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Glaube

„Geben, immer nur geben, das ist mein Leben“

26. August 2016

Ein Brunnen schenkt Leben: Pater Gerhard Eberts MSF weiß um den kühlen, wohltuenden Ort und erinnert an Jesus, der am Brunnen in Samarien erklärte, was es braucht, um den Durst nach dem Ewigen zu stillen.

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Bild: Pater Eberts

Während einer Israelreise besuchte ich Nazareth, die Heimatstadt Jesu und dort einen Marienbrunnen. Der Reiseführer hatte uns bereits mit der Information überrascht: „An diesem Brunnen ist der Erzengel Gabriel Maria erschienen.“ Einige Mitreisende widersprachen und beriefen sich auf die Bibel: „Dort stehe nichts von einem Brunnen! Es heißt nur: ‚Der Engel des Herrn wurde nach Nazareth gesandt zu einer Jungfrau‘.“

Wie kommt es, dass die Geschichte der Verkündigung mit einem solchen Brunnen in Verbindung gebracht wird? Erzählt wird diese Geschichte in sogenannten apokryphen Evangelien, die wegen ihres stark legendären Charakters nicht in die Sammlung des Neuen Testaments aufgenommen wurden. Was sagt uns die Legende von der Verkündigung am Brunnen? Am Brunnen trafen sich die Frauen und schöpften nicht nur Wasser, sondern tauschten Wichtigkeiten und Nichtigkeiten aus. Am Brunnen, so sagt uns die Legende, ereignet sich das größte Geschehen der Weltgeschichte: das Kommen des Messias, die Menschwerdung Gottes.

Gott sucht die Gastfreundschaft der Menschen

Brunnen waren seit Urzeiten die Zentren, um die sich nicht nur die Frauen, sondern Familien und Völker versammelten. Am Brunnen entschied sich durch Jahrtausende, ob ein Mensch aufgenommen oder zurückgestoßen wurde, ob man ihm zu trinken gab oder ihn verdursten ließ. Am Brunnen entstand die Tugend der Gastfreundschaft. Die Verkündigung am Brunnen mag Legende sein, aber sie hat tiefe spirituelle Bedeutung. Die Ankündigung der Menschwerdung Gottes am Brunnen sagt, dass Gott die Gastfreundschaft der Menschen sucht.

Wie konkret dieser Wunsch Gottes ist, zeigt sich bei der Begegnung Jesu mit einer Frau am Jakobsbrunnen in Samarien. Das ist keine Legende, sondern eine wichtige Episode im Johannesevangelium (Joh 4,4-26). Die Samariter galten als nicht „koscher“, als nicht gesetzestreu. Darum sprach kein frommer Jude mit ihnen. Jesus durchbricht diese konventionellen, rituellen Schranken. Er spricht nicht nur mit dieser Samariterin, sondern bittet sie sogar um einen Schluck Wasser. Dabei macht er ihr deutlich, dass kein irdisches Wasser den Durst nach dem Ewigen stillen kann. Jesus verspricht: „Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.“ Die Frau am Jakobsbrunnen spürt, dass dieser Jesus in diesem Augenblick ganz persönlich zu ihr als Frau spricht. Seit jeher sind Quellen und Brunnen das Symbol des mütterlichen Schoßes, das Symbol der Fruchtbarkeit. Frauen empfangen und tragen das Leben, so wie die Quellen das Wasser hervorbringen und Brunnen das Wasser auffangen.

Rastplatz für Dürstende und Ausgebrannte

Einen besonderen Platz haben Brunnen in den stillen Innenhöfen der Klöster. Ihre nie nachlassende Freigebigkeit, ihre Kühle und Harmonie steht im Gegensatz zu der lauten Hektik der Straße und der Dürre des Alltags. Nicht von ungefähr erwarten Menschen im Kloster Zeit für Meditation und Stille. Sie suchen lebendiges Wasser, das ihnen eine konsumverwöhnte Zeit nicht bieten kann. Viele Menschen, die in die Klöster kommen, sind nicht nur durstig, sondern ausgebrannt. An einem Brunnen in den Bergen las ich die Inschrift: „Geben, immer nur geben, das ist mein Leben!“ Mancher möchte den Satz abwandeln: „Geben, immer nur geben! Woher soll ich das nehmen?“ So stöhnt jemand, der sich wie ausgepumpt fühlt durch die Pflege der Angehörigen, durch die Sorge für die Familie, oder durch die Schwierigkeit, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Da tut es gut, sich nach einer Wanderung, bei einem Ausflug oder während einer Urlaubsreise einfach zu einem Brunnen zu setzen und das köstliche Wasser zu genießen.

Nur dumm, wenn an einem prachtvollen Brunnen zu lesen ist: „Kein Trinkwasser!“ Alles nur Show! Schön fürs Foto, schlecht für den Dürstenden. Auch das ist ein Spiegelbild unserer Zeit, in der vieles nur Show ist, aber weniges den menschlichen Bedürfnissen entspricht, in der Illusionen vorgegaukelt werden, aber die Quellen versiegen, aus denen die Brunnen unseres Lebens gespeist werden.

Pater Gerhard Eberts MSF altes Format
„Geben, immer nur geben, das ist mein Leben!“Bild: Gerhard Eberts

Hüten wir die Brunnen! Nicht nur Frauen, auch Männer sind gefragt. Vielleicht und hoffentlich entdecken wir dann den, der auch „Fons vitae“ genannt wird, „Quelle des Lebens“. Jesus. Ihn annehmen, aus ihm leben, nach seinen Worten das Leben gestalten, das bedeutet, sein Leben zu einer sprudelnden Quelle, zu einem lebendigen Brunnen zu machen.

Pater Gerhard Eberts ist Missionar von der Heiligen Familie (MSF). Nach seiner Priesterweihe und Journalistenausbildung übernahm er von 1968 bis 2011 die Chefredaktion der Ordenszeitschrift „Sendbote“. Daneben arbeitete er als Redakteur für die Monatszeitschrift Weltbild. Zwischen 1991 und 2000 war er Studienleiter und Dozent beim Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchs (ifp) in München. Heute engagiert sich Pater Eberts als Hochschulseelsorger in der Katholischen Hochschulgemeinde Augsburg (KHG) und gibt Exerzitien.

Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte und Alfred Herrmann