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Angriff statt Rückzug

Kersten Knipp10. April 2012

Die syrische Regierung behauptet, den internationalen Friedensplan respektieren zu wollen. Es würden bereits Truppen abgezogen, erklärte der syrische Außenminister. Doch gekämpft wird weiter.

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Ein zerstöret Straßenzug in Homs, 3. April 2012 (Foto: Reuters)
Politik, wie Assad sie versteht: Homs nach den Angriffen des syrischen MilitärsBild: Reuters

Am Wochenende noch hatte die syrische Regierung verlauten lassen, der Sondergesandte Kofi Annan habe etwas missverstanden, wenn er davon ausgehe, die syrischen Truppen würden sich ohne jegliche Vorbedingungen aus den Städten und Provinzen des Landes zurückziehen. Nun aber erklärte der syrische Außenminister, Walid Muallem, die syrischen Truppen seien im Rückzug begriffen. Zugleich warf er den Rebellen vor, ihre Kämpfe weiter zu verschärfen. Die entgegneten ihrerseits, die Truppen des Regimes würden sich nicht zurückziehen. Im Gegenteil: Die Kämpfe gingen mit unverminderter Härte weiter. Er wisse von 23 Menschen, die allein in den letzten Stunden getötet worden seien, erklärte Hozan Ibrahim, Mitglied im Generalsekretariat des Syrischen Nationalrates. Am Montag (09.04.2012) seien es über 160 gewesen, berichteten andere syrische Regimegegner.

Was steckt hinter der Ankündigung der syrischen Regierung? Sie lege die übliche Taktik an den Tag, erklärt Ibrahim. Das Regime habe vor einigen Wochen bereits versucht, die arabische Beobachterinitiative auszutricksen. "Als die im Land war, ging das Töten auch weiter. Und jetzt ist es ähnlich: Seitdem Annan bekanntgab, die syrische Regierung wolle den Friedensplan anerkennen, wurden über 1000 Menschen getötet. Entweder will Assad Zeit gewinnen oder die Befehle haben die Armee nicht erreicht."

Hozan Ibrahim, Sprecher des Netzwerks Local Coordination Committees of Syria (LCC) und Mitglied im Generalsekretariat des Syrischen Nationalrats, auf einer Pressekonferen z in Berlin, 10.Februar 2012 (Foto: Picture Alliance / dapd)
Hozan Ibrahim vom syrischen NationalratBild: dapd

Hoffen auf diplomatische Initiativen

Angesichts der fortgesetzten Angriffe in mehreren Städten und Regionen lehnt der Syrische Nationalrat die Forderung des Assad-Regimes ab, als erste Seite die Waffen niederzulegen. Syrischer Nationalrat und Freie Syrische Armee hätten erklärt, dass die Gewalt vom Regime ausgehe und dass dieses die Zivilisten töte, erklärt Hozan Ibrahim. Die Menschen würden durch die Regierungstruppen getötet. Darum wolle man die Waffen erst dann ruhen lassen, wenn auch das Regime das tue. "Die Freie Syrische Armee ist zur Verteidigung da - nicht, um anzugreifen. Wenn sich das Regime zurückzieht, werden auch wir die Waffen niederlegen."

Die abwartende Haltung der Regierung Assad ist ein Indiz dafür, wie stark sie die Freie Syrische Armee inzwischen einschätzt. Dennoch plädieren nicht alle Gegner des Regimes dafür, sie mit Waffen aus dem Ausland zu stärken. Der syrische Schriftsteller Rafik Schami, der seit knapp 40 Jahren in Deutschland lebt, hofft weiter auf diplomatische Initiativen. Er begrüßt, dass die internationale Gemeinschaft mit Ausnahme weniger Staaten die syrische Opposition bislang kaum mit Waffen versorgt hat. Solche Lieferungen hätten die Lage bislang nur noch verfahrener werden lassen. Darum plädiert er dafür, die syrische Opposition international weiter aufzuwerten. "Mittlerweile erkennen 70 Staaten den Syrischen Nationalrat unter Führung von Burhan Ghaliun als Vertretung des syrischen Volkes an. Eine solche Wertschätzung, wie sie etwa auch Außenminister Guido Westerwelle durch den Empfang von Vertretern des Syrischen Nationalrates unternommen hat, hilft mehr, als Mitglieder der syrischen Führung auf eine schwarze Liste zu setzen."

Der Buchautor, Rafik Schami, bei der Buchpräsentation "Das Geheimnis der Kalligraphen", aufgenommen am 19.10.2008 auf der Buchmesse in Frankfurt am Main. (Foto: Picture Alliance / dpa)
Der syrisch-stämmige Schriftsteller Rafik SchamiBild: picture-alliance/dpa

Wirksame Boykottmaßnahmen

Viele Regimegegner setzen auf ein weiteres Druckmittel: Sanktionen aus dem Ausland. Tatsächlich haben sich diese bislang als scharfes Instrument erwiesen. So haben die von zahlreichen Staaten initiierten Handelsboykotte sowie der Zusammenbruch des Tourismus die syrische Wirtschaft stark in Mitleidenschaft gezogen. Seitdem die Europäische Union ein Öl-Embargo gegen das Land verhängte, verkauft es 90 Prozent weniger Öl als zuvor. Auch aufgrund der von den anderen arabischen Staaten verhängten Sanktionen hat das Land viele Handelspartner verloren. Wie dramatisch es um Syrien steht, lässt sich vor allem an der Wertentwicklung der Landeswährung, des syrischen Pfunds, ablesen: Seit Beginn des Aufstands hat es 40 Prozent eingebüßt. Eben diese Entwicklung, erklärt Autor Rafik Schami, dürfte Assad innerhalb des Landes massive Unterstützung kosten.

Ein Angestellter der Syrischen Zentralbank mit frisch gedrucktem Geld in den Händen, 13. Januar 2012. (Foto: AP)
Hart getroffen: Das syrische PfundBild: AP

All jene, die bislang durch gemeinsame Geschäfte mit den Assads sehr viel Geld verdient hätten, sähen ihren Reichtum nun gefährdet. Und diese Gruppen würden ihre Verbindungen zur Assad-Familie kappen, wenn sie sähen, wieviel sie ihre Unterstützung des Regimes auf Dauer kosten könnte. Die Loyalität sei ökonomisch begründet. Und darum könne man sie über wirtschaftliche Effekte auch am besten unterbinden. "Diese Leute werden die Verbindung zur Assad-Familie in dem Moment kappen, wenn sie bemerken, dass ihre Waren boykottiert werden und ihr Marktanteil schwindet."

Dunkle Zukunft

Auf Unterstützung von außen setzt auch Hozan Ibrahim. Zwar habe sich die Internationale Gemeinschaft bislang noch zu keiner gemeinsamen Haltung durchringen können. Aber auch einzelne Sanktionen schwächten das Regime. "Jede noch so kleine Aktion trägt dazu bei, die Gewalt zu stoppen und das Regime dazu zu bringen, auf eine politische Lösung zu setzen."

Eine kurze Zeit sah es so aus, als sollten die Optimisten unter den Diplomaten Recht mit ihrer Ansicht behalten, das Assad-Regime sei letztlich doch an einer politischen Lösung der Krise interessiert. Jetzt so scheint es, schlägt wieder die Stunde der Pessimisten. Zum Schaden der Syrer, die ihr Land Tag für Tag weiter in den Abgrund rutschen sehen.