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Die Unbesiegbaren

Jenny Peng /ke22. September 2015

Niemand schützt den Amazonas Regenwald so gut wie die Kayapó. Aber Wirtschaftsinteressen und eine Änderung der brasilianischen Verfassung drohen ihr Ökosystem trotzdem zu zerstören.

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Indigene Kayapó
Bild: Cristina Mittermeier/International Conservation Fund of Canada

Der Wald im Norden Brasiliens gleicht an manchen Stellen einem Flickenteppich. Früher üppig und undurchdringbar, fehlen heute großflächige Bereiche. Statt eines vollständigen Blätterdachs scheint an diesen Stellen die nackte Erde durch, ein eindrückliches Zeichen für durch Rodung und Raubbau zerstörte Ökosysteme. Der Blick auf das Stammesgebiet der Kayapó dagegen zeigt eine heile Welt. Auf 11 Millionen Hektar Fläche, mit tropischem Regenwald und Savannenlandschaften, schützt das indigene Volk sein ureigenes Land. Über 10.000 von ihnen leben in 46 Dörfern, die über ein Gebiet so groß wie Bulgarien verstreut liegen.

Die Kayapó sind die effektivsten Naturschützer ihres Landes. Sie verhindern illegalen Holzeinschlag und Viehzucht, sie wenden sich gegen den Abbau von Goldvorkommen. Ob sie das in Zukunft auch noch können werden, ist allerdings fraglich, denn es gibt starke politische und wirtschaftliche Kräfte, die gegen sie arbeiten.

Im Jahr 2013 hat Brasilien einen Sonderausschuss eingerichtet, um eine Verfassungsänderung zu überprüfen, die sogenannte PEC 215. Durch sie soll zukünftig der Kongress des Landes verantwortlich für Landrechte der Indigenen sein, nicht mehr die brasilianische Regierung. Auf den ersten Blick ein harmloser Schritt. Allerdings gibt es im Kongress eine Fraktion mit engen Verbindungen zur Land- und Forstwirtschaft, zur Energiewirtschaft und zum Bergbau. Diese sogenannten Ruralisten wollen das Land lieber nutzen, anstatt es den indigenen Völkern zu überlassen, die auf ihm leben. Das Gebiet der Kayapó ist das größte seiner Art in der Region. Daneben gibt es noch etwa 690 andere anerkannte Gebiete im Amazonas, die von der Änderung betroffen sein könnten.

Jäger, Sammler, Hüter des Ökosystems

Gewissermaßen als Ausgleich für den Schutz ihres Landes können sich die Kayapó auf den Wald als Lebensmittel-Lieferant verlassen. Sie fischen oder machen Jagd auf Säugetiere, Vögel und Schildkröten. Die Frauen sammeln Nüsse und Früchte.

Ihr Einfluss auf die Populationen bedrohter Arten ist dabei sehr gering, stellt Barbara Zimmermann klar. Sie leitet ein #link:http://icfcanada.org/kayapo.shtml:Kayapó-Projekt# beim International Conservation Fund of Canada. "Sie verursachen keine Lücken, selbst bei den sensiblen Arten nicht", sagt sie und nennt Weißbartpekari, Tapir und verschiedene bedrohte Fischarten als Beispiel. Überall, wo diese im Amazonas sonst gejagt werden, verringert sich ihre Zahl sehr schnell. "Jeder Wissenschaftler, der im Amazonas forscht, würde bestätigen, dass die Gebiete der Indigenen der absolute Schlüssel zur Erhaltung der Artenvielfalt sind."

Indigene Kayapó beim Fischen
Die Kayapó wissen, wie man jagt, ohne den Bestand einer Art zu gefährdenBild: Cristina Mittermeier/International Conservation Fund of Canada

Sollte die Industrie Zugang zu diesen Gebieten bekommen, fürchten Forscher, dass viele bereits bedrohte Arten noch größeren Gefahren ausgesetzt wären. Zu ihnen gehören Weißbart-Klammeraffe, Riesenotter und Hyazinth-Ara. Aber auch andere gefährdete Großwildarten wie das Riesengürteltier, der Waldhund und der Jaguar leben innerhalb des Gebietes der Kayapó.

Die Bedeutung des Waldes geht noch weit über die Versorgung mit Nahrungsmitteln hinaus. Er lindert die Auswirkungen des Klimawandels, indem er den Wasserkreislauf aufrecht erhält, den Abfluss des Regenwassers regelt und den Boden stabilisiert. Damit ist der Wald auch ein bedeutender Puffer für die Städte in der Region, einschließlich São Paulo. Die Stadt litt 2014 unter der schlimmsten Dürre seit 80 Jahren, Trinkwasser musste rationiert werden. Wissenschaftler sehen darin #link:http://blog.cifor.org/26559/the-science-is-clear-forest-loss-behind-brazils-drought:eine Verbindung zur Abholzung des Amazonas#.

