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Hamas in Moskau: Russland versucht sich als Vermittler

Jennifer Holleis
27. Februar 2024

Konkurrierende palästinensische Gruppen treffen sich zu Gesprächen in Moskau. Russland will sie zusammenbringen - und könnte damit zur Befreiung von Geiseln beitragen. Doch der Kreml verfolgt auch eigene Interessen.

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Der russische Staatsbürger Ron Krivoi nach seiner Freigelassen aus der Gewalt der Hamas
Freigelassen aus der Gewalt der Hamas: der russisch-israelische Staatsbürger Roni Krivoi (Ende November mit seinen Eltern)Bild: GPO/AP/picture alliance

Annäherung in Moskau: In dieser Woche reisen Delegierte mehrerer palästinensischer Gruppierungen in die russische Hauptstadt, um dort im Rahmen eines "interpalästinensischen Dialogs" Gespräche über den Krieg zwischen Israel und der Hamas sowie über weitere Themen zu führen.

Insgesamt nähmen an dem auf zwei bis drei Tage anberaumten Treffen 12 bis 14 Organisationen teil, sagte der stellvertretende russische Außenminister Michail Bogdanow der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass. 

Anreisen werden Vertreter der Hamas, des Islamischen Dschihad, der Fatah und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), des Dachverbands der säkularen palästinensischen Gruppen.

Die von der Fatah geführte PLO erkannte Israel 1993 an, teilweise im Austausch gegen einen möglichen palästinensischen Staat. Die Hamas hingegen, die von westlichen und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, erkennt die Existenz Israels nicht an.

Ein beschädigtes Haus in der Ortschaft Nur Shams im Westjordanland nach einer Razzia des israelischen Militärs.
Der Krieg im Gazastreifen lässt auch die Gewalt im Westjordanland ansteigen. Ein beschädigtes Haus im Flüchtlingscamp Nur Shams im Westjordanland nach einer Razzia des israelischen MilitärsBild: Majdi Mohammed/AP Photo/picture alliance

Moskau ohne Fahrplan

Eine stärker geeinte palästinensische Front wird nicht zum ersten Mal diskutiert. Zwar hätten sich die Gruppen bereits früher zu einigen versucht, sagt der in Baku lebende unabhängige russische Nahostexperte Ruslan Suleymanov gegenüber der DW: "Aber die Gespräche waren nie effektiv."

Auch Russland habe derzeit "keinen Fahrplan", um die Probleme der Palästinenser zu lösen, so Suleymanov. Das gelte auch mit Blick auf den Krieg im Gazastreifen. Dazu müsste Moskau eine Vermittlungsfunktion ausüben und gute Kontakte sowohl mit Israel als auch mit dem paramilitärischen Flügel der Hamas in Gaza unterhalten, so Suleymanov.

Moskau wolle durch die Konferenz vor allem zeigen, dass es einen gewissen Einfluss auf die relevanten palästinensischen Gruppen habe. Zugleich wolle Moskau unter der politischen Führung von Wladimir Putin vor den Präsidentschaftswahlen im März seine geopolitische Schlagkraft demonstrieren. "Es ist ein Dialog um des Dialogs willen", so Suleymanov. 

Ähnlich sieht es Hugh Lovatt, Nahost-Experte des Thinktanks "European Council on Foreign Relations". "Dieses Treffen ist für Russland eine Möglichkeit, zu zeigen, dass es die diplomatischen Kapazitäten hat, um eine praktische Rolle zur Förderung der palästinensischen Einheit zu spielen", so Lovatt zur DW. Allerdings hätten auch vergleichbare frühere Gespräche in Moskau, Algier oder Kairo nicht zu einer dauerhaften Versöhnung geführt.

