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PolitikPolen

Haben Frauen bei der Wahl in Polen die PiS gestürzt?

Monika Sieradzka (aus Warschau)
24. Oktober 2023

Wählerinnen in Polen haben ihre Stimmen eher linksliberalen Parteien gegeben. Sie lehnen das restriktive Abtreibungsgesetz ab und fordern von der Politik mehr Aufmerksamkeit für Frauenrechte.

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Zwei Frauen mit orangenen Perücken jubeln dem Vorsitzenden der Bürgerkoalition, Donald Tusk zu - um sie herum sind viele jüngere und ältere Frauen zu sehen
Bei der Parlamentswahl in Polen haben viele Frauen das liberale Wahlbündnis Bürgerkoalition unterstützt - wie hier im Wahlkampf vor dem UrnengangBild: Kacper Pempel/REUTERS

"Endlich gibt es einen Hoffnungsschimmer auf Wandel", freut sich Wanda Kaczor aus Warschau. Sie hat bei der Parlamentswahl in Polen am 15. Oktober die Linke gewählt. Die Partei will zusammen mit dem Oppositionsbündnis Bürgerkoalition (KO) und der christdemokratischen Partei Dritter Weg (TD) eine Koalition eingehen. Sie hätte dann die Mehrheit im polnischen Unterhaus (Sejm) und würde die bisherige von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) geführte Regierung ablösen.

Frauen wie die 30-jährige Kulturwissenschaftlerin Kaczor erhoffen sich von der neuen Regierung mehr Einsatz für Frauenrechte. Unter anderem drängen sie darauf, dass das Abtreibungsgesetz liberalisiert wird. Seitdem es vor drei Jahren von der PiS verschärft wurde, darf eine Schwangerschaft nur bei Vergewaltigung und bei Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Frau abgebrochen werden. Die Gesetzesverschärfung löste damals eine große Protestwelle aus.

Wanda Kaczor
Die Kulturwissenschaftlerin Wanda Kaczor ist Redakteurin der katholischen Zeitschrift "Magazyn Kontakt"Bild: Monika Sieradzka/DW

"Ich bin christlich und bin trotzdem für die Entscheidungsfreiheit", sagt Kaczor der DW. Sie gelte in ihrem Milieu als extrem links, auch weil sie 2020 an den Frauendemos gegen das Abtreibungsgesetz teilgenommen habe. Sie arbeitet unter anderem als Redakteurin bei der katholischen Zeitschrift "Magazyn Kontakt" und ist seit Jahren beim progressiven Klub der Katholischen Intelligenz (KIK) tätig.

Doch obwohl sie sich mit der katholischen Kirche verbunden fühlt, befürwortet sie das Recht auf Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche. "Das würde doch nicht dazu führen, dass plötzlich alle Frauen abtreiben würden. Das restriktive Gesetz richtet viel mehr Schaden an als die Legalisierung der Abtreibung", betont sie.

Die Abtreibung - ein kontroverses Thema

Eine ganz andere Meinung vertritt Kinga Jurek, die sich seit einigen Jahren in der Jugendorganisation der rechtsextremen und libertären Partei Konföderation engagiert. Sie ist mit dem verschärften Abtreibungsgesetz einverstanden. "Die Konföderation stellt die Rechte des Einzelnen in den Mittelpunkt, also auch das ungeborene Kind muss geschützt werden", argumentiert die 20-jährige Jurastudentin. Dabei sei die Abtreibung nicht nur die Sache der betroffenen Frau allein: "Wenn eine Frau abtreiben will, müsste auch der Vater des Kindes das Recht haben, seine Meinung zu sagen."

Porträtfoto der Jurastudentin Kinga Jurek
Die Jurastudentin Kinga Jurek unterstützt die rechtsextreme KonföderationBild: Monika Sieradzka/DW

Mit ihrer Unterstützung der restriktiven Regelungen ist Kinga Jurek in der Minderheit. Laut einer Umfrage des investigativen Internetportals OKO.Press befürworten 75 Prozent der Polen die Legalisierung der Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche.

Bleiben die Frauen wieder auf der Strecke?

Die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes sei eine der Ursachen für die Verluste der PiS bei den Parlamentswahlen am 15. Oktober, sagt der polnische Politologe Bartlomiej Biskup der DW. Die Unterstützung für die Partei sei von 43,6 Prozent im Jahr 2019 auf jetzt 35,4 Prozent gesunken. "Davon profitieren jetzt die Linke, die zum großen Teil von Frauen gewählt wurde, und die Bürgerkoalition, die sich in den vergangenen Jahren auch mehr nach links gewandt hat", erklärt er.

