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Gefangenenaustausch

19. Oktober 2011

Der vor fünf Jahren von der radikalislamischen Hamas verschleppte israelische Soldat Gilad Schalit ist frei, im Austausch für mehr als 1000 palästinensische Häftlinge. Ein Tausch mit Nebenwirkungen, meint Rainer Sollich.

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Themenbild Kommentar (Bild: DW)
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Ist die Freiheit eines israelischen Soldaten eintausend Mal mehr wert als die eines palästinensischen Häftlings? Die Frage ist zynisch, aber der ungleiche Tauschhandel von einem Israeli gegen mehr als 1000 Palästinenser hat eine nicht zu übersehende moralische Dimension. Denn so sehr Israel zurecht wegen seiner Siedlungspolitik am internationalen Pranger steht, so sehr es die Palästinenser drangsaliert und völkerrechtswidrig ihr Land besetzt, so sehr muss man anerkennen, dass dieser Staat seine eigenen jüdischen Bürger schützt und wertschätzt in einem Maße, das ideologisch motivierten Gruppen wie der radikal-islamischen Hamas wohl immer fremd bleiben wird.

Rainer Sollich (Bild: DW)
Rainer Sollich, Leiter des Arabischen Programms der Deutschen WelleBild: DW

Die Freilassung von mehr als 1000 Häftlingen ist aus israelischer Sicht ein fast unerträglich hoher Preis für die Freilassung Gilad Schalits. Darunter befinden sich zwar auch Menschen, die in fragwürdigen Verfahren abgeurteilt wurden. Darunter befinden sich aber ebenso Überzeugungstäter, die sich ohne Skrupel mit der Ermordung israelischer Zivilisten brüsten - und die auf palästinensischer Seite nicht nur von ihren Familienangehörigen wie Helden gefeiert werden. Es spricht deshalb auch für Israel, dass es seinerseits keine gewaltverherrlichenden oder anti-palästinensischen Hassparaden inszeniert, wie man dies von Seiten der Hamas kennt.

Aus humanitärer Sicht ist der Deal ein Anlass zur Freude - den Vermittlern Türkei, Deutschland und Ägypten gebührt höchste Anerkennung. Bezweifelt werden darf aber, dass der Gefangenenaustausch eine neue Chance für den Friedensprozess im Nahen Osten eröffnet, wie es unter anderem der deutsche Außenminister Guido Westerwelle vor Tagen und jetzt auch Gilad Schalit in seiner ersten Stellungnahme in Freiheit formulierte.

Genau der gegenteilige Effekt droht einzutreten: Die Hamas darf sich bei diesem ungleichen Deal als Sieger fühlen. Ihr militanter Kurs wird gestärkt und ermutigt - nicht zuletzt gegenüber den gemäßigteren Kräften um Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. Dieser kann sich gegenüber seinem Volk nicht mit der Freipressung von Gefangenen brüsten, sondern kämpft erfolglos auf internationalem Parkett um die Anerkennung eines Palästinenserstaates an der Seite Israels. Er tut dies friedlich und zählt deswegen zu den Verlieren dieses Deals.

Die Hamas aber weiß jetzt, dass die Entführung eines einzelnen israelischen Soldaten auch künftig ein lohnendes Geschäft für sie sein könnte: Sie gewinnt Kämpfer zurück. Sie gewinnt politisch an Bedeutung. Und sie gewinnt an Popularität. Auch auf israelischer Seite steht zu befürchten, dass der Gefangenendeal keinen Anlass zum Umdenken liefern wird. Zu erwarten ist vielmehr, dass die rechtsgerichtete Regierung unter Benjamin Netanjahu die unmenschliche Blockade des Gazastreifens ebenso konsequent weiter verfolgen wird wie ihre Siedlungspolitik im Westjordanland. Den nötigen Vorwand dafür wird ihr im Zweifelsfall eine gestärkte Hamas liefern.

Autor: Rainer Sollich
Redaktion: Katrin Ogunsade