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Hanf ist (viel) besser als sein Ruf

Tamsin Walker
2. Mai 2017

Dicke Joints, zugedröhnte Kiffer und Klamotten, die nur verrückte Hippietanten tragen würden. Bei Hanf kommen viele Bilder hoch, aber wie realistisch sind sie?

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Hanfpflanze
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Als ich vergangenen Sommer um ein halb verfallenes Gebäude in Brandenburg ging, verspürte ich eine leichte Aufregung, als mein Blick auf eine Gruppe hochgewachsener Pflanzen mit kleinen Stielen fiel, an deren Enden sie sieben Blätter trugen. Vielsagende Blätter. Dachte ich zumindest. 

Wie sich herausstellte, war die Geschichte dahinter eine andere, als ich mir vorgestellt hatte. Ich glaubte, es sei ein Strauß Pflanzen mit berauschenden Eigenschaften, aber ein pflanzenkundigerer Mensch erklärte mir, dass es sich um die faserigen Stiele der Hanfpflanze handelte. Man hatte sie für ein Pferd angepflanzt, das hier einstmals gelebt hatte. Doch dazu später mehr. 

An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich in Bezug auf Cannabis sativa ein echtes Wissensdefizit hatte. Das geht allerdings sehr vielen Menschen so, daher an dieser Stelle ein kurzer Blick in die lange und abwechslungsreiche Geschichte des Gewächses. 

Unsere Koexistenz mit der Hanfpflanze begann vor 10.000 bis 17.000 Jahren, womit der Hanf zu den ersten domestizierten Nutzpflanzen überhaupt gehört. Das älteste Relikt menschlichen Fleißes ist ein Stück Stoff, das aus seinen Fasern gewebt wurde.  

In den Jahrtausenden vor unserer Zeitrechnung war die Pflanze auch für ihre medizinischen Zwecke und ihre Vielseitigkeit beliebt, die es ermöglichte, aus Hanf Gewänder, Seile, Papier und Nahrung zu machen. 

Schwierige Zeiten

Jemand, der einen Joint raucht
Die Hanfpflanze wurde irgendwann in erster Linie mit einer Sache assoziiertBild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Die meisten Quellen bescheinigen eine glückliche und kreative Beziehung zwischen Mensch und Pflanze bis weit in die moderne Ära. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Tetrahydrocannabinol (THC), einer von mehr als 100 Cannabinoiden, die Cannabis enthält, als ein Störenfried herausgegriffen wurde.

Angesichts seiner psychotropen Eigenschaften mag THC der beste Freund des Kiffers sein, aber die haben es gleichzeitig zum schlimmsten Feind der Hanfpflanze gemacht. Boris Baňas, Vorstandsmitglied der "European Industrial Hemp Association" (EIHA), sagt, die Verteufelung der Pflanze begann in den USA während des ersten "Kriegs gegen Drogen" in den Jahren nach der Prohibition.

"Ich will keinen Komplott schmieden, aber die internationale Überwachung von Rauschmitteln und psychotropen Substanzen hat der öffentlichen Wahrnehmung sehr geschadet." 

Georg Wurth, Vorsitzender des "Deutschen Hanf Verbands" (DHV), geht einen Schritt weiter und legt nahe, dass die Stigmatisierung dieser vielseitigen Pflanze genauso stark in ihrem wirtschaftlichen Wert, wie ihrem Wert als Rauschmittel begründet ist. 

"Die Textilindustrie basierte weitgehend auf Hanf", sagt er. "Aber Baumwolle war ein wichtiges Thema in den USA, genauso wie die chemische Faserindustrie. Dadurch gab es zu viel Wettbewerb." 

Die Antwort der USA auf die vielen und vielseitigen Eigenschaften von Hanf war, seine Verwendung und seinen Anbau zu verbieten. 
Eine ähnliche Herangehensweise setzte sich langsam auch in anderen Teilen der Welt durch, auch in Deutschland, wo die Pflanze Teil der Landschaft war bis zum Zweiten Weltkrieg, als es große Nachfrage nach der Faser gab, da man sie für die Herstellung von Uniformen verwendete. 