Der israelische Premier Benjamin Netanjahu (l.) und der russische Präsident Wladimir Putin, hier bei einem Treffen in Moskau 2020.
Hatten lange Zeit ein gutes Verhältnis: der israelische Premier Benjamin Netanjahu (l.) und der russische Präsident Wladimir Putin, hier bei einem Treffen in Moskau 2020 Bild: Maxim Shemetov/REUTERS

Uneinigkeit der Palästinenser

Die palästinensischen Gruppen hätten weiterhin erhebliche politische Differenzen hinsichtlich eines möglicherweise in Zukunft wieder anstehenden Friedensprozesses mit Israel und der gesamtpalästinensischen Strategie, so Lovatt. Auch seien sie uneins in verfahrenstechnischen Fragen - so etwa der, wie die Institutionen der Palästinensischen Autonomiebehörde in den Gazastreifen zurückgebracht werden können.

Die Hamas regiert den Gazastreifen seit 2007. Jedes künftige Nachkriegsszenario, das die Rückkehr der Palästinensischen Autonomiebehörde in den Gazastreifen und die politische Integration der Hamas in das besetzte Westjordanland vorsehen könnte, setze eine Verständigung zwischen der Hamas und der Palästinensischen Autonomiebehörde voraus, so Lovatt. Für Israel sind derzeit allerdings beide Optionen nicht vorstellbar - und die Hamas fordert weiterhin die Vernichtung Israels, was Verhandlungen mit ihr über eine politische Lösung zusätzlich ausschließt.

Der Anfang dieser Woche zurückgetretene palästinensische Premierminister Mohammed Schtaje hingegen hält dies für möglich. Die Hamas sei ein integraler Bestandteil der palästinensischen Politik, sagte er Anfang Februar vor Reportern auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Hamas müsse daher auch an der politischen Agenda beteiligt werden. "Unser Standpunkt ist sehr klar: Zwei Staaten in den Grenzen von 1967." Deren Existenz müsse auf friedlichen Vereinbarungen gründen. "Die Palästinenser müssen unter einem gemeinsamen Dach stehen", sagte er außerdem.

International dürfte diese Position aber kaum haltbar sein, weil die Hamas Israels Existenzrecht nicht anerkennt. Mehrere Staaten haben nach ihrem Terrorangriff vom 7. Oktober zudem erklärt, die Gruppe dürfe nach Beendigung des Konflikts keine Rolle mehr spielen. Vor allem Israel lehnt dies ab und hat die Vernichtung der Hamas zu einem seiner Kriegsziele erklärt. 

Wladimir Putin und der iranische Präsident Ebrahim Raisi in Moskau im Dezember 2023
Gute Beziehungen pflegt Moskau auch nach Teheran: Wladimir Putin und der iranische Präsident Ebrahim Raisi, Moskau, Dezember 2023Bild: Sergei Bobylyov/AFP/Getty Images

Russlands Rolle in Nahost

Doch auch wenn das Treffen ohne konkretes Ergebnis enden sollte - für Russland wäre es selbst dann nicht unbedingt ein Misserfolg. Denn so oder so dürfte die Begegnung dazu beitragen, Russlands Einfluss im Nahen Osten weiter zu festigen.

Viele Jahre lang pflegte Russland enge Beziehungen zu Israel. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass es zugleich gute Beziehungen zum Iran pflegte, Israels größtem Feind in der Region. Als der israelische Premier Benjamin Netanjahu den russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 nicht unterstützte, verschlechterten sich die Beziehungen. Tausende Russen und Ukrainer flohen nach Israel.

Dennoch könne es sich Russland nicht leisten, Israel zu verlieren, sagt der russische Analyst Suleymanov: "Die russischsprachige Gemeinschaft stellt in Israel die größte Minderheit." Zurück geht sie auf die frühen 1990er Jahre, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fast eine Million Menschen jüdischer Herkunft nach Israel auswanderten.

Russlands Kontakte zur Hamas haben trotz verschlechterter bilateraler Beziehungen auch für Israel bereits zu einem Erfolg geführt. So übergab Vize-Außenminister Bogdanow, Putins Sondergesandter für den Nahen Osten, Vertretern der Hamas in Katar im Oktober eine Liste entführter Israelis russischer Herkunft oder mit doppelter Staatsbürgerschaft und bat um deren Freilassung. Tatsächlich ließ die Hamas Ende November den russisch-israelischen Staatsbürger Roni Krivoi frei. 

Der Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem DW-Studio Riga.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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