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Geistig Behinderte auf Schatzsuche

Daphne Antachopolous28. Januar 2004

Partnerschaft und Sexualität zwischen geistig behinderten Menschen ist für viele ein Tabuthema. Der Psychologe Bernd Zemella setzt sich darüber hinweg und hilft bei der Suche nach dem "Schatz".

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Recht auf Partnerschaft für alleBild: AP

Geistig Behinderte werden von der Gesellschaft eher wie Kinder wahrgenommen - unbedarft und asexuell. Dabei ist der Wunsch nach Partnerschaft ein Menschenrecht, glaubt der Psychologe Bernd Zemella. Er hat die erste Partnerschaftsvermittlung für geistig Behinderte gegründet - die "Schatzkiste". In Deutschland zum Beispiel sind mehr als 300.000 Menschen geistig behindert. Je nach Grad der Behinderung leben sie in Wohngruppen und sind in Behindertenwerkstätten beschäftigt. Andere arbeiten und wohnen ganz selbstständig und brauchen nur ambulante Hilfe.

In der Evangelischen Stiftung Alsterdorf bei Hamburg, mit 1.200 Bewohnern die größte Einrichtung für geistig behinderte Menschen in Norddeutschland, ist Bernd Zemellas Partnerschaftsvermittlung "Schatzkiste" bekannt wie ein bunter Hund. 324 Klienten hat der Psychologe seit 1998 in seine Kartei aufgenommen, die meisten aus Alsterdorf. 120 von ihnen sind momentan aktiv auf "Schatzsuche" nach dem richtigen Partner.

Recht auf Partnerschaft muss gelernt werden

Viele der "Schatzsucher" hatten noch nie vorher eine Beziehung. Für manche ist der Alltag so schwer zu bewältigen, dass keine Muße für die Partnersuche bleibt. Andere müssen erst lernen, dass auch sie das Recht auf Sexualität und Partnerschaft haben. In der Familie blieb das Thema oft ein Tabu. Oft machen erst die Betreuer den Vorschlag, den oder die "Richtige" über die "Schatzsuche" zu finden, und begleiten ihre Schützlinge auch zur Partnervermittlung.

Nur wenige rufen selbst bei Bernd Zemella an, um ihre Partnersuche in Auftrag zu geben. Die Auswahlkriterien für den zukünftigen "Schatz" sind die gleichen wie in jeder andere Partnervermittlung: Aussehen, Hobbys und besondere Interessen. Außerdem sei der Grad der Behinderung wichtig, so Bernd Zemella: "Diejenigen, die eine leichte geistige Einschränkung haben, die suchen natürlich auch jemanden, mit dem sie etwas unternehmen können."

Erste Erfolge

Hochzeit mit Ehering
Bild: DPA

Meist stellt sich schon beim ersten Treffen heraus, ob es zwischen den Betroffen stimmt. So manches Paar verließ schon Hand in Hand das Büro des Psychologen. Zu diesen Treffen kommen oft auch Eltern oder Betreuer. 40 Paare haben sich bis jetzt über die "Schatzkiste" gefunden, zwei von ihnen haben sogar geheiratet. Andere wohnen mittlerweile zusammen. Wieder andere sehen ihren "Schatz" nur ein paar Mal in der Woche, da sie aufgrund ihrer Behinderung in einer Wohngruppe betreut werden müssen.

Gefahr Kinderwunsch?

Nicht immer erfahren die Partnersuchenden Unterstützung von Familie und Freunden. Bernd Zemella machte die Erfahrung, dass viele Eltern Angst davor haben, dass mit einer Beziehung der Wunsch nach Kindern komme. Die Eltern befürchten oft, dass das Kind ebenfalls geistig behindert sein könnte. Früher wurden geistig behinderte Mädchen deshalb oft sterilisiert. Heute ist diese rechtliche Grauzone geklärt: Minderjährige dürfen nicht sterilisiert werden, volljährige Frauen müssen einwilligen. Falls sie nicht einwilligungsfähig sind, muss der Betreuer entscheiden.

Der Wunsch nach Kindern sei allerdings bisher die Ausnahme. Von seinen Paaren denken erst zwei an Nachwuchs. In diesem Fall kann die junge Familie in einer speziellen Einrichtung wohnen und betreut werden. Bei schweren Behinderungen der Eltern allerdings müsste das Kind in eine Pflegefamilie.

Daher berät Bernd Zemella nicht nur die Partnersuchenden, sondern auch ihre Eltern. Er weiß, dass eine Partnerschaft problematisch werden kann und hat Verständnis für die Eltern, trotzdem: "Man kann und sollte darüber offen reden, statt einfach kategorisch zu sagen: Nein, das ist nichts für dich." Das gilt allgemein für Partnerschaft und Sexualität unter geistig Behinderten.

Noch ist "Schatzkiste" die einzige Partnervermittlung für geistig behinderte Menschen in Deutschland. Ein erster Schritt auf einem langen Weg, hofft Bernd Zemella.