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Politik

Ein Land versinkt in der Polarisierung

DW Sendung Quadriga ES Günther Maihold
Günther Maihold
5. Mai 2021

Auslöser der aktuellen Proteste war eine Steuerreform, die längst zurückgenommen wurde. Doch die eigentliche Probleme Kolumbiens reichen viel tiefer, meint Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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Junge Frau in langem weißem Kleid und Jeansjacke mit erhobenen Armen im Tränengas-Nebel auf einer Straße in Bogota, der Hauptstadt Kolumbiens, am 1. Mai
Vor allem junge Menschen begehren gegen die Regierung Duque in Kolumbien aufBild: Fernando Vergara/AP Photo/picture alliance

Wohl selten hat ein Land so schnell sein internationales Renomée verspielt wie Kolumbien unter der Regierung von Präsident Iván Duque. Nach dem gefeierten Friedensschluss mit den FARC-Rebellen im Jahr 2016 entfernt sich das Land wieder von der Lösung seiner inneren Konflikte: Wiederbewaffnete Guerrilleros, Drogenbanden und die illegale Aneignung von Bodenschätzen vermitteln ein Bild wachsender Gewalt, die für Menschenrechtsverteidiger, Umweltaktivisten oder indigene Anführer oftmals tödlich endet.

Präsident Duque kehrt nun zu alten Rezepten beim Kampf gegen den Kokaanbau zurück: erneut werden die Plantagen mit dem Pflanzengift Glyphosat besprüht. Auf die Zuwanderung von 1,5 Millionen Migranten aus Venezuela, die vor der Unterdrückung und Versorgungskrise im eigenen Land nach Kolumbien flüchteten, hat die Regierung mit einer Politik der offenen Arme reagiert und später den Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge legalisiert. Diese auch vom UN-Generalsekretär als "vorbildliche humanitäre Geste für die Region und die Welt" gefeierte Entscheidung brachte dem Land viel internationale Anerkennung ein, auch wenn sich in Südamerika bisher kaum Nachahmer fanden.

Kein Modus der gewaltfreien Problemlösung

Doch diese Phase gewachsenen Ansehens währte nicht lange. Die heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften nach Ankündigung einer Steuerreform durch Duque werfen erneut dunkle Schatten auf das Bild Kolumbiens - das Land findet keinen Modus der gewaltfreien Klärung für seine Zukunftsfragen.

Filippo Grandi (links) und Ivan Duque (rechts), beide mit Mundschutz, stoßen vor einem Loge des UNHC ihre Ellbogen aneinander als Zeichen der gegenseitigen Sympathie in Pandemie-Zeiten
Filippo Grandi, der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, dankt Ivan Duque für die Aufnahme der venezolanischen FlüchtlingeBild: Luisa Gonzalez/REUTERS

Für Präsident Duque wiederholen sich die Bilder. Was sich in diesen Wochen in vielen Städten des Landes an Gewalt und Gegengewalt im Rahmen des von den Gewerkschaften ausgerufenen nationalen Streiks zuträgt, hat sich in geringerem Ausmaβ bereits im November 2019 vollzogen: Krawalle und Plünderungen, ein massiver Gewalteinsatz der Sicherheitskräfte und danach der Aufruf des Präsidenten zur Gemeinsamkeit und zum Dialog. Doch die damals ausgerufene "gran conversación nacional" verlief im Sand, so wie dies auch jetzt viele Beobachter für die gerade verkündete neue Initiative eines "solidarischen Konsenses" befürchten, nachdem der Präsident seinen Entwurf für eine Steuerreform zurückgezogen und der Finanzminister seinen Rücktritt erklärt hat.

Es gibt keinen Zweifel, dass Kolumbien sich in einer Krise seiner Staatsfinanzen befