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Hilfswerke in Haiti kündigen mehr Transparenz an

9. Februar 2011

Nach Katastrophen wie dem Erdbeben in Haiti läuft bei den Hilfsorganisationen als erstes die PR-Maschinerie an. So sollen möglichst viele Spenden eingesammelt werden. Doch das geht oft zu Lasten der Hilfe vor Ort.

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Bild: DW

Als vor einem Jahr in Haiti die Erde bebte, wurde Minuten später weltweit davon berichtet, die ersten Bilder folgten kurze Zeit später, zusammen mit Dutzenden Kontonummern. Die Zuschauer leisteten Katastrophenhilfe von der Couch aus: Sie spendeten, was das Zeug hielt. Fernab vom Katastrophenherd fand der Kampf der Hilfsorganisationen um die Gunst der Spender statt, in Fernsehen, Zeitungen, Radio und Internet. "Wir haben ein enges Zeitfenster von vielleicht 48 Stunden, um es in die Medien zu schaffen", erklärt Wolfgang Tyderle, Leiter im Bereich Nothilfe bei der Hilfsorganisation Care. Denn je mehr und vor allem je schneller über ein Hilfswerk berichtet wird, desto mehr Spenden kommen dort an.

Spenden sammeln in der Tagesschau

UN-Hilfskonvoi versorgt Haitianer mit Wasserflaschen (Foto: ap)
Bilder wie diese ermutigen viele Menschen zu spendenBild: AP

Ohne Spenden geht auch mit viel gutem Willen nichts. Die Organisationen stecken dadurch in einem Zwiespalt: Gehen sie die Hilfsaktion strukturiert an, kann es einige Tage dauern, bis sie den Kameras Bilder von Helfern und Medikamententransporten liefern können. Doch eben diese Aufnahmen wollen die Zuschauer sehen: ohne emotionale Bilder keine Spenden. Also werden Bilder produziert, zum Beispiel von Transportflugzeugen, die gar nicht dringend gebraucht werden. Die Katastrophenhilfe sieht sich oft gezwungen, auch einen Unterhaltungswert zu bieten, unter Einsatz von viel Zeit und Geld. Doch die Hilfswerke orientieren sich bereits um. “Diese unsinnigen Hilfsgüterflüge fallen flach”, sagt Tyderle. “Die werden nicht gemacht, nur weil die Tagesschau Bilder braucht, wie ein Jumbo beladen wird.”

Neben Care gibt es auch andere Organisationen, die sich wieder entfernen wollen von dem Zwang, die Zuschauer mehr zu unterhalten als zu informieren. Zur Dachorganisation "Aktion Deutschland hilft" gehören neben Care auch neun andere Organisationen, die dadurch untereinander weniger in Konkurrenz stehen. Manuela Roßbach, Geschäftsführerin der "Aktion Deutschland hilft", bedauert den Umgang mit Katastrophen in der Öffentlichkeit: "Ich habe den Eindruck, dass Katastrophen in den Medien so ähnlich sind wie Skandale. Es gibt Opfer, es gibt Helfer, es gibt Schuldige. Das ist einfach und man kann die Komplexität verkürzen." Die Hilfswerke wollen sich nun gegen die Vereinfachung in den Medien stellen.

Unvollständige Berichterstattung der Journalisten

Haitianisches Kind (Foto: ap)
Bilder wie diese machen es Journalisten manchmal schwer, objektiv zu berichtenBild: AP

Bei dieser neuen Selbstkontrolle geht es jedoch nicht nur um einige verlorene Tage und Gelder direkt nach der Katastrophe. Aus Angst, die Spenden könnten ausbleiben, berichten Hilfsorganisationen ungern darüber, wenn ihre Maßnahmen einmal fehlschlagen. In der Pflicht stehen deswegen vor allem die Medien. "Das Marketing der Hilfswerke wird kaum kritisch untersucht. Über die Fehlschläge der Entwicklungszusammenarbeit, wie es sie in jedem Politikbereich gibt, wird kaum je berichtet", kritisiert die Journalistin Renate Wilke-Launer. Würden die Medien genauer nachforschen, wäre die Arbeit der Hilfswerke transparenter.

Die unvollständige Berichterstattung kommt vor allem daher, dass Katastrophen auch bei Journalisten oft Mitleid erwecken, wo es nicht hingehört, erklärt Wilke-Launer: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache. Und gegen diese journalistische Maxime wird in keinem Feld so häufig verstoßen wie in der Berichterstattung über Entwicklungshilfe."

Verfälschtes Bild von Haiti nach dem Erdbeben

Feldlazarett in Carrefour (Foto: ap)
Und Bilder wie diese erwecken den Eindruck, dass bei der Hilfe immer alles glatt läuftBild: ISAR Germany

Die Hilfsorganisationen haben jetzt beschlossen, den ersten Schritt zu tun. Sie wollen versuchen, den Zuschauern mehr zuzutrauen. Sie hoffen, dass ihre Spender verstehen, dass Katastrophenhilfe und Wiederaufbau viele Monate dauern und manche Aktionen fehlschlagen. Denn wer spendet, hat auch ein Anrecht auf eine umfassende und objektive Berichterstattung darüber, wie sich das betroffene Land nach dem Schicksalsschlag entwickelt. Über Haiti ist selbst nach Ansicht der Einheimischen die Berichterstattung im Ausland zu einseitig geraten. "Meines Erachtens wurde sehr schnell und sehr viel über Haiti berichtet", sagt der haitianische Soziologe Marc Auguste. "Seitens der Haitianer hat man uns nie gefragt, wie das ankommt. Wir bekommen selbst langsam den Eindruck, wir seien Weltmeister im Betteln." Es geht ihm zu stark um den Ruf nach Spenden, alles andere bleibe zweitrangig.

Medien und Hilfswerke müssen dabei nicht bis zur nächsten Naturkatastrophe warten, um die Menschen besser zu informieren. Den Organisationen wäre schon viel geholfen, wenn auch zu anderer Zeit ein stetiges Interesse an ihrer Arbeit bestünde.

Autorin: Annika Reinert

Redaktion: Oliver Pieper