Globalisierung
11. November 2011Die Welt ist weit weniger vernetzt als allgemein angenommen. Das ist das überraschende Ergebnis einer Studie, die das Logistikunternehmen DHL zum ersten Mal in Auftrag gegeben hatte. Durchgeführt hat sie der renommierte Ökonom Pankaj Ghemawat, Professor an der IESE Managementschule in Barcelona. "Nur zwei Prozent aller Telefongespräche werden international geführt, nur zehn Prozent aller Investitionen sind ausländische Direktinvestitionen", erklärt Ghemawat. Gehe man von einem Globalisierungspotenzial von 100 Prozent aus, würden derzeit gerade zehn bis 20 Prozent genutzt.
Der Ökonom hat aus Telefon- und anderen Daten von 125 Ländern einen "Globalen Vernetzungsindex" (Global Connectedness Index, GCI) zusammengestellt. Berücksichtigt wurden neben dem Handel die Bewegung von Kapital, Informationen und Menschen. Dabei geht es nicht nur um das Volumen des Austauschs, sondern auch darum, mit wie vielen verschiedenen Ländern der Austausch stattfindet.
Niederlande vorn, Deutschland auf Platz 13
Auf Platz eins des Indexes finden sich die Niederlande, gefolgt von Singapur und Irland. Deutschland liegt auf Platz 13. Die Bundesrepublik hat das vor allem ihren breit gestreuten Beziehungen zu verdanken. Von 2005 bis 2010 hat sich Deutschland, allen globalen Krisen zum Trotz, in allen untersuchten Bereichen verbessert. Denn wenn in Krisenzeiten der Gesamtumfang beispielsweise des Handels zurückgeht, dann zahlt es sich aus, wie Deutschland breit gestreute Kontakte zu haben und diese aufrecht zu halten.
Dabei betreibt die Bundesrepublik den meisten Handel immer noch mit Ländern der Europäischen Union - ist also nicht so global vernetzt, wie man im Allgemeinen annimmt. Im Verhältnis zu vielen anderen Ländern, die noch weniger Handelspartner haben, steht Deutschland immer noch gut da. Es gibt aber auch noch erhebliche Ausbaumöglichkeiten - vor allem in Richtung Osten, darauf weist Pankaj Ghemawat hin. Die meisten Telefongespräche aus Deutschland werden in die Türkei geführt. "Hier gibt es eine große Chance", sagt der Ökonom, die Türkei könne dabei auch als Tor zum boomenden asiatischen Markt dienen.
Globalisierung als Sündenbock
Wer davon ausgeht, dass die Globalisierung schon jetzt abgeschlossen sei, erklärt Ghemawat, übersehe die Chancen, die eine möglichst umfangreiche Vernetzung biete. Auch bestehe die Gefahr, alle Probleme auf die angeblich umfangreiche Globalisierung zu schieben und die eigentlichen Ursachen zu übersehen. Auch hier führt Ghemawat sein Lieblingsbeispiel der Telefongespräche an: "Das typische Verhältnis von Inlands- zu Auslandsgesprächen ist 10.000 zu eins." Das sei ein eindringlicher Hinweis, wie ortsgebunden wir eigentlich noch sind. Roger Crook, Konzernvorstand für DHL Global Forwarding, Freight, sieht die Angst vor der Globalisierung allerdings schwinden: "Wir reisen heute alle mehr als vor 20 Jahren und sind in unserem Denken globaler geworden", sagt er im Interview mit DW-WORLD.DE.
Die erstaunlichste Erkenntnis der Studie ist nach Ghemawats Worten noch etwas anderes: Die tiefe Kluft, die zwischen den Top-Vernetzten und denen an letzter Stelle existiert. Die Länder auf den ersten Plätzen des Indexes seien 140 oder 150 mal besser vernetzt als die auf den letzten Plätzen. Diese Unterschiede haben verschiedene Ursachen. So seien die Niederlande als Seefahrernation schon seit jeher nach außen orientiert und dazu in der gut strukturierten Europäischen Union verankert, wo 59 Prozent der niederländischen Exporte hingehen. Schlusslicht Nepal dagegen hat den Himalaya als Handelshemmnis vor der Tür und liegt in einer Gegend, in der grundsätzlich wenig regionale Kooperation stattfindet.
Kluge Entscheidungen gefragt
Nun können Länder ihre Vergangenheit ebenso wenig ändern wie die Tatsache, dass sie in Gegenden liegen, die durch ihre Geografie Handel erschweren. Aber sie können kluge politische Entscheidungen treffen, die den Austausch mit anderen Ländern erleichtern. Nepal liegt auch auf dem internationalen Index für die Förderung von Handel auf Platz 109 von 112 Ländern. Die richtige Handels- und Finanzpolitik spielt also eine große Rolle. Eine Politik, die das Wirtschaftsklima im Allgemeinen verbessert, wirke sich sehr positiv auf die Vernetzung aus und damit positiv auf die Wirtschaft, meint Professor Ghemawat.
Ghemawat warnt vor dem Reflex, sich bei hoher Arbeitslosigkeit nach außen abzuschotten, um Arbeitsplätze im eigenen Land zu schaffen. Dies ist nach seiner Ansicht die grundfalsche Strategie. "So landen wir in einer Abwärtsspirale", sagt er, "genau wie in den 1930er Jahren".
APEC-Länder gut vernetzt
Vorgestellt wurde die Studie in Honolulu am Rande des APEC-Gipfels. Die APEC-Länder gehen mit gutem Beispiel voran. "Sie sind stärker vernetzt als der Durchschnitt", sagt Ghemawat. Dabei findet der Handelsaustausch aber auch hier vor allem innerhalb der Region statt. Ein Phänomen, das Ghemawat auch grundsätzlich festgestellt hat. Die Hälfte bis ein Drittel des Transfers findet in der eigenen geografischen Region statt - mit Ländern, mit denen man eine Grenze teilt, aber auch kulturelle oder historische Verbindungen hat. Von weltweiter Vernetzung kann also nicht die Rede sein, wohl aber von regionaler.
Vor allem in den vergangenen drei Jahren, erklärt DHL-Vorstand Crook, habe sich die Welt rapide verändert. Er sehe mehr Verbindungen zwischen dem asiatisch-pazifischen Raum, Afrika, Lateinamerika und dem Nahen Osten. "Unsere Kunden reden verstärkt darüber, und wir machen dort umfangreichere Geschäfte als früher." Wenn man diese Regionen besuche, dann seien die Menschen dort nicht mehr so sehr auf die USA und Europa fokussiert. "Die Welt sieht nicht mehr nur die USA und Europa als Geschäftspartner, sondern jede Region der Welt."
Autorin: Christina Bergmann, z. Zt. Honolulu
Redaktion: Rolf Wenkel