Besteigung des Fuji
16. August 2018Der schnellste Weg zum Fujiyama ist der Bus. Etwa zwei Stunden braucht man vom Bahnhof Shinjuku in Tokio zu Japans alles überragender Landmarke. Der Fuji ist 3776 Meter hoch und er versteckt sich gern hinter Wolken. Wenn die Wetterbedingungen stimmen, man die richtige Tageszeit und den richtigen Aussichtspunkt erwischt hat, kann man Glück haben. Dann zeigt sich der Fuji majestätisch über der Skyline Tokios. Fast wirkt er wie ein Mahnmal. Er scheint den Bewohnern der Mega-City zu seinen Füßen sagen zu wollen: He, ihr da unten, es gibt mehr als nur Arbeit!
Je näher man dem Fuji kommt, umso respekteinflößender wirkt die perfekt symmetrische Silhouette des Bergs. Als wir durch die kleine Stadt Fujiyoshida kommen, ist der Fuji ist mal wieder hinter Wolken verschwunden, sie scheinen seine Mitte zu umarmen. Der Fujiyama ist der höchste Berg Japans und noch immer ein aktiver Vulkan. Der letzte Ausbruch war im Jahr 1707. Das beruhigt. Gleichmäßig und sanft fallen seine Flanken ab. Da sollte der Aufstieg doch zu schaffen sein. Ob sich das lohnt, mit allen anderen da rauf zu klettern, nur um den Sonnenaufgang zu sehen?
Auf halbem Weg zum Gipfel
Viele Touristen wählen für ihr Bergabenteuer den Yoshida Wanderweg. Es soll der einfachste Aufstieg sein. Ausgangspunkt ist die fünfte Bergstation, der beliebteste Stop der Fuji Subara Bus-Linie. Die Station liegt auf 2.305 Metern Höhe - damit hat man die Hälfte des Weges schon geschafft. Insgesamt hat die Subara Linie zehn Haltestellen. Man könnte natürlich bei der ersten aussteigen und von dort aus auf den Fuji steigen. Aber warum, wenn es doch auch einfacher geht.
Dass die fünfte Station bei Touristen so beliebt ist, merkt man auch an den saftigen Preisen für Souvenirs und Snacks. Da kann es passieren, dass ein einfaches Currygericht so viel kostet wie der Berg hoch ist, das wären 3.776 Yen, umgerechnet knapp 30 Euro. Da kaufe ich doch lieber ein paar Postkarten als Beweis, dass ich da war. Oder gleich diesen hölzernen Wanderstab, der ist sehr nützlich - in mehr als einer Hinsicht, wie sich später noch herausstellt.
Wähle Dein Schicksal
An der fünften Station hat man die Wahl zwischen zwei Wegen, dem Yoshida oder dem Subashiri Trail. Es gibt noch zwei andere Routen, den Gotemba und Fujinomiya Trail. Aber dafür muss man fast einmal um den Berg herum, bevor man überhaupt loslegen kann. Das kommt für mich nicht infrage.
Die meisten wählen den Yoshida Trail, weil er unmittelbar an der Busstation beginnt. Es fängt harmlos an. Etwa eine Stunde geht man nur durch Wald. Man kommt an Schildern vorbei, die die verbleibenden Minuten bis zum Gipfel anzeigen. Oder sie fordern die Wanderer auf, an den Bergstationen Pausen einzulegen. Und man wird vor allerlei Gefahren gewarnt, zum Beispiel vor Steinschlag oder plötzlich auftretenden Windböen. Auf der sechsten Station dünnt sich der Wald so langsam aus. Rundherum nur noch nackter Fels. Hier fühlt man sich plötzlich den Elementen ausgeliefert.
Bitte keine Felsen mehr!
Es ist wie im wirklichen Leben. Innerhalb von einer Sekunde kann alles anders werden. Das gilt erst recht für einen Berg wie den Fujiyama. An der fünften Station ist der Himmel noch blau, gesprenkelt von fröhlichen, kleinen weißen Wölkchen. Eine Stunde später ist man schon mittendrin in diesen "Wölkchen". Und sie wirken weder fröhlich noch klein.
Die Wolken sind nicht das einzige Element, mit dem ich kämpfen muss. Meine Kondition lässt nach. Bis zur sechsten Station war der Weg noch gemütlich, ab und zu mal ein Handlauf zur Sicherung, hie und da eine leichte Brise, Sonnenschein. Aber dann ist plötzlich alles grau, überall Fels. Und über den muss man ja irgendwie rüber. Von Wanderung ist also keine Rede mehr. Das hier ist eine Kletterpartie. Sie wirkt endlos. Jetzt dämmert es mir, warum man für diesen ein Kilometer langen Abschnitt eine Stunde brauchen soll.
