1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Zunehmende Gewalt bei Abschiebungen

Marcel Fürstenau Mitarbeit: Kate Brady
12. August 2019

Freiwillig lässt sich niemand aus Deutschland abschieben. Nun wurde bekannt, dass sich immer mehr Betroffene gewaltsam dagegen wehren. Aber auch der Staat reagiert mit Härte – und erntet dafür Kritik.

https://p.dw.com/p/3Nmvu
Symbolbild - Abschiebung
Polizisten bringen am 1. August 2019 auf dem Flughafen Leipzig-Halle einen von Abschiebung betroffenen Afghanen an Bord Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Berichte über gescheiterte Abschiebungen gibt es immer wieder. Flüchtlinge klagen erfolgreich gegen die geplante Rückführung in ihr Heimatland oder einen Drittstaat, aus dem sie nach Deutschland gekommen sind. Oder sie tauchen unter, bevor sie von der Polizei abgeholt werden können. Mitunter scheitert die Abschiebung aber auch im letzten Moment wegen eskalierender Gewalt in Flugzeugen. Allein im ersten Halbjahr 2019 weigerten sich Piloten deutscher und ausländischer Airlines, sich an der Abschiebung von insgesamt 335 Personen zu beteiligen.

Die Zahl stammt aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken, die der Deutschen Welle vorliegt. Daraus geht auch hervor, welche Flughäfen am stärksten betroffen waren: Frankfurt am Main (131 Personen), Düsseldorf (111) und München (39). Bei den Airlines liegt die Lufthansa mit 87 Personen an der Spitze, gefolgt von Eurowings (75) und Iberia (42). Hinter den schlichten Zahlen verbirgt sich offenkundig ein Problem, das sich seit Jahren verschärft: zunehmende Gewalt – auf Seiten der Betroffenen und des Staates.

Der Einsatz von Fesseln hat sich fast verzehnfacht

Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke wollte es genauer wissen. Deshalb schickte sie der Bundesregierung einen Katalog mit 26 detaillierten Fragen zu. Eine Entwicklung weckte ihren besonderen Argwohn: dass sich der Einsatz von sogenannten "Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt" zwischen 2015 und 2018 von 135 auf 1.231 Fälle fast verzehnfacht hat. Damit sind unter anderem Hand- und Fußfesseln gemeint, mit denen Polizisten gewalttätige Personen zu bändigen versuchen.

Symbolbild - Abschiebung
Trotz begleitender Polizisten weigern sich immer wieder Piloten, zu starten, wenn sich Betroffene gegen ihre Abschiebung wehren Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Der Anstieg ist deshalb so bemerkenswert, weil die Zahl der Abschiebungen im selben Zeitraum fast unverändert blieb: 23.966 waren es 2017, ein Jahr später 23.617. Ein ähnlicher Wert zeichnet sich für 2019 ab, wenn man die von Januar bis Juni 2019 abgeschobenen 11.496 Personen auf das ganze Jahr hochrechnet. Den massiven Anstieg von Fesselungen trotz sogar leicht rückläufiger Abschiebenzahlen erklärt das Innenministerium damit, "dass mehr Personen im Rückführungsverfahren Widerstandshandlungen vornehmen". An anderer Stelle heißt es in dem Schreiben vom 6. August: "Weitere gesicherte Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hierzu nicht vor."

Das Innenministerium hält die Steigerung für "leicht" erklärbar

Auf Nachfrage der Deutschen Welle am Montag hielt die Sprecherin des Innenministeriums, Eleonore Petermann, die zunehmende Gewalt für "leicht" erklärbar. Abschiebungen seien nicht freiwillig, weshalb Betroffene ihren Unmut "vielleicht durch körperliche Gewalt" zum Ausdruck brächten. Um die Abschiebung trotzdem durchzusetzen oder Personen zu schützen, könnten Fesselungen oder andere Mittel zum Einsatz kommen. Aber nur, "wenn es wirklich das letzte Mittel ist", betonte die Sprecherin von Innenminister Horst Seehofer.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, die den Stein ins Rollen gebracht hatte, kommentiert die zunehmende Gewalt auf beiden Seiten ganz anders: "Ich finde es unerträglich, dass die Verzweiflung dieser Menschen immer unnachgiebiger mit Gewaltmitteln gebrochen wird, um sie gegen ihren Willen in elendste Verhältnisse in ihren Herkunftsländern oder in Transitstaaten zurückzuschicken."  Es gebe immer wieder schockierende Berichte aus der Praxis über brutale Abschiebungen.

"Pro Asyl" hält die Abschiebepraxis für eine "Blackbox"

Jelpke nennt als Beispiel die Kritik des Anti-Folter-Komitees des Europarats, der im Deutschland im Mai aufgefordert hatte, auf "unverhältnismäßige und unangemessene" Gewaltanwendung im Zuge von Abschiebungen zu verzichten. Auch "Pro Asyl" registriert eine zunehmende Härte bei Abschiebungen – auf beiden Seiten. Klagen über "exzessive Gewaltanwendung" beträfen allerdings weniger die bei Abschiebungen auf Flughäfen zuständige Bundespolizei, sondern Vollzugsbeamte, "die Abzuschiebende aufgreifen, abholen oder zu Flughäfen transportieren". Das sagte Bernd Mesovic, rechtspolitischer Referent der Menschenrechtsorganisation, auf DW-Anfrage. 

Der Experte von "Pro Asyl" hält die gesamte Abschiebepraxis für ein "Blackbox-Thema". Abgesehen von den Betroffenen und vielleicht noch ihren Familienangehörigen gebe es selten unabhängige Zeugen, weshalb man nur von den sich häufenden Beschwerden auf die Realität schließen könne. Mesovic vermutet, Hintergrund der Entwicklung könnten die immer wieder öffentlich geäußerten Erwartungen von Politikern sein, "Abschiebungen in größerer Zahl erfolgreich durchzusetzen".

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte – Schwerpunkt: Deutschland