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Goya und die Königsfamilie

29. März 2014

Ein Künstler sieht die Menschen so, wie sie wirklich sind und stellt sie auch so dar. Diederich Lüken beschreibt ein Kunstwerk für die evangelische Kirche und stellt die Frage, ob es nicht auch eine andere Wahrheit gibt.

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Die Familie Karls des IV (Gemälde von von Francisco Goya)
Die Familie Karls des IV (Francisco Goya)

„Sind wir wirklich so hässlich?“
Francisco Goya lebte von 1746 bis 1828, erreichte also das für seine Zeit beträchtliche Alter von 82 Jahren. Er gehört zu den besten Malern, die Spanien je erlebt hat; seine Bilder sind teilweise von einer immer noch beklemmenden Aktualität. Er avanciert zum Maler des Königshofes. Auch in dieser Funktion bleibt sein Auge unbestechlich, und sein Pinsel malt ein getreues Bild der königlichen Familie. Das wird vor allem sichtbar in seinem Gemälde "Die Familie Karls des IV", ein Schinken in großem Format.

Die königliche Familie erscheint in Lebensgröße und stellt ganz offensichtlich ihren Reichtum zur Schau: prächtige Kostüme und Juwelen und Orden sind zu sehen. Den Mittelpunkt bildet Königin Maria Luisa mit ihren beiden jüngsten Kindern. Sie trägt ein ärmelloses Kleid, um die Schönheit ihrer Arme zu zeigen. Darauf war sie nämlich besonders stolz; so stolz, dass sie das Tragen von Handschuhen bei Hofe verbot. Kein Wunder, dass der Maler sie besonders genüsslich schilderte. So prachtvoll aber die Kostüme des königlichen Familie sind, so nichtssagend ist der Ausdruck ihrer Gesichter. Alle Beteiligten blicken starr geradeaus, kein Lächeln ist zu sehen, keine andere Gefühlsregung als satte Selbstzufriedenheit und gepflegte Langeweile. Der französische Romancier Théophile Gautier verglich die Dargestellten mit dem "Bäcker an der Ecke und seiner Frau, nachdem sie in der Lotterie gewonnen haben."

"Die königliche Familie ist ohne den geringsten Versuch der Beschönigung dargestellt, ihre Dekadenz und Überheblichkeit wird unverblümt gezeigt und es ist recht verwunderlich, dass sie keine Einwände dagegen vorgebracht haben", meint die Goya-Biographin Sarah Carr-Gomm. Damit hat sie zweifellos Recht; es sind schon Künstler aus weit geringeren Gründen gevierteilt worden. Die Toleranz aber, die dazu geführt hat, dass das Gemälde anerkannt und ausgestellt wurde, ist immerhin bewundernswert. Hinzuzufügen ist jedoch eine Bemerkung der Königin, die allerdings nur anekdotisch überliefert ist und keinen Anspruch auf Historizität erhebt. Sie soll beim Betrachten des Bildes zu ihrem königlichen Gemahl gesagt haben: "Sind wir wirklich so hässlich?" Die Antwort des Königs ist nicht bekannt. Die Tatsache aber, dass er das Gemälde akzeptierte, lässt darauf schließen, dass er dem Maler wohl Recht gab.

Jede Maske wird von Gott durchschaut

Manchmal braucht man halt den klaren, analytischen Blick von außen, um zu erkennen, wer man und wie man wirklich ist. Der blinde Fleck, den jeder für sich selbst hat, lässt eine objektive Sicht auf die eigene Person oft nicht zu, von einem kritischen Urteil ganz zu schweigen. Dennoch gehört eine realistische Selbsteinschätzung zu einem aufrechten Leben einfach dazu. Die Frage nur lautet, wie man dahin kommt; es hat ja nun wahrlich nicht jeder einen Goya bei der Hand. Der christliche Glaube besagt, dass Gott es ist, der den Menschen durch und durch erkennt. Vor seinem Blick kann man sich nicht verstecken. Jede Maskerade, und sei sie noch so freundlich, wird von ihm durchschaut. Vor Gott können wir nur so sein, wie wir wirklich sind. Wenn man sich das bewusst macht, kann der Blick auf die eigene Person besser gelingen, zumal ja Gott nicht nur die zweifelhaften Seiten an uns kennt. Er sieht auch unsere Scham, die uns packen mag, wenn wir ehrlich uns selbst gegenüber sind.

Wir sind Geliebte Gottes

Viele Menschen sind ja doch ziemlich verzweifelt, wenn es ihnen wieder einmal misslungen ist, den eigenen Idealen zu folgen. Und Gott sieht, wie wir uns Mühe geben, unsere Charakterstärken zu erkennen, zu pflegen und zu entwickeln. Und dort, wo wir nicht mehr weiterkönnen, weil wir uns in uns selbst verrannt haben, öffnet er uns Wege zu einem neuen Anfang. Deswegen können wir es aushalten, uns selbst so zu sehen, wie wir wirklich sind. Mit unseren Sonnen- und Schattenseiten sind wir Geliebte Gottes.

Zum Autor:

Diederich Lüken, Jahrgang 1952, ist Pastor in der Evangelisch-methodistischen Kirche in Stuttgart-Bad Cannstatt. Er wurde in Veenhusen/Ostfriesland geboren, studierte Theologie in Münster, Reutlingen, Tübingen und Marburg. Seine beruflichen Stationen führten ihn nach Essen, Bebra, Velbert, Stuttgart-Weilimdorf (Rundfunkarbeit der Evangelisch-methodistischen Kirche) und Stuttgart-Bad Cannstatt. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Pastor Diederich Lüken Stuttgart
Pastor Diederich LükenBild: EKD