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"Heute Syrien, morgen vielleicht Jordanien oder die Türkei"

Das Interview führte Emad Ghanim12. September 2006

Nahost-Experte Michael Lüders äußert sich im DW-WORLD.DE-Interview zu den Hintergründen des Anschlags auf die US-Botschaft in Syrien. Die Täter seien möglicherweise aus dem Irak eingesickerte radikale Islamisten.

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Michael Lüders

DW-WORLD.DE: Der heutige Angriff auf die US-Botschaft in Damaskus wäre nicht der erste Anschlag von Islamisten in Syrien. Ist Syrien eher ein Opfer oder ein Unterstützer des Terrors?

Michael Lüders: Das ist eine Frage des Standpunkts des Betrachters. Aus amerikanischer Sicht sind die Syrer hinter diesem Anschlag zu vermuten: Sie seien die eigentlichen Täter. Aber ich glaube nicht, dass das syrische Regime so unklug wäre, selber einen solchen Anschlag zu begehen. Ich vermute, dass es radikale Islamisten sind, die möglicherweise aus dem Irak nach Syrien eingesickert sind.

Gibt es eine Verbindung zwischen dem heutigen Angriff und der letzten El-Kaida-Videobotschaft, in der vor neuen Anschlägen gewarnt wird?

Der britische Botschaft in Damaskus sieht keinen Zusammenhang zwischen El Kaida und dem letzten Anschlag. Ob es einen solchen Zusammenhang gibt, wissen wir gegenwärtig noch nicht. Aber ich habe den Eindruck, dass es eher eine kleinere Gruppe war.

Was war die Botschaft der Täter? Und an wen war sie gerichtet?

Die Botschaft war in erster Linie an den Westen gerichtet, vor allem an die USA mit Blick auf den Jahrestag der Anschläge vom 11. September. Ich glaube aber auch, dass dieser Anschlag eine Botschaft an das syrische Regime war nach dem Motto: 'Wir haben Euch genauso im Visier wie die Amerikaner.'

Welche Folgen hat dieser Anschlag für die syrisch-amerikanischen Beziehungen?

Die Beziehungen zwischen den USA und Syrien bleiben angespannt und schlecht. Die USA sehen Syrien auf der Achse des Bösen und sind an einer Normalisierung der Beziehung nicht interessiert.

Bedeutet der Anschlag auch einen Auftrieb für die Spannungen zwischen der Regierung und Oppositionspolitikern?

Nein. Ich denke, die syrische Regierung hat begriffen, dass sie nunmehr einen neuen Feind hat, nämlich radikale Islamisten. Diese wurden in der Vergangenheit, bis hin zum Massaker von Hama 1982, brutal unterdrückt. Jetzt sind sie aber wieder da, und sie stellen eine ernste Herausforderung für das syrische Regime dar. Vor allem dadurch, dass im Irak ein Hinterland ist, wo syrische Extremisten in der Waffentechnik ausgebildet werden. Von dort aus können sie jederzeit nach Syrien einsickern, um Anschläge zu verüben.

Die USA haben Syrien mehrfach vorgeworfen, Waffen an die Aufständischen im Irak zu liefern. Bekommt Syrien jetzt die Quittung dafür?

Das kann man in der Tat so sehen. Syrien hat den bewaffneten Widerstand im Irak offiziell eher verurteilt als unterstützt. Tatsächlich gab es aber immer wieder die Bereitschaft der Regierung in Damaskus, bewaffnete Gruppierungen im Irak zu unterstützen. Es kann durchaus sein, dass dadurch mittlerweile eine Situation entstanden ist, die außer Kontrolle geraten ist. Wenn das so sein sollte, dann wäre dies ein erster Hinweis darauf, wie sehr die schwierige Sicherheitslage im Irak auch die Sicherheit der Nachbarstaaten bedroht. Heute ist es Syrien, morgen vielleicht Jordanien, die Türkei oder ein anderes Land.

Der Nahost-Experte Michael Lüders (1959) hat arabische Literatur in Damaskus sowie Islamwissenschaften, Politologie und Publizistik in Berlin studiert. Der langjährige Nahost-Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit" lebt als Politik- und Wirtschaftsberater, Publizist und Autor in Berlin.