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Generaloberst Iwaschow: Die Liquidierung der russischen Stützpunkte im Ausland ist ein strategischer Fehler

20. Dezember 2001

– "Wir segeln im Fahrwasser der amerikanischen und westlichen Außenpolitik"

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Moskau, 18.12.2001, NESAWISSIMAJA GASETA, russ., Wladimir Georgiejew

Der Leiter der Hauptabteilung internationale militärische Zusammenarbeit des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation, Generaloberst Leonid Iwaschow, war noch vor einigen Monaten eine der einflussreichsten Personen in der höchsten Militärbehörde. Nach der Auswechslung der Leitung des Verteidigungsministeriums war er jedoch seines Amtes enthoben worden und quittiert jetzt seinen Dienst. Iwaschow will sich wissenschaftlicher Tätigkeit widmen. Er ist derzeit Vizepräsident der Akademie für geopolitische Probleme. In unserem Gespräch mit Leonid Iwaschow geht es um einige Ergebnisse der Militärreform und der Militärpolitik sowie die Geopolitik.

Frage:

Leonid Grigorjewitsch, lange Zeit waren Sie einer der wichtigsten Zeugen und Teilnehmer des Aufbaus einer neuen Armee in Russland. Sie erarbeiteten, formierten und realisierten die wichtigsten Richtungen der Militärpolitik sowie der militärisch-diplomatischen Tätigkeit. Wie sehen die wichtigsten Ergebnisse dieser Tätigkeit aus?

Antwort:

Was die Ergebnisse der Militärreform angeht, so sehen diese meiner Meinung nach in vielem traurig aus. Eine der Hauptziele des Militäraufbaus ist die Erhöhung der Effizienz der Streitkräfte, die Anpassung ihrer Struktur, des Kampfbestandes und der technischen Ausrüstung an den Charakter und das Ausmaß der militärischen Gefahren. Das ist leider nicht gelungen. Seit fast zehn Jahren sprechen wir von der Reformierung der Streitkräfte, machen jedoch nur irgendwelche seltsamen Versuche. Im Jahr 1997 nahm ich an den Sitzungen aller Militärkollegien teil, die die Hauptrichtungen des Militäraufbaus in Russland erörterten. Damals hielt man es unter anderem für zweckmäßig, das Oberkommando der Landestreitkräfte abzuschaffen, die Weltraumstreitkräfte und die Raketenabwehr mit den Raketentruppen strategischer Bestimmung zusammenzulegen. Es sind einige Jahre vergangen, was sehen wir heute? All das wird wieder hergestellt – ein Oberkommando der Landestreitkräfte ist gebildet, die Weltraumstreitkräfte und die Raketenabwehr sind als Truppengattung wieder eingeführt worden.

In dieser Zeit haben wir jedoch Militärpersonal verloren, Tausende Offiziersfamilien wurden sozusagen über Bord geworfen. Weil die Strategie der Militärreform nicht durchdacht worden war, haben allein in den letzten Jahren 100 000 junge Offiziere ihren Dienst quittiert, da sie keine klare und deutliche Perspektive vor Augen hatten. (...)

Frage:

Sie quittieren Ihren Dienst bei der Armee, obwohl Sie das vom Gesetz dafür vorgesehene Alter noch gar nicht erreicht haben. Haben sich die Beziehungen zur neuen militärischen Führung des Landes nicht so gut gestaltet?

Antwort:

Ich bin immer noch Generaloberst. Ich weiß, was Einzelleitung in der Armee bedeutet. Deshalb möchte ich niemanden persönlich kritisieren. Es gibt jedoch Dinge, über die meiner Meinung nach gesprochen werden muss. In den letzten zwei Jahren ist alles getan worden, um aus dem Verteidigungsministerium hohe Militärs zu verdrängen, die einen eigenen Standpunkt vertreten, was die Reformierung der Armee angeht. Dieser Standpunkt unterschied sich vom Standpunkt des Generalstabs, diese Personen konnten ihre Meinung jedoch vertreten und haben sich in keinerlei Intrigen hineinziehen lassen. Heute wird deren Position durch die Praxis bekräftigt, sie selbst sind jedoch nicht mehr im Amt.

Frage:

Ist das Vorgehen des Generalstabs tatsächlich so destruktiv?

Antwort:

Das kann unterschiedlich bewertet werden. Das Wichtigste ist meiner Ansicht nach jedoch, dass der Generalstab nicht konsequent bei der Ausarbeitung und Realisierung strategischer Richtungen des Armeeaufbaus sowie der Festlegung außenpolitischer Prioritäten und der militärischen Kooperation war. So werden jetzt zum Beispiel unsere Stützpunkte in Kuba liquidiert. Aber noch vor einem Jahr waren UNSERE Objekte dort für uns vorrangig.

Wir planen die aktive Präsenz Russlands im Weltozean, vernichten jedoch auch den Militärstützpunkt in Cam Ranh. Bis 2004 müssen wir für die Pacht keine Kopeke zahlen. Ja, wir haben es jetzt schwer, aber der Stützpunkt könnte vorübergehend geschlossen werden. (...)

Frage:

Wie bewerten Sie die Rolle Russlands bei der Beilegung des Konfliktes in Afghanistan? Verliert Moskau hier seinen Einfluss?

Antwort:

Leider fehlt in Russland die geopolitische Doktrin, es gibt kein klares Modell des geopolitischen Vorgehens. Das macht unsere Außenpolitik inkonsequent, was wiederum dazu führt, dass unsere Außenpolitik sich einer anderen - der amerikanischen, der westlichen usw. – unterordnet. Wir segeln praktisch im Fahrwasser dieser Politik. Obwohl das Potential Russlands heute riesig ist. Um so mehr, wenn wir gemeinsam mit der Ukraine und anderen GUS-Staaten vorgehen würden. Auch mit China, Iran, der islamischen Welt. Würden wir auf der strategischen zentralasiatischen Richtung gemeinsam vorgehen, hätten wir ganz andere Ergebnisse vorzuweisen. Wir haben jedoch, was wir haben. Heute fliegen unsere Flugzeuge humanitäre Hilfe nach Bagram, um Erlaubnis müssen wir jedoch die Amerikaner bitten. (...)

Frage:

Hat Russland seinen geopolitischen Einfluss in dieser Region verloren?

Antwort:

Leider verliert es ihn. Aber wir haben noch eine Chance, diesen Einfluss beizubehalten oder zu verstärken. Wichtig ist meiner Meinung nach, richtig die Linie des langfristigen geopolitischen Vorgehens in dieser Region festzulegen. Dabei darf nicht vergessen werden, welch große Rolle nicht nur die GUS-Staaten, sondern auch China, Indien und der Iran für die Russische Föderation in dieser Region spielen. Nicht von Ungefähr hat sich vor nicht einmal einem Jahr die "Schanghaier Fünf" (Russland, China, Tadschikistan, Kirgisistan, Kasachstan – MD) gebildet, die eine gute Perspektive hat, was die Formierung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Asien angeht. (lr)