1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Handel mit Hindernissen

Gero Schließ, Washington15. April 2013

Für Angela Merkel ist es das "mit Abstand wichtigste Projekt der Zukunft" in der Handelspolitik: eine gemeinsame amerikanisch-europäische Freihandelszone. Damit würde die bedeutendste Wirtschaftszone entstehen.

https://p.dw.com/p/18F5U
Fertige Flaggen (EU, USA) in der Fahnenfabrik Dommer in Stuttgart, aufgenommen am 18.11.2004. Foto: Jürgen Effner +++(c) dpa - Report+++
Bild: picture-alliance/dpa

Auch zwei Monate nach Ankündigung des Vorhabens durch US-Präsident Barack Obama, sind die Verhandlungen noch nicht aufgenommen worden. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und manchmal bekommt dieser Teufel Flügel und verhindert in Gestalt eines in Chlor getauchten Hähnchens den Abschluss eines substantiellen Handelsabkommens. So geschehen vor gut sechs Jahren, als zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten die sogenannte "Transatlantische Wirtschaftspartnerschaft" auf den Weg gebracht werden sollte. Damals stolperten die unter Druck einer starken Agrarlobby stehenden Unterhändler nicht zuletzt über Einzelfragen wie diese.

Auch heute sind es nicht wenige Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen, bevor das Europäische Parlament und der amerikanische Kongress den Text eines neuen Handelsabkommens zur Zustimmung vorgelegt bekommen. Schwierige Gespräche werden bei den Themen Agrarprodukte, Gentechnik, dem Finanzsektor, den Medizinprodukten und nicht zuletzt im Bereich der kulturellen Förderpolitik erwartet. Die französische Regierung hat sogar damit gedroht, den Start der Verhandlungen zu blockieren, sollten die Interessen ihrer Landwirte und der Kulturindustrie nicht beachtet werden.

Große Chance?

Aber anders als bei früheren Anläufen scheint diesmal den transatlantischen Partnern keine Wahl zu bleiben - vielleicht ist es sogar die letzte große Chance für beide Seiten. Die Welt hat sich geändert und die Zeit arbeitet gegen den Westen, wie Charles Mallory vom Aspen Institute hervorhebt.

"Der relative Einfluss der USA und Deutschlands in der Welt nimmt ständig ab zugunsten eines Zuwachses an wirtschaftlicher und politischer Macht von Ländern wie Indien, Brasilien und China. Wir haben ein starkes Interesse an einem gemeinsamen Wirtschaftsraum, weil er unsere Machtbasis angesichts eines veränderten Welt erhält."

Dies sahen auch die Abgeordneten des europäischen Parlaments so, die jetzt in Washington waren, um bei ihren amerikanischen Gesprächspartnern für die Freihandelszone zu werben. Anders als bei den Verhandlungen zum Urheberechtsabkommen Acta, das vom europäischen Parlament in letzter Minute zurückgewiesen wurde, haben sich Europas Parlamentarier diesmal frühzeitig in den Verhandlungsprozess eingebracht. Eine Abstimmung im Parlament im Frühjahr diesen Jahres brachte mehr als 80 Prozent Zustimmung. Christian Ehler, im europäischen Parlament auf die Beziehungen zu den USA spezialisiert, versuchte seine Gesprächspartner im US-Kongress denn auch für das große Potential dieses Projektes zu begeistern.

Zwei Menschen am Rednerpult JOHN THYS/AFP/Getty Images)
Für die EU geht es um mehr als ein reines HandelsabkommenBild: John Thys/AFP/Getty Images

Mehr als ein Handelsabkommen

"Die Botschaft die wir mitgebracht haben ist, dass es sich nicht um ein klassisches Handelsabkommen handelt, sondern dass es wirklich darum geht, inwieweit man regulative Dinge zwischen diesen beiden großen Märkten ausräumt oder zusammen macht. Wir schaffen hier nicht nur ein Handelsabkommen, sondern einen Binnenmarkt, und das reicht politisch weit über ein Handelsabkommen hinaus," so Ehler gegenüber der DW.

Die Zahlen, die von der Europäischen Kommission im März publiziert wurden, verbreiten da ihren eigenen Zauber. Sie sind so überzeugend, dass sich ihnen kaum ein verantwortlicher Politiker dies- und jenseits des Atlantiks entziehen kann. Ein paar Beispiele: Das Investitionsvolumen der USA in Europa ist dreimal höher als das der Amerikaner in Asien. Noch krasser sind die Relationen, blickt man von Europa über den Atlantik: In den USA investiert die EU achtmal soviel wie in Indien und China zusammen. Auch wenn hier nicht die aktuellen Wachstumsraten genannt werden, ist dies ein starkes Argument für ein engeres Zusammengehen beider Wirtschaftsräume

Gemeinsame globale Interessen

Gemeinsame Sicherheitsstandards bei Autos etwa oder elektronischen Geräten sollen den Warenaustausch ankurbeln. Das gleiche gilt für Lebensmittel - ob sie nun genbehandelt sind oder mit Chlor frischgehalten werden. Die Harmonisierung aller Standards - das klingt wie eine zu große Herausforderung. Möglicherweise wird es klüger sein, sich auf eine Rahmenvereinbarung zu beschränken und Einzelheiten Schritt für Schritt auszuhandeln. Dass man darüber hinaus bei den Amerikanern noch grundsätzliche Vorbehalte ausräumen muss, erleichtert die Aufgabe nicht gerade.

Container im Hafen
Bis die Freihandelszone reibungslos funktioniert, wird noch einige Zeit vergehenBild: HHLA

"Viele Amerikaner, insbesondere konservative Amerikaner, sorgen sich darum, dass die Freihandelszone als ein Vehikel genutzt wird, das europäische Sozialsystem im amerikanischen Markt zu verankern. Ähnliche Befürchtungen, wie sie ja auch die Briten angesichts des sozialen Gesichts des europäischen Projektes haben," so Charles Mallory.

Mitte des Jahres wollen die Parlamentarier in Brüssel und Washington den Startschuss für die Aufnahme der offiziellen Verhandlungen geben. Dann wird sich zeigen, wie stark der politische Wille auf beiden Seiten des Atlantiks ausgeprägt ist. Die Dauer der Verhandlungen ist offen. Man spricht von ein bis zwei Jahren.

Doch eines ist klar: Je mehr die Wirtschaft von den Vorteilen eines gemeinsamen Marktes überzeugt ist, je höher die prognostizierten Wachstumsraten sind, umso leichter lassen sich Einzelinteressen und Widerstände überwinden. Und auch das Chlor-Hähnchen dürfte dann dem künftig weltweit größten Wirtschaftsraum nicht mehr im Wege stehen.