Georgiens umstrittenes NGO-Gesetz: Russland als Vorbild?
2. Mai 2024Rusudan Djakeli hat in den vergangenen Tagen so gut wie keinen Abend zu Hause verbracht. Stattdessen steht sie fast jeden Abend auf der Straße, meist vor dem Parlament in Georgiens Hauptstadt Tiflis. Vor dem Gebäude im Zuckerbäckerstil an der belebten Rustaveli Avenue protestiert sie gegen die Regierung, zusammen mit tausenden, manchmal zehntausenden anderen.
"Ich bin hier, um mein Land zu verteidigen", sagt die 30-Jährige, denn ihre Heimat sieht sie in großer Gefahr. Grund dafür ist ein Gesetz, das die Regierung gerade durchs Parlament bringen will. Es sieht vor, dass sich Nichtregierungsorganisationen und Medien, die zu mehr als 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, künftig registrieren müssen. "Russland greift uns an", sagt Rusudan, "nicht direkt, aber indirekt". Damit ist sie nicht allein: Auf vielen Bannern ist zu lesen: "No to Russian law" - "Nein zum russischen Gesetz". Wie aber kommen die Demonstranten auf diesen Vergleich, den die georgische Regierung zurückweist?
Russlands Gesetz über "ausländische Agenten"
Viele Georgier glauben, dass die Regierungspartei "Georgischer Traum" vom Kreml beeinflusst wird. Ihr Gründer und Ehrenvorsitzender Bidsina Iwanischwilli, der sein Milliarden-Vermögen in den 90er Jahren in Russland erwirtschaftet hat, verbreitete erst Anfang der Woche Verschwörungstheorien, die viele an die Rhetorik des russischen Präsidenten erinnern: Von einer "globalen Kriegspartei" war da die Rede, die "entscheidenden Einfluss in der NATO und in der EU habe".
Die Demonstranten sehen in dem Vorhaben außerdem Parallelen zu einem Gesetz, das 2012 in Russland verabschiedet wurde. "Sie wollen unserer Rechtssystem an das Moskaus anpassen, dieser Entwurf ist eine Kopie des russischen Gesetzes", sagt Rusudan Djakeli.
Tatsächlich hatte das russische Parlament damals bestimmt, dass sich Organisationen als "ausländische Agenten" bezeichnen müssen, sobald sie Geld aus dem Ausland erhalten. Der Entwurf der georgischen Regierung sieht eine Registrierung als "Organisation, die ausländische Interessen vertritt" vor, sofern mehr als 20 Prozent des Budgets aus anderen Ländern kommen.
"Das russische Gesetz war eine Stufe schärfer", sagt Marcel Röthig, Leiter des Regionalbüros Südkaukasus der Friedrich-Ebert-Stiftung, "aber beide Gesetze haben einen ähnlichen, verleumderischen Charakter." Das Argument der Regierung, dass mit der neuen Regelung mehr Transparenz geschaffen werde, weist Röthig zurück: "Eine Umweltschutzorganisation, die sich für Naturschutz einsetzt und dafür eine Zuwendung von einem ausländischen Partner bekommt, soll auf einmal ausländische Interessen vertreten. Oder ein freies Medium, das niemandes Interessen vertritt, wird dann auf einmal als Interessenvertreter ausländischer Mächte bezeichnet."
Gesetz könnte nur der erste Schritt sein
Dabei ist die Medienlandschaft in Georgien schon jetzt gespalten, in Sender, die regierungsnah sind und Steuergelder bekommen einerseits und in unabhängige, oft klamme Sender, andererseits. Wer frei berichtet, hat kaum Einnahmen durch Werbung und ist deshalb auf Geldgeber beispielsweise aus der EU oder den USA angewiesen. Ohne diese finanzielle Unterstützung müssten mehrere kritische Medien in Georgien ihre Arbeit wohl aufgeben.
Viele Demonstranten befürchten außerdem, dass die Regierung versuchen könnte, NGOs zu diskreditieren, die sich für Rechte für Minderheiten, etwa der LGBTQ-Community, einsetzen. Schon mehrfach haben Abgeordnete des "Georgischen Traums" von "LGBTQ-Propaganda" gesprochen, vor der man vor allem Jugendliche schützen müsse. Es gibt auch Befürchtungen, dass das Gesetz nur ein erster Schritt ist – und die Regierung im Laufe der Zeit die Maßnahmen immer weiter verschärft, so wie es der Kreml getan hat. Mittlerweile hat Moskau zahlreiche NGOs aufgelöst, etwa die Menschenrechtsorganisation "Memorial".
"In Russland haben wir das erlebt: Diese Gesetze waren damals der Anfang der Abwicklung der russischen Zivilgesellschaft", sagt Marcel Röthig. "Man vergiftet damit die Atmosphäre, denn Menschen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren, haben möglicherweise Angst, stigmatisiert zu werden."
80 Prozent der Georgier wollen in die EU
Einen wesentlichen Unterschied aber gibt es zwischen der Situation in Georgien heute und der in Russland damals: Die Kaukasus-Republik hat die Perspektive, der EU beizutreten. Im vergangenen Jahr hat Georgien den Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Das Gesetz würde konkrete Verhandlungen zur Aufnahme wohl vorerst unmöglich machen, doch in Umfragen sagen mehr als 80 Prozent der Georgier, dass sie den Beitritt wollen. Deshalb gehen Menschen wie Rusudan Djakeli jeden Abend auf die Straße. Und sie plant, das weiterhin zu tun – bis das Gesetz vom Tisch ist.