Goiânia: Die vergessene Katastrophe
Nukleare Verseuchung, grassierende Armut, grobe Fahrlässigkeit: Der Fund eines alten Strahlengerätes vor 30 Jahren löste in Brasilien einen "Supergau" aus. Die "Cäsium-Menschen" werden bis heute stigmatisiert.
Eine Ruine ruiniert eine Stadt
Hinter diesen Mauern in der Straße 57 in Goiânia fanden Müllsammler am 13. September 1987 ein ausgedientes Strahlentherapie-Gerät mit hochradioaktivem Material. Ihr Fund verseuchte und traumatisierte eine ganze Stadt. Insgesamt waren 6500 Menschen der Strahlung ausgesetzt.
Fataler Fund
In diesem mit Blei ummantelten Bestrahlungskopf befand sich das hochradioaktive Cäsium 137. Die Müllsammler versuchten, ihr Fundstück zu zerlegen und wurden dabei kontaminiert. Weil sie das Gerät für wertvoll hielten, verkauften sie es weiter an einen Schrotthändler.
Verarmt und ahnungslos
Der Schrotthändler Devair Alves Ferreira zerlegte das Strahlengerät und war fasziniert von dem geheimnisvollen Leuchten der Substanz im Inneren: Cäsium 137 schimmert in der Dunkelheit schwach blau. Er verschenkte das hochradioaktive Pulver an seine Familie und seine Bekannten. Devair Ferreira starb 1994.
"Das Teil bringt meine Familie um"
In einem zerschlissenen Lagersack brachte Maria Gabriela Ferreira, die Frau des Schrotthändlers, den Bestrahlungskopf zur Gesundheitsbehörde in Goiânia - mit dem Bus. Sie war die Erste, die Alarm schlug: "Das Teil bringt meine Familie um", erklärte sie den Mitarbeitern der Behörde.
Der Tod kam beim Spielen
Erstes Todesopfer: Die sechsjährige Leide das Neves starb am 23. Oktober 1987. Sie hatte mit dem schimmernden Pulver, das ihr Vater - der Bruder des Schrotthändlers - ihr geschenkt hatte, gespielt. Beim Essen gelangte das Pulver, das an ihren Fingern klebte, in den Mund.
Kampf gegen Kontamination
Nach der offiziellen Bestätigung der nuklearen Katastrophe am 29. Setember 1987 begann der Kampf gegen die Verseuchung der Stadt. 85 Häuser waren kontaminiert, davon wurden 41 evakuiert und sieben abgerissen. Das erste davon war die Ruine auf der Straße 57, wo die Katastrophe begann.
6000 Tonnen radioaktiver Müll
Die Dekontaminierungsarbeiten zogen sich von Oktober 1987 bis Januar 1988 hin. Insgesamt 6000 Tonnen radioaktiver Abfall wurden in 4200 Fässern und 1400 Metallbehältern verschlossen. Die Lagerstätte befindet sich in der Gemeinde Abadia de Goás, einem Vorort von Goiânia, wo der Müll 180 Jahre gelagert werden muss.
Der Kampf der Opfer
Rund 500 Menschen leiden noch immer an den Spätfolgen des "Goiânia-Unfalls". Eine Opfer-Vereinigung kämpft dafür, dass die Betroffenen lebenswichtige Medikamente und eine Invalidenrente bekommen. Es ist ein zäher Kampf, an dem viele Betroffene verzweifeln.
Diskriminiert und stigmatisiert
Luisa Odet Mota dos Santos (links) erlitt nach dem Unfall Verletzungen am Hals. Keine Schule wollte damals ihre Tochter aufnehmen. Die Stigmatisierung und Ausgrenzung der Goiânia-Opfer hält an. Immer noch ist die Angst vor radioaktiver Verseuchung weit verbreitet. Luisa kümmert sich heute um ihr Enkelkind.
Wo keiner wohnen will
30 Jahre nach der nuklearen Katastrophe ist das Grundstück in Goiânia, auf dem einst die Ruine des Instituts für Radiotherapie stand, noch immer mit Beton versiegelt. Die jüngeren Nachbarn scheinen die Gründe dafür nicht zu kennen. Über Brasiliens "Supergau" wird nicht gerne gesprochen.