Gutes Schreiben, schlechtes Schreiben
26. April 2006Alexandra Tjia weiß, wie Ansgar sich entscheiden wird - sie darf aber nicht verraten, was in der nächsten Folge von "Verbotene Liebe" passiert. Tjia hat am Drehbuch der Fernseh-Seifenoper mitgeschrieben; drei Monate lang war sie Teil des Produktionsteams der ARD-Vorabendserie. Sie entwickelte die Rollen von Ansgar und Co. weiter, schuf Liebesglück und hat es durch Intrigen wieder zerstört.
Auf dem Weg zum Glück
Das Geschichtenerfinden bei der Verbotenen Liebe war Teil von Tjias Ausbildung zur Autorin industriell produzierter Fernsehserien, der Daily Soaps oder Telenovelas. Zum Erlernen der Serien-Theorie besuchte Tjia die Kurse der Grundy UFA Schule in Potsdam-Babelsberg. Die Produktionsfirma hatte den Lehrgang im Juli letzten Jahres eingerichtet – die Nachfrage nach Serienautoren war durch den Erfolg von Telenovelas wie "Bianca – Wege zum Glück" enorm gestiegen.
Am Mittwoch (26.04.) hat Tjia ihre letzte Prüfung an der Serienschule abgelegt. Damit gehört sie zum ersten Absolventenjahrgang und kann sich offiziell Storylinerin nennen - so die englische Bezeichnung für Serien-Autoren. Gemeinsam mit 15 weiteren Auszubildenden hat Tjia in Babelsberg gelernt, wie man aus Zuschauern Serienjunkies macht.
"Man muss die Personen so anlegen, dass es immer wieder zu neuen Konflikten kommt: zu Hass, Eifersucht und Rache", sagt Tjia. "Dafür müssen sich die Charaktere ständig weiterentwickeln."
Arm und Reich, hetero und lesbisch
So wie die Serienheldin Susanne Brandner: Nach ihrer Scheidung wollte sie sich ganz um ihre Kinder Lisa und Paul kümmern. "Aber dann hat sie sich in Carla von Lahnstein verliebt. Ihre sexuelle Orientierung hat sich ziemlich schnell verändert", so Tjia. Homosexualität sei ein wichtiges Thema der Serie. "Man muss versuchen, gesellschaftliche Strukturen und Veränderungen in der Handlung aufzunehmen."
Daher haderten die Figuren in deutschen Seifenopern auch mit anderen Problemen als zum Beispiel in lateinamerikanischen Telenovelas. "Dort geht es meist um den Konflikt zwischen Arm und Reich. Das könnte man nicht so einfach in eine deutsche Serie übersetzen", so Tjia.
Gefühle statt Hubschrauber
Ein gemeinsames Problem haben dafür die Storyliner der Serien weltweit: Sie müssen Masse produzieren, und das in kurzer Zeit – täglich entsteht eine Folge. Pro Szene hätten die Autorenteams in der Praxis daher nur 20 Minuten Zeit, sagt Anja Weber, Direktorin der Serienschule in Babelsberg.
"Und auch die finanziellen Mittel sind begrenzt. In einer Hollywoodproduktion kann mal eben ein Hubschrauber explodieren, bei einer Serie würde das den finanziellen Rahmen sprengen", so Weber. Trotzdem spannende Geschichten zu entwickeln, das sei die Kunst der Storyliner.
Schreiben in der Serienmaschine
An der Serienschule hätten die Absolventen außerdem gelernt, wie man mit vielen Kollegen zusammenarbeite, sagt Weber. Die Storyliner schreiben im Team Woche für Woche die Handlungsabläufe der Folgen. "Die so genannten Storylines werden dann an Dialogbuchautoren weitergegeben, die für die Endfassung der Geschichte zuständig sind", so Weber. "Alleine kommt man in diesem Job nicht weit."
Der Storyliner ist daher nur ein kleines Rädchen der industriellen Serienmaschine. "Es besteht schon die Gefahr, dass sich da auf Dauer ein Fließbandgefühl einstellt", so Alexandra Tjia. "Dem muss man entgegenwirken, denn am Ende zählt das ganze Produkt."
Diplom-Storyliner
Die Ideen würden ihr dabei bestimmt nicht ausgehen, sagt Tjia. "In der Nachbarschaft oder im Freundeskreis passiert ständig etwas Neues. Alles könnte zur Geschichte werden."
Manche ihrer Freunde hätten sie schon gefragt, ob sie wirklich ihr ganzes Leben mit Seifenopern verbringen möchte. Schließlich hat Tjia ein Studium in Regionalwissenschaften Lateinamerika abgeschlossen. "Aber Geschichten zu erfinden ist eine schwierige Aufgabe. Das ist wesentlich anspruchsvoller und komplexer, als sich die Serien anzuschauen."
Der Reiz des Bösen
Einen Vertrag als Junior Storyliner bei der Verbotenen Liebe hat Tjia bereits sicher. Ab Juni wird sie wieder das Liebeschaos der Serienhelden steuern. "Diesen Figuren fühle ich mich mittlerweile ziemlich nah. Ich habe mich schon dabei ertappt, wie ich von Tanja und Nathalie gesprochen habe, als seien das real existierende Menschen", muss sie zugeben.
Ihre Lieblingsfigur sei jedoch Ansgar von Lahnstein, der männliche Bösewicht, ein erfolgssüchtiger Geschäftsmann. "Das Fiese an seiner Rolle hat unheimlich viel Potential. Außerdem kann ich da beim Geschichtenerfinden meine gemeine Seite ausleben."