Die Macht wirtschaftlicher Interessen

Der Hunger nach frischer Landfläche auf dem Gebiet des Regenwaldes geht einher mit illegaler Abholzung und Viehwirtschaft im großen Stil. Die Agrarindustrie wächst rasant. Laut #link:http://www.pwc.com.br/pt/publicacoes/setores-atividade/assets/agribusiness/agribusiness-tsp-13.pdf:PwC arbeitet knapp ein Drittel der Bevölkerung Brasiliens# in dem Bereich, der für 22 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des Landes verantwortlich ist. Brasilien ist einer der Top-Drei-Rindfleisch-Exporteure der Welt. 2013 kamen 40 Prozent des weltweit gehandelten Kaffees, Zuckers, Orangensafts und der Sojabohnen von dort.

Und die Agrarwirtschaft ist mächtig. Sie verfügt über eine ganze Reihe von Lobbyisten in der Regierung, die Themen wie PEC 215 auf den Plan setzen können. An deren Spitze steht Kátia Abreu. Die Landwirtschaftsministerin wurde im Dezember 2014 von Präsidentin Dilma Rousseff ernannt. In einem #link:http://www.theguardian.com/environment/2014/may/05/brazil-chainsaw-queen-katia-abreu-amazon-deforestation:Interview mit dem Guardian# erklärte sie die Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion zu einem ihrer Hauptziele.

Indigener auf einer durch Brandrodung zerstörten Waldfläche
Brandrodungen machen den Weg für die landwirtschaftliche Nutzung frei, aber vom wertvollen Wald bleibt nichts übrigBild: Martin Schoeller/International Conservation Fund of Canada

"Wir können nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Es gibt viele Dinge, die den Fortschritt zurückhalten. Das Umweltproblem, das Indio-Thema und noch andere", sagte Abreu mit Bezug auf die Stämme im Amazonas. "Aber selbst mit diesen Problemen schaffen wir ein hohes Maß an Produktivität. Stellen Sie sich vor, was wir ohne diese Hindernisse schaffen könnten."

Dem widerspricht #link:http://www.survivalinternational.org/:Sarah Shenker, Kampaignerin bei Survival International#. Nur ein kleiner Teil der Brasilianer profitiere tatsächlich von der Agrarindustrie, sagt sie. "Diese Projekte machen vor allem die großen Unternehmen reicher. Ein Teil des Geldes fließt an die Regierung. Aber keines der Projekte bedeutet Verbesserungen für die Armen."

Der Anfang eines Entwicklungsplans

PEC 215 ist nur der Anfang eines großen Entwicklungsplans, sagen Vertreter von indigenen Völkern, aber auch Parlamentarier und Organisationen. Dieser Plan wird "die Zulassung von Großunternehmen in diesen Schutzgebieten" erlauben, so die Befürchtung. Gemeinsam haben sie ein Manifest unterzeichnet und im Juni dem Kongress übergeben, laut dem neben einer umfangreicheren Agrarindustrie auch etliche Wasserkraftwerke geplant seien. Außerdem solle der Bergbau vorangetrieben werden, Autobahnen gebaut und Wasserstraßen für den industriellen Verkehr eingerichtet werden, dazu Häfen und Eisenbahnlinien.

"Ich kämpfe für die ganze Welt, wenn ich um den Erhalt des Waldes kämpfe", sagt der legendäre Kayapó-Stammesführer Chief Raoni in einem Online-Appell. Er und Chief Mekaron-Ti organisieren seit mehr als 40 Jahren Proteste, getrieben von der Tradition und dem Geist ihres Stammes. Dieser Einsatz führte in der Vergangenheit auch zur Vertreibung von Eindringlingen und manchmal auch zu deren Tod.

Gruppenbild Indigener
Viele Indigene haben sich zusammengeschlossen, um für die Rettung ihres Regenwaldes zu kämpfenBild: Cristina Mittermeier/International Conservation Fund of Canada

Korruption verhindert Umweltschutz

Umweltschutz ist vom Goodwill oder besser: guten Willen einer korrupten Regierung abhängig, scheint es. Erst im August waren Tausende auf der Straße, als das Land von massiven Korruptions-Anklagen erschüttert wurde. Spitzenfunktionäre und #link:http://www.dw.com/en/leading-brazil-politicians-cunha-and-collor-hit-with-petrobras-corruption-charges/a-18663314: Führungskräfte von Unternehmen# standen im Verdacht, in Bestechung, Geldwäsche und Schmiergeldzahlungen verwickelt zu sein.

Paulo Roberto Costa etwa, der ehemalige Vorstandschef von Petrobras. Er war einer der ersten hochrangigen Führungskräfte, die verhaftet und verurteilt wurden. Er veröffentlichte Namen von Politikern, die an der systematischen Korruption in Bereichen wie Transport und dem Bau von Staudämmen beteiligt waren. Ein weiterer Verurteilter war Dalton Avancini, der ehemalige Vorsitzende von Camargo Corrêa. Sein Unternehmen zahlte Millionen an zwei Parteien, um sich einen nicht unerheblichen Anteil am Bau des Belo Monte Mega-Staudamms im Amazonas zu sichern.

"Am Horizont braut sich ein riesiger Sturm zusammen", sagt Barbara Zimmermann vom International Conservation Fund of Canada. "Viehzüchter wollen auf das Land, Siedler wollen auf das Land… Man muss bedenken, dass die Kayapó über die letzten wertvollen Bestände an Holz in der gesamten Region verfügen. Der Druck ist enorm."