Aber bis Anfang der 1980er Jahre hatte die alte Bundesrepublik sowohl den Besitz, als auch den Anbau von Cannabis sativa verboten. Die Pflanze verschwand einfach komplett aus der Landschaft.

Starkes Comeback

Ein Korb voller Produkte, die mit Hanf zu tun haben
Von viel Wind um Hanf zu vielen Dingen aus HanfBild: OPG Moro

Auch wenn es nicht auf den Feldern des Landes wuchs, so blühte Hanf doch weiterhin in der Fantasie derer, die dort spazieren gingen. Seit 1996 wird Hanf nun wieder angebaut, allerdings jetzt etwas differenzierter. 

Klarheit über die Eigenschaften der Pflanze war der Schlüssel dafür, dass die Pflanze wieder in das Anbauregister des Landes aufgenommen wurde, sagt Wurth. 

"In den 80er und 90er Jahren gab es Studien, die belegten, dass es möglich ist Hanf anzubauen, das wenig THC enthält", sagte er gegenüber DW. "Man kann es als Rauschmittel oder als Industrieprodukt anbauen, und so züchten manche Leute das THC raus und andere züchten es rein." 

Erstere helfen dabei, den guten Ruf von Hanf wieder herzustellen, als eine Pflanze mit tausenden Anwendungen. 
Von Kleidung, Taschen und Schuhen - nicht nur für Hipster - hin zu Schreibwaren, Kosmetika zu Wandspiegeln mit Seilrahmen und allen möglichen Lebensmitteln. Letzteres auch für Tiere wie das Pferd, das sich von den Pflanzen ernährte, die ich vergangenen Sommer sah. 

Und dann gibt es da noch die weniger offensichtlichen, abgeleiteten Produkte wie Hanfbeton und Dämmmaterial und Plastikverbundstoffe, die in der Automobilindustrie verwendet werden. Kurz gesagt, diese Pflanze der Superlative hat es in zwei Jahrzehnten weit gebracht.

"Auf Lebensmittelmessen hätten Käufer vor fünf oder sechs Jahren gefragt: 'Was ist das?'. Jetzt fragen sie: 'Wie viel kostet das, und wie lang ist die Lieferzeit?'", sagte Baňas gegenüber DW.

Hanf: Genial für die Umwelt? 

Eine Erntemaschine auf einem Feld voller Hanfpflanzen
Es gibt viele Variablen bei der Ernte von HanfBild: picture-alliance/RIA Novosti/A. Kryazhev

Sie fragen auch nach der Umweltverträglichkeit. Wenngleich man kaum Pestizide für den Anbau benötigt und sich die Pflanze für den Fruchtwechsel eignet, ist Hanf noch weit davon entfernt, sein volles Potential auszuschöpfen. Zumindest in diesem Teil der Welt. 
Baňas sagt, die für Hanf genutzte Ackerfläche habe 2016 bei nur 15 Quadratkilometern gelegen, in ganz Europa bei 300 Quadratkilometern. Und in der Europäischen Union gibt es zurzeit nur 60 registrierte Hanfarten, Erbsenarten gibt es 396.

"Trotz der ländlichen Legenden ist es eine anspruchsvolle Pflanze, die richtiger Agrarwissenschaft und Erntetechnik bedarf", betont Baňas. "Es gibt Unterschiede in Faser, Biomasse, Saat- und Blütenproduktion."

"Landwirte müssen wissen, was sie tun und für welches Marktsegment", sagt Baňas. 

Offensichtlich haben sie viel Auswahl. Und die Hoffnung unter den Verfechtern des Hanfanbaus ist, dass die vielfältigen Möglichkeiten, die so lange in den verschmähten Samen der Pflanze geschlummert haben, am Ende anerkannt werden und eine Chance bekommen, endlich kraftvoll zu erblühen.