Harte Zeiten für Rumänen
6. November 2007Wenn Anna Mihai auf das Dekret der italienischen Regierung angesprochen wird, reagiert sie ungehalten. "Es ist eine Schande. Es ist unmöglich, dass jetzt alle Rumänen für die Tat dieses Mannes büßen sollen", schimpft die 50-Jährige Rumänin, die seit sechs Jahren in einem Vorort von Mailand lebt und arbeitet. "Dieser Mann hat mit einem Mal unseren Ruf hier zerstört."
"Dieser Mann", das ist ein 24-jähriger vorbestrafter Rumäne, der beschuldigt wird, vor einer Woche eine Italienerin überfallen und vergewaltigt zu haben. Mittlerweile ist die Tochter eines Marineoffiziers an den Folgen der Tat gestorben. Ein paar Tage nach dem Verbrechen hat die italienische Regierung ein Eildekret verabschiedet, das es erlaubt, EU-Bürger auszuweisen, die als Gefahr für die öffentliche Sicherheit betrachtet werden. Trotz Freizügigkeit in der EU, trotz offener Grenzen.
Unerwünscht in der zweiten Heimat
Für viele der in Italien lebenden Rumänen ist dieses Dekret ein Schock. Seit Jahren arbeiten Zehntausende von ihnen in dem Land, dessen Sprache ihrer eigenen so ähnlich ist, dass viele sie nach drei Monaten fließend beherrschen. In dem Land, in dem sie Arbeit gefunden haben, italienische Bekannte, auch Freunde – das für viele eine zweite Heimat geworden ist.
Anna Mihai wollte ursprünglich nur für ein paar Monate nach Mailand, um ihrer Tochter bei der Schwangerschaft beizustehen. Die war schon drei Jahre zuvor ausgewandert. Aus den paar Monaten wurden schnell sechs Jahre. "Es ist ein völlig anderes Leben hier", sagt sie und nimmt noch einen Schluck von ihrem Frühstücks-Cappuccino. Gleich macht sie sich auf den Weg von ihrer Wohnung im Mailänder Vorort Vimercate zu ihrer ersten Putzstelle bei einer reichen Italienerin. "Mit dem Geld, das ich hier verdiene kann ich mir ein Luxusleben leisten – verglichen mit rumänischen Verhältnissen. Ich kann kaufen, essen, was ich will und ich kann vor allem reisen." In Rumänien hat sie damals als Krankenschwester etwas mehr als 150 Euro verdient, in Italien bekommt sie das Zehnfache – als Putzfrau.
Mittlerweile führen mehr als 600.000 Rumänen ein Leben wie Anna Mihai, arbeiten in Italien als Putzfrauen, Pflegerinnen, auf dem Bau. "Nach der Wende kamen viele Leute aus Osteuropa nach Italien. Heute machen die Rumänen die größte ausländische Bevölkerungsgruppe aus", sagt Roman Maruhn, Italienexperte am Centrum für angewandte Politikforschung in München. Seit dem EU-Beitritt ist die Zahl der Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien noch um 20 Prozent gestiegen.
Freier Arbeitsmarkt
Nicht nur wegen der Sprache ist Italien für die Rumänen attraktiv – im Gegensatz zu Deutschland gibt es auf dem italienischen Arbeitsmarkt keine Beschränkungen für Bürger aus den neuen EU-Ländern. Nicht einmal Quoten für den Zuzug wie etwa in Großbritannien – dem anderen beliebten Auswanderungsland – existieren.
Zu den aktuellen Entwicklungen scheint all das nicht zu passen. Während die italienische Regierung jetzt "gefährliche" EU-Bürger ausweisen will, häuften sich in der vergangenen Woche fremdenfeindliche Übergriffe auf Rumänen sowie Sinti und Roma. Der bisher schlimmste Fall ereignete sich am Freitag (2.11.2007), als zehn Rechtsradikale mit Messern und Stöcken drei Rumänen angriffen und zwei von ihnen schwer verletzten. Vorher hatten Zeitungen wie das Mitte-Rechts-Blatt "Il Libero" mit Schlagzeilen wie "Jetzt bringen die Rumänen unsere Frauen um" Rache geschworen.
Am Dienstag flog der rumänische Ministerpräsident Calin Popescu Tariceanu nach Italien, um zum Schutz seiner Landsleute aufzurufen. "Es ist meine Pflicht, meinen Kollegen Romano Prodi zu warnen, dass diese Welle der Fremdenfeindlichkeit gestoppt werden muss. Rumänien akzeptiert keine Kriminellen. Aber wir müssen unsere Staatsbürger schützen", sagte der Premier vor seiner Abreise.
Empörung in der Rumänen-WG
Nach acht Stunden Arbeit in drei italienischen Häusern kommt Anna Mihai abgekämpft nach Hause. Auch ihre drei rumänischen Untermieter trudeln nach und nach ein. Abends sitzen sie bei Weißwein und Pasta in der engen Küche und diskutieren – über die Italiener. "Eigentlich sind die Italiener gut, sie helfen dir, sind freundlich", sagt Anna. Doch auch Anna und ihre Verwandten haben Anfeindungen erlebt, kleine Anfeindungen. "Park' in deinem eigenen Land", sagte einmal jemand zu ihrem Neffen, als der mit seinem BMW-Geländewagen vorfuhr. "Manche sind neidisch auf uns, auf das, was wir uns hier erarbeitet haben", erzählt sie. Annas Schwiegersohn ist kurz nach der Wende nach Italien gekommen. Anfangs hauste er in einem Zelt im Wald. Heute hat er ein eigenes Bauunternehmen mit mehr als 30 Mitarbeitern.
Doch generell seien die rumänischen Gastarbeiter in Italien akzeptiert, sagt Roman Maruhn. "Sehr viele italienische Arbeitgeber sind dankbar über die illegale und legale Einwanderung." Was nicht verwundert, schließlich würde das italienische Sozialsystem ohne die Altenpflegerinnen aus Rumänien und Bulgarien schlicht zusammenbrechen. Und auch die Bauwirtschaft wäre ohne die Billigkräfte aus den neuen EU-Ländern aufgeschmissen. "Von offener Ausländerfeindlichkeit in der Bevölkerung würde ich daher nicht sprechen", sagt Maruhn. Aber es gebe ein paar starke rechte Gruppen, auch aus dem Fußballmilieu, die immer wieder mit Übergriffen auf Migranten Schlagzeilen machten.
"Die sind alle angestachelt"
Anna Mihai war jedenfalls empört über die Anfeindungen gegen die Rumänen, vor allem im gewöhnlichen italienischen Fernsehprogramm. "Die sind jetzt alle angestachelt, fordern 'Rumänen raus' und so etwas, aber das ist doch nicht korrekt, Kriminalität hat es immer gegeben. Jetzt war es halt einmal ein Rumäne." Italien zu verlassen und zurück zu gehen, kommt für sie dennoch nicht in Frage. Schließlich versteht sie sich mit ihren italienischen Arbeitgebern nach wie vor gut. Und die Reputation der Rumänen, die werde sich auch irgendwann wieder verbessern, sagt sie. "Schließlich brauchen die Italiener uns – wir erledigen hier die Arbeit, die sie nicht machen wollen."