Die liberale Bürgerkoalition, geführt vom ehemaligen und wahrscheinlich künftigen Premierminister Donald Tusk, müsse in der kommenden Wahlperiode "endlich etwas tun, um ihre Wählerinnen nicht wieder zu verraten", so der Experte von der Warschauer Universität. "Während ihrer früheren Regierungszeit von 2007 bis 2015 hat sie in der Abtreibungsfrage nichts getan."

Zwar verspricht die Bürgerkoalition die Legalisierung der Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche, doch Biskup sieht dafür keine Mehrheit im neuen Sejm. Der Koalitionspartner Dritter Weg, eine christlich-konservative Gruppierung, werde es "höchstwahrscheinlich nicht akzeptieren". Die Bürgerkoalition und die Linke hätten also keine Mehrheit für die ersehnte Liberalisierung des restriktiven Gesetzes.

Eine Rekord-Wahlbeteiligung

Dass die Politik von Männern geführt und über ihre Köpfe hinweg gemacht wurde, dass die großen Frauenproteste nichts gebracht hatten und dass die Wahlprogramme der Parteien die Frauenrechte kaum berücksichtigt hatten - das alles hatte in den zurückliegenden Jahren zu einem wachsenden Desinteresse der Frauen an der Politik geführt. Noch einige Wochen vor der Wahl wollte nur knapp die Hälfte der Polinnen überhaupt wählen gehen.

Zahlreiche Appelle und Kampagnen, in denen Aktivistinnen und bekannte Persönlichkeiten die Frauen zur Teilnahme an der Wahl, drehten diesen Trend aber fast in letzter Minute um. Schließlich gaben doch 74,7 Prozent der Frauen ihre Stimme ab (Männer: 73,1 Prozent). Auch die allgemeine Wahlbeteiligung war mit 74,4 Prozent die höchste seit Polen nach dem Fall des Kommunismus 1989 eine Demokratie wurde.

Dabei stand die regierende PiS, die insgesamt 36,1 Prozent aller Wählerstimmen bekam, in der Gunst der Wählerinnen an erster Stelle. Sie wurde von 35,9 Prozent der Frauen gewählt. Die größte Unterstützung kam dabei von den Frauen über 60 (52,8 Prozent) und die kleinste von der Altersgruppe zwischen 18 und 29 (14,4 Prozent). Direkt danach folgte das liberale Wahlbündnis Bürgerkoalition, dem 32,5 Prozent der Frauen ihre Stimme gaben.

Wahlentscheidend waren aber die kleineren Parteien. Vor allem die Linke und der Dritte Weg profitierten von der Zustimmung junger Frauen. Die Rechtsextremen dagegen stießen bei ihnen auf nur wenig Zustimmung. Sie hätten den Einzug ins Parlament verpasst, wenn sie auf die weiblichen Stimmen angewiesen gewesen wären.

Polen bleibt im Wahlkampfmodus

In der kommenden Wahlperiode werden 136 Frauen im Sejm sitzen, eine Rekordzahl. Dennoch stellen sie nur knapp 30 Prozent aller 460 Abgeordneten. Auch wenn polnische Wählerinnen insgesamt das links-liberale Lager gestärkt haben und ihre Stimmen entscheidend für die Niederlage der PiS waren, könnten sie mit ihren Forderungen in der kommenden Wahlperiode doch wieder auf der Strecke bleiben.

Die Wählerinnen, die mit ihrer Stimme den Wechsel möglich gemacht haben, könnten jedoch enttäuscht werden. Denn nach Überzeugung des Politologen Biskup gehören weder Frauenrechte noch Sozialprogramme zu den Prioritäten der künftigen linksliberal-christlichen Regierung. Vielleicht könnten einige wenig kontroverse Themen in der kommenden Zeit beschlossen werden, wie etwa bessere Regelungen für die Eltern von behinderten Kindern oder das Wahlversprechen von Donald Tusk, die Mütter bei der Rückkehr auf den Arbeitsmarkt zu unterstützen.

Doch erstmal bleibe die Politik im Wahlkampfmodus. "Die schwierigeren Themen kommen erst nach den Lokalwahlen und den Europawahlen im Frühjahr, bis dahin versuchen sich die Parteien als eine einheitliche Front zu präsentieren. Doch mit der Zeit werden die Unterschiede zwischen den Parteien immer deutlicher werden", prognostiziert Biskup. Die Abtreibungsfrage sei nur ein Beispiel.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau