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Gerd Müller, mein Held

Jens Thurau, Berlin 7. Oktober 2015

Gerd Müller hat Alzheimer: Kaum vorstellbar, findet Jens Thurau. Für ihn ist der Bomber der Nation für immer ein junger, strahlender Held, dem alles gelingt.

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Gerd Müller bei der WM gegen die Niederlande 1974 (Foto: picture-alliance/dpa/P.Robinson)
Gerd Müller schießt 1974 das 2:1 WM-Siegtor gegen die NiederlandeBild: picture-alliance/dpa/P.Robinson

Gerd Müller im Altenheim? Angewiesen auf die Hilfe anderer? Der größte Torjäger aller Zeiten, verwirrt? Ich muss sagen, diese Nachricht trifft mich wirklich. Es gab Zeiten, ich war neun, zehn Jahre alt, da war für mich klar: Gerd Müller schafft alles, er wird 100 Jahre alt und schießt bis dahin zehntausend Tore. Dass er alt und krank werden könnte, war unvorstellbar.

Ein Bayern-Fan war ich nie. Aber über meinem Bett hing ein Riesenposter, das Müller bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko zeigte. Er trug das grüne Auswärtstrikot und, na klar, er hatte gerade ein Tor geschossen. Mit weit ausgebreiteten Armen lief er jubelnd über das Feld, er sah ein bisschen wie ein Flugzeug aus. Der Kopf war nach oben gereckt, in seinem Gesicht stand die klare Gewissheit, dass ein Tor bei einer WM zu schießen für ihn eine nackte Selbstverständlichkeit war. Junge, wie gern wäre ich wie er gewesen.

War ich aber nicht. Ich war ein eher schüchterner Junge. Im Fußballverein waren viele (nicht alle) besser als ich. Kurz nach der WM habe ich dann doch mein erstes Tor geschossen, ein Zufallsschuss, aber egal, jedenfalls lief ich mit weit ausgebreiteten Armen und mit nach oben gerecktem Kopf quer über den Platz, ganz für mich allein. Gefühlt hatte ich ein grünes Trikot an dabei.

Jahre später habe ich ihn dann gesehen, bei einem Freundschaftspiel der Nationalmannschaft gegen Schweden in Hamburg. Ein Spiel, das die Deutschen verloren, so weit ich mich erinnere. Das Spiel selbst war mir eigentlich egal. Mein Held leibhaftig. Damals waren Fußballer ja noch nicht so präsent wie heute: Keine Twitter- oder Facebook-Einträge, wenige Seitenlinien-Interviews.

Gerd Müller (li.) und Paul Breitner lächeln rauchend in die Kamera(Foto: dpa/Bildfunk)
Gerd Müller (l.) und Teamkollege Paul Breitner nach dem WM-Sieg 1974Bild: picture-alliance/dpa/UPI

Müller war ja sowieso nicht so der Rhetoriker, musste er auch nicht. Aber dann gab es den WM-Triumph in München 1974 (Siegtor von Müller aus der Drehung, wie nur er das konnte) und danach den Eklat beim Bankett. Die Spielerfrauen waren nicht eingeladen, die der Funktionäre aber sehr wohl. Paul Breitner und mein Held Müller boykottierten die Veranstaltung daraufhin. Es gibt ein Bild, das beide mit Zigarren zeigt, vor dem Saal. Und wieder war da diese Unbesiegbarkeit in Müllers Blick.

Später ist es ihm nicht mehr so gut gegangen. Er ging in die USA und machte mit einem Restaurant in Florida Konkurs. Er trank zuviel. Der FC Bayern holte ihn von dort zurück und stützte ihn, wie sie das in München mit all den alten Helden tun. Vor ein paar Jahren war Gerd dann in einem Werbespot zu sehen, für Müller-Milch, mit Thomas Müller, der jung und hibbelig Witze macht, und Gerd wirkt alt und müde, aber er ist immer noch erkennbar Gerd Müller. Dann gab es die Meldung, dass er verwirrt aus einem Trainingslager der Bayern in Italien abgereist war und im Zug nach Deutschland saß, ohne genau zu wissen, wo er da war. Unendlich traurig fand ich das.

Jens Thurau (Foto: DW)
Jens Thurau ist DW-Korrespondent in Berlin

Letzte Woche soll Franz Roth aus der alten Bayern-Starmannschaft bei ihm im Altenheim gewesen sein, sagt die "Bild". Müller, heißt es, hat kaum gesprochen, aber "Hallo Bulle" hat er gesagt. Immerhin. Roth heißt ja auch in Wahrheit Bulle und nicht Franz.

Das hat mich nochmal angerührt. Aber ich will auf keinen Fall ein Foto sehen von ihm im Altenheim. Ich will das Bild bewahren im grünen Trikot, mit den weit ausgebreiteten Armen. Von dem Typ, der mehr Tore für Deutschland geschossen hat, als er Länderspiele gemacht hat. Und der so unfassbar selbstbewusst aussah dabei.