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Gefängnis-Elend macht Pause für Franziskus

10. Juli 2015

5000 Menschen sitzen in Palmasola ein - dem berüchtigsten Gefängnis Boliviens. Der Papst spendete den Häftlingen Trost und nahm das Personal ins Gebet - wohlwissend, dass der brutale Alltag schneller denn je zurückkehrt.

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Papst Franziskus streichelt ein kleines Kind, das von einem Sicherheitsbeamten des Gefängnisses gehalten wird. (Foto: V. Pinto/AFP/Getty Images)
Papst Franziskus streichelt ein kleines Kind, das von einem Sicherheitsbeamten des Gefängnisses gehalten wird.Bild: V. Pinto/AFP/Getty Images

Für den Papst haben sie eine heile Welt hergerichtet: Der Innenhof ist bestuhlt, es sieht aus wie bei einer normalen Messe. Der Unterschied: Auf den Stühlen sitzen fast 5000 Häftlinge. Nachdem Franziskus durch das große Eisentor gefahren ist, umarmt er Insassen eines der berüchtigtsten Gefängnisse Boliviens. Und Kinder, die hier mit ihren Eltern leben (müssen). Einen Säugling küsst er auf den Kopf, später liegt ein Kind in seinem Schoß. Der Jesuit nimmt sich viel Zeit.

Ein trüber Ort des Elends

Palmasola. Was sich nach Palmen und Sonnen anhört ist ein trüber Ort des Elends. Einige sprechen von der Hölle auf Erden. Es ist eine riesige, von Mauern umgebene Wellblechsiedlung nahe der größten Stadt Boliviens, Santa Cruz. Bei der Papamobil-Fahrt durch die Gefangenenstadt rennen Häftlinge zu ihm, küssen seine Hand.

Der Besuch setzt auch den linken Präsidenten Evo Morales unter Druck, etwas an diesen Verhältnissen zu ändern. Unter lautem Beifall der Gefangenen nennt es Bischof Jesús Juárez einen "Justizskandal", dass 84 Prozent der Häftlinge in Bolivien ohne Urteil einsitzen. Ein Häftling berichtet aus seinem Leben, Palmasola sei wie "Sodom und Gomorra". Der Papst sendet zwei Botschaften. An die Gefangenen: Leiden und Entbehrung ließen das Herz oft egoistisch werden. "Der Teufel sucht die Gewalt, die Spaltung." Haltet zusammen, helft Euch. Und es gebe die zweite Chance: Haft sei nicht gleich Ausschließung. Die andere Botschaft ist ebenso unmissverständlich. Sie richtet sich an das Gefängnispersonal von Palmasola: Sie hätten die Aufgabe Würde zu verleihen, statt zu erniedrigen, zu demütigen. Sie müssten eine Logik vorleben, "die darauf abzielt, dem Menschen zu helfen".

Vor dem Gefängniseingang präsentiert ein Mann stolz einen lebensgroßen Papst aus Holz und Fotopapier
Vor dem Gefängniseingang präsentiert ein Mann stolz einen lebensgroßen Papst aus Holz und FotopapierBild: picture alliance /AP Photo/R. Abd

Doch der Freitag ist nicht die Realität. Das Leid macht an diesem Tag Pause. Am Tag zuvor sah die Realität aus Sicht von Angehörigen so aus: Daniela Rodríguez steht mit ihrem Sohn Neymar in einer Pfütze vor hohen Mauern. Weil der Papstbesuch vorbereitet wird, dürfen Neymar und seine Mutter nicht hinein. Normalerweise sind Besuche möglich. Gegen Geld. Neymar, benannt nach Brasiliens Fußballstar, hat Geburtstag. Er wird zwei Jahre alt. Nun ist der Papst indirekt schuld, dass er seinen Vater nicht in die Arme schließen kann. Der Vater sitzt wegen versuchtem Mord hinter den Mauern. Daniela (21) verdient meist nur 300 Bolivianos (40 Euro) im Monat, durch den Verkauf von Essen. Ein Besuch kostet sie, je nachdem welcher Polizist Dienst hat, bis zu 30 Bolivianos, daher kann sie nicht oft hier sein. "Die kassieren mich oft mehrfach ab."

Gewalt ist an der Tagesordnung

In Palmasola sind laut offiziellen Angaben 4874 Menschen inhaftiert, davon 339 Frauen - die oft mit ihren kleinen Kindern dort leben. Gewalt ist an der Tagesordnung, die Polizei hält sich weitgehend raus. Es gilt die Regel: Wer Geld hat, dem geht es besser, der kann Handys und Fernseher reinschmuggeln. In einigen Gefängnissen Boliviens müssen hingegen Straßenkinder auf dem Boden schlafen, wo auch schon einmal die Ratten laufen.

Am Eisentor von Palmasola steht am Vortag auch Maria Lara Rojas (50), sie hat drei Taschen mit Sandwiches dabei - die sollen ihre beiden inhaftierten Töchter drinnen verkaufen, um etwas Geld zur Verfügung zu haben. Die Familienverhältnisse sind kompliziert, keine Seltenheit in Bolivien. Die inhaftierte Tochter ist im dritten Monat schwanger, sie sitzt wegen eines geklauten Handys ein. Die andere Tochter, einmal verwickelt in eine Schlägerei, "lebt" seit zwei Jahren mit ihren zwei kleinen Kindern in Palmasola. Etwas euphemistisch steht am Eingangstor: "Centro de Rehabilitación." Irgendwann kann sich Rojas nicht mehr zusammenreißen, schluchzend sagt sie: "Mir fehlen die 800 Bolivianos (knapp 100 Euro), um einen Anwalt zu bezahlen."

In seiner Rede hebt der Papst die wichtige Rolle der Familienangehörigen hervor, die dafür sorgen, dass die Häftlinge nicht dem Vergessen anheimfallen und Kraft spenden. Wird sich in Palmasola durch den Papst was ändern? Eduardo Dorado fährt seit elf Jahren mit dem Taxi nach Palmasola, um Angehörige hierher zu bringen. "Wer Geld hat, ist hier ein König." Es sei ein Hort der Rechtsfreiheit, es gebe Drogen, Alkohol und Prostitution. "Wenn der Papst wieder weg ist, ist alles wieder da: Der Müll, die Gewalt und die Korruption."

sti/SC (afp, dpa)