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Guatemalas Archiv des Grauens

22. September 2010

Durch Zufall wird 2005 in Guatemala das verschollen geglaubte Archiv der Nationalpolizei entdeckt. Es dokumentiert die Tragödie des Bürgerkriegs. Regisseur Uli Stelzner ist dem Fund in einem Dokumentarfilm nachgegangen.

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Erkennungsdienstliches Foto eines jungen Guatemalteken aus dem wieder entdeckten Archiv der Nationalpolizei (Foto: iskacine)
Millionen Polizeiakten dokumentieren akribisch Guatemalas blutigen BürgerkriegBild: iskacine

DW-WORLD.DE: Herr Stelzner, "La Isla", die Insel, heißt ihr Dokumentarfilm, der in diesem Herbst auch in Deutschland zu sehen ist. Was hat es mit dem Titel auf sich?

Uli Stelzner: La Isla ist der Name für ein Gebäude in Guatemala Stadt. Es handelt sich um ein Polizeigebäude, wo vor vieren Jahren ein großes Polizei-Archiv gefunden worden ist, was bis dato unbekannt war. Es war ein geheimes Archiv, in dem akribisch die Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkrieg dokumentiert sind. Die Regierung den Wahrheitskommissionen, die in Guatemala gearbeitet haben, immer behauptet, es gebe kein Archiv. Insofern war das ein sensationeller Fund. Ich habe mich mit der Leitung dieses Archivs, die begann die Dokumente zu aufzuarbeiten in Verbindung gesetzt und habe dann den Zuschlag bekommen einen Film darüber zu drehen. Es ist ein Film über Dokumente, die Menschenrechtsverletzungen belegen. Die Protagonisten, die in dem Archiv arbeiten sind sehr engagiert und selbst von der Situation in Guatemala betroffen.

Wie wurde Ihr Film in Guatemala aufgenommen?

Guatemalas Nationalpolizei in Aktion: Filmszene aus 'La Isla' (Foto: iskacine)
Guatemalas Nationalpolizei in Aktion: Filmszene aus 'La Isla'Bild: iskacine

Wir wussten, dass es brisant ist diesen Film in Guatemala zu zeigen. Man muss wissen, dass wir in dem Film nicht nur die Polizeidokumente benutzen, wir haben auch bis dato unbekannte Filmbilder und CIA-Dokumente integriert. Es ging uns nicht darum, nur der National Polizei die Verantwortung in die Schuhe zu schieben, sondern zu zeigen, wie der Repressionsapparat funktioniert hat. Und dabei ging es nicht nur um die guatemaltekische Polizei, sondern auch um die Armee und internationale Akteure die dort eine Rolle gespielt haben. Das ist natürlich für ein Land, wo quasi absolute Straffreiheit herrscht, eine heikle Sache. Denn die Leute die an dem Genozid beteiligt waren, die laufen dort noch frei herum. Es kam zu heftigen diplomatischen und politischen Auseinandersetzungen zwischen Regierung, Opposition und rechten Kreisen. Am Tag der Premiere erhielt das Nationaltheater Bombendrohungen. Letztendlich ist der Film aber doch gelaufen und war ein großer Erfolg.

Wie kam es, dass Sie sich seit Jahren in ihren Filmen mit den Menschenrechten in Guatemala auseinandersetzen?

Ich war vor 20 Jahren das erste Mal in Guatemala und habe einen Film gemacht. Dann kam noch ein zweiter hinzu, da ging es um die guatemaltekischen Flüchtlinge in Mexiko. So sind wir im Laufe der Zeit auf Themen gestoßen, die uns interessiert haben. Die Themen waren zwar in Guatemala angesiedelt waren aber universell. Hinzu kam, dass es in den Neunziger Jahren kaum Filmschaffende in Guatemala gab, unsere Präsenz hat ein bisschen was in Bewegung gesetzt. Wir haben auch angefangen mit den dortigen Filmleuten zusammenzuarbeiten und da ergab sich eine recht fruchtbare Zusammenarbeit. Wir haben weiter dort Filme gedreht und gleichzeitig viel voneinander gelernt haben. Die Filme sind auch international gelaufen, daher spricht nichts dagegen, längere Zeit in einem Land zu arbeiten.

Wie ist die Situation der Menschenrechte in Guatemala momentan?

Insgesamt ist Guatemala ein Land, in dem allgemein die Menschenrechte nicht hoch angesiedelt sind. Was Bildung, Nahrung etc. angeht, sieht es sehr schlecht aus. Es wurde vor kurzem sogar der Notstand ausgerufen, weil es Hungertote gab, was man aus der Region bisher nicht kennt. Politische Morde haben seit dem Genozid der 1980er-Jahre aufgehört. Es gibt aber nach wie vor selektive politische Morde in Guatemala.

Sie erwähnten die Straffreiheit, die in Guatemala herrsche. Was glauben Sie, könnte man tun, um die Justiz in dem Land gerechter zu machen?

Erkennungsdienstliches Foto eines jungen Guatemalteken aus dem wieder entdeckten Archiv der Nationalpolizei (Foto: iskacine)
Viele der 200.000 Todesopfer des Bürgerkriegs blieben namenlosBild: iskacine

Schon immer war der Einfluss von Armee und Privatwirtschaft so groß, dass man ihren Vertretern nie etwas hat anhaben können. Seit drei, vier Jahren arbeitet eine UNO-Kommission daran, das organisierte Verbrechen zu bekämpfen und die Justiz funktionsfähig zu machen. Das ist ein schwerwiegendes Unterfangen. Der erste Strafrechtler beziehungsweise Staatsanwalt, ein Spanier, hat nach drei Jahren, nach wirklich wichtigen Erfolgen, das Handtuch geworfen. Diejenigen Kräfte, die nicht an der Aufklärung interessiert sind, haben eine Schmutzkampagne gegen ihn lanciert, der er nicht mehr standhalten konnte. Insofern ist es schwierig die Situation zu verändern. Man muss bei den jungen Staatsanwälten ansetzen, ihnen genug Gehalt bezahlen und einfach aufzeigen, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Sonst wird Guatemala ein Land, was vor dem Verbrechen kapitulieren muss.

Es wurde kürzlich beschlossen, dass gegen drei Militärs, die für ein Massaker von 252 Zivilisten verantwortlich waren, ein Gerichtsverfahren eingeleitet wird. Ist das ein Fortschritt?

Das ist sicherlich ein Fortschritt. Diese ganzen Verbrechen haben am Anfang der 1980er-Jahre stattgefunden, seitdem sind dreißig Jahre vergangen. Das ist eine lange Zeit, aber angesichts der Situation, wie ich sie gerade geschildert habe, muss man es einfach als Erfolg bezeichnen, dass solche Menschen überhaupt vor Gericht kommen. Insofern ist jedes Verbrechen, dass in Guatemala vor Gericht kommt, eigentlich immer ein kleiner Erfolg.

"La Isla – Archiv einer Tragödie", Deutschland/Guatemala 2009, Buch und Regie: Uli Stelzner

Der Film ist vom 23. bis zum 29. September im Hamburger Kino 3001 zu sehen; im Oktober wird er unter anderem in Kassel, Frankfurt und Leipzig gezeigt.

Autorin: Gözde Peşman

Redaktion: Sven Töniges