gasprojekt.

Doch die meisten Bolivianer haben den Eindruck, daß ihre Bodenschätze ins Ausland verhökert werden, ohne daß sie selber davon ausreichend profitieren. Dem entspricht eine Statistik. 70 Prozent der Menschen leben in Armut.

Leere Versprechungen

Vor seiner Wahl im vergangenen Jahr versprach der jetzige Präsident Boliviens, Sanchez de Lozada : "Ich will Arbeit schaffen durch öffentliche Aufträge. Wie kann es zum Beispiel sein, daß unser Land die reichsten Gasvorkommen hat, aber die Menschen keinen Anschluß in ihren Häusern." Er gewann die Wahl. Von den versprochenen Arbeisplätzen ist bislang aber nichts zu spüren.

Goni, wie die Bolivianer ihren Präsidenten nennen, war schon einmal im Amt. Das war in den 90er Jahren. Und nach Meinung vieler ist er somit für einige Probleme direkt verantwortlich, die die Menschen heute bedrücken. Dazu gehört zum Beispiel die Versorgung mit Strom, Wasser, Telefon. Goni hat damals die Betriebe privatisiert. Aber: Die Qualität ist genau die gleiche. Das einzige, was sich verändert hat, sind die Preise.

Der Politikwissenschaftler Mansilla sieht das Problem darin: "Hier in Bolivien wurden die Firmen nicht verkauft. Das tolle Modell von Sanchez de Lozada bedeutete, daß die Unternehmen verschenkt wurden gegen das Versprechen von Investitionen."

Idee war gut - Umsetzung schlecht

Eigentlich war der Gedanke nicht schlecht, die ausländischen Investoren zur Modernisierung der ehemaligen Staatsbetriebe zu zwingen, damit sich die Infrastruktur in dem armen Land verbessert. Es fehlten aber die Kontrolle und die Mittel, das auch durchzusetzen.

Auch deshalb fordert die Opposition die Abschaffung des Energiegesetzes, das nach ihren Angaben dafür sorgt, daß nur 18 Prozent der Einnahmen der Energiebetriebe im Land bleiben. Der Präsident will das Gesetz jetzt überprüfen. Und er will ein Referendum abhalten über die geplanten neuen Gasexporte. Inhaltlich hat er sich aber nicht festgelegt. Und die Opposition fordert weiterhin seinen Rücktritt.