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Haitianer unter Druck

Hans-Ulrich Dillmann, Santo Domingo10. November 2013

In der Dominikanischen Republik bahnt sich eine humanitäre Katastrophe an. Mehr als 250.000 Nachfahren haitianischer Einwanderer drohen Ausbürgerung und Staatenlosigkeit. Die UN protestierten.

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Juliana Dequis Pierre kämpft für ihre Rechte als dominikanische Staatsbürgerin (Foto: DW/Hans-Ulrich Dillmann)
Bild: Hans-Ulrich Dillmann

Der ungläubige und erstaunte Blick ist Juliana Dequis Pierre noch immer nicht aus dem Gesicht gewichen. 29 Jahre lang war sie Staatsbürgerin der Dominikanischen Republik - nun ist sie staatenlos. Ihre Geburtsurkunde wurde beschlagnahmt, ihr abgelaufener Personalausweis nicht erneuert.

Der "Fall Juliana" sorgt nicht nur in der Dominikanischen Republik für Aufruhr, er macht auch international Schlagzeilen. Denn die 29-jährige Mutter von vier Kindern gehört zu den rund 250.000 Nachfahren haitianischer Einwanderer, denen der Verlust ihrer dominikanischen Staatsbürgerschaft droht.

Umstrittener Gerichtsentscheid

Grund dafür ist ein Urteil des Dominikanischen Verfassungsgerichts (Tribunal Constitucional) vom 23. September 2013. Das Urteil bestätigt eine Verfassungsänderung aus dem Jahr 2010, wonach nur noch die im Land geborenen Kinder von legalen Einwanderern das Recht auf die dominikanische Staatsangehörigkeit haben.

Haitianische Tagelöhner vor ihren Unterkünften (Foto: Peter Deselaers)
Rund 600.000 Haitianer arbeiten in der Dominikanischen RepublikBild: Deselaers

Das neue Gesetz soll rückwirkend bis 1929 angewandt werden. Die Oberste Wahlbehörde, die das standesamtliche Register des Landes führt, hat bereits alle Büros angewiesen, ihre Register zu durchforsten und "verdächtige Fälle" der vorgesetzten Behörde zu melden.

Amnesty International und die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (Comisión Interamericana de Derechos Humanos - CIDH) wollen die Anwendung des neuen Gesetzes verhindern. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts stelle eine Verletzung der internationalen Verpflichtungen des Landes im Bereich der Menschenrechte dar, hieß es. Auch die Vereinten Nationen protestierten. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) kündigte an, das Urteil überprüfen zu wollen.

Ohne Heimat, ohne Rechte

"Das Vorgehen war illegal", erklärt Genardo Rincón, Anwalt von Juliana Deguis Pierre. Er will mit einer Sammelklage von 62 Personen vor dem Verfassungsgericht die Ausstellung von Ausweisen einfordern. "Es gibt keinen Zweifel an der Nationalität dieser Personen", erläutert Rincón.

Seit Generationen strömen Haitianer in die benachbarte Dominikanische Republik, die zwei Drittel der Fläche der zweitgrößten Karibikinsel Hispaniola einnimmt. Die Flüchtlinge aus Haiti, dem ärmsten Land Lateinamerikas, verdingen sich in der Dominikanischen Republik als Saisonarbeiter auf Zuckerrohrplantagen und in der Tourismusbranche.

Auch der Vater von Juliane Dequis Pierre erntete Zuckerrohr. "Er hat mich nach der Geburt offiziell registrieren lassen. Und weil er sich als Erntehelfer legal mit einer Arbeitserlaubnis im Land aufhielt, wurde ich beim Standesamt registriert", erzählt Juliane Deguis.

An der Grenze zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik (Foto: Alex E. Proimos / CC BY 2.0)
Überschreiten ist einfach, überleben ist schwer: Viele Haitianer hoffen auf ein besseres Leben im NachbarlandBild: Alex E. Proimos / CC BY 2.0

Rechtsgrundlage dafür war damals die Verfassungsregelung nach dem "ius soli", dem Recht des Bodens, wonach jeder, der auf dominikanischem Territorium geboren wurde, einen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft des Landes erhielt. Ausgenommen waren nur Kinder von Diplomaten oder von "Personen im Transit". Bis zur Verfassungsänderung 2010 wurden haitianische Saisonarbeiter und illegale Einwanderer nicht als "Personen im Transit" behandelt.

Der Staat stellt sich stur

Der Weg von Juliane Dequis Pierre durch die juristischen Instanzen begann bereits vor elf Jahren. Als sie mit 18 Jahren einen Personalausweis beantragen wollte, wurde ihr auf dem Standesamt kurzerhand das Original der Geburtsurkunde weggenommen und die Ausstellung eines Ausweises verweigert. Seit dem 23. September 2013 ist sie staatenlos.

Nun hat das Gericht der Migrantin die Möglichkeit eingeräumt, eine ordentliche Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Ansonsten stellt sich der dominikanische Staat stur. Staatspräsident Danilo Medina Sanchéz verteidigte den Gerichtsentscheid. Der Spruch des Obersten Verfassungsgerichts sei für ihn Rechtsgrundlage, erklärte er kürzlich bei einem eilig einberufenen Treffen mit den im Land akkreditierten Botschaftern, die sich besorgt über die Behandlung der Migranten zeigten.

Danilo Medina, Präsident der Dominikanischen Republik (Foto: Ricardo Arduengo/AP/dapd)
Staatschef Danilo Medina verteidigt die umstrittene VerfassungsänderungBild: dapd

"Vielleicht besteht ja noch Hoffnung", meint Genardo Rincón. Der Staatschef habe eine "menschliche Lösung" versprochen. Trotzdem werde er mit seinem Anwaltskollegen den "Fall Juliana Dequis Pierre gegen die Dominikanische Republik" vor den Interamerikanischen Menschengerichtshof in San José in Costa Rica bringen. "Dort hat die Dominikanische Republik bereits mehrere Fälle wegen Verweigerung der Staatsbürgerschaft verloren", erklärt Rincón.

Migrantenorganisationen sehen in dem Urteil einen Ausdruck der massiven Diskriminierung von Haitianern im Land. "Immer wieder werden Personen mit haitianisch klingenden Namen bei Straßenkontrollen trotz ordentlicher Ausweispapiere festgenommen und abgeschoben", klagt Liliana Dolis, Sprecherin der Bewegung dominikanisch-haitianischer Frauen MUDHA (Movimiento de Mujeres Dominico-Haitiana). Das Leid ihrer Vorfahren hat viele Haitianer wieder eingeholt.