Kurze Pause
Ach, wäre ich doch nur ein flinker Präriehase, dann könnte ich den Aufstieg in nur wenigen Stunden schaffen. Aber ich bin ein normal sterblicher Wanderer. Meine Kraftreserven reichen nur bis zur achten Station. Und dafür habe ich acht Stunden gebraucht. 600 Meter vor dem Gipfel muss ich Pause machen.
Neidvoll betrachte ich die winzigen schwarzen Punkte am Gipfel. Jeder Punkt ein Wanderer. Ich wäre so gerne dort, wo sie jetzt sind. Aber meine Beine sagen mir, bleib, wo du bist. Sie wollen keinen Schritt weiter.
Also muss ich übernachten. Dafür ist am Fujiyama selbstverständlich vorgesorgt, es gibt Hütten. Aber wie zu erwarten, sind sie nicht gerade billig. Die Preise variieren, ich habe 7.800 Yen, also etwa 62 Euro. Als Faustregel gilt: je höher, desto teurer. Es gibt ein einfaches Essen und einen Schlafsack. Man liegt wie Sardinen in der Dose, dicht an dicht. Manche Hütten bieten ein kleines bisschen mehr Privatsphäre - wenn man bereit ist, dafür Geld auszugeben.
Gleichgültig, was man für den nächsten Morgen geplant hat - pünktlich um 1:30 Uhr wird man geweckt. Denn jeder will den Sonnenaufgang auf dem Gipfel erleben - ganz egal, wie kurz die Nacht in dem beengten Schlafraum auch war. Alle nesteln geräuschvoll im Dunkeln in ihren Rucksäcken und machen sich startklar. Wer eine Taschenlampe im Rucksack hat, ist klar im Vorteil.
Der leichte Weg nach oben
Wer nicht mit der ganzen Meute auf überfüllten Pfaden zum Gipfel möchte, für den sind die Hütten auf der achten Station eine echte Alternative. Sie liegen so hoch, dass auch von hier aus der Sonnenaufgang ein Erlebnis ist.
Am besten, man lässt die Frühaufsteher einfach ziehen und bleibt liegen. So gegen 4:30 Uhr sollte man sich langsam aus dem Schlafsack schälen und vor die Hütte treten. Auch von hier ist der Sonnenaufgang ein Genuss. Die paar hundert Meter zum Gipfel machen fast keinen Unterschied. Nur für das Ego.
Ausgeruht geht es jetzt zum Gipfel. Langsam, Schritt für Schritt. Die Luft ist dünn, man muss sich langsam bewegen. Und dann ist der Moment gekommen. Der Gipfel. Geschafft!
Fehlt nur noch der Beweis. Da kommt der Wanderstab ins Spiel. Auf jeder Bergstation kann man sich für eine kleine Gebühr eine Wegmarke einbrennen lassen. Fehlt nur noch die letzte, die Gipfelmarke. Und dann noch schnell zur Post. Die Postkarte, die ich bei der fünften Station gekauft habe, werfe ich in den Gipfelbriefkasten. Ich kaufe noch etwas Wasser aus dem Automaten - in Japan gibt es überall Automaten, auch hier auf dem Gipfel des Fujiyama.
Die Freude ist groß. Aber langsam dämmert mir, dass ich auch wieder zurück muss. Und der Rückweg ist lang - sehr lang. Aber für Abwechslung ist gesorgt: Bergab werden die Wanderer auf einer anderen Strecke geführt als berghoch. Es gibt kein Gedränge, man begegnet den Aufsteigern nicht. Zwei Stunden lang mühe ich mich auf dem glitschigen Geröllhang ab, versuche angestrengt nicht auszurutschen. Dann endlich atmet es sich wieder leichter. Es ist deutlich mehr Sauerstoff in der Luft. Der Abstieg hinunter zur fünften Station und zurück in die Zivilisation ist ab diesem Moment ein gemütlicher Spaziergang.
Großer Spaß - aber nie wieder
Dieser Berg verlangt Respekt. Man ist gut beraten, sich gut auf ihn vorzubereiten. Obwohl Tausende Wanderer jedes Jahr sicher rauf und wieder runter kommen, gibt es auch jedes Jahr Verletzte und Tote zu beklagen. Der Aufstieg ist anstrengend. Mir haben am Ende alle Knochen weh getan.
Ein kleines Risiko bleibt immer. Aber der Sonnenaufgang auf dem Fujiyama ist das wert. Es ist ein unvergessliches Erlebnis. Wir alle müssen eines Tages sterben, also warum nicht mal was Verrücktes machen. Warum nicht mal auf den Fuji?
Der Aufstieg auf den Fujiyama erinnert einen daran, dass man alles schaffen kann, wenn man nur will. Aber einmal reicht, man muss es ja nicht übertreiben. In Japan gibt es sogar eine Redewendung, die geht grob übersetzt so: "Wer einmal auf den Fujiyama steigt ist, ein weiser Mann. Wer in mehrmals erklimmt ist ein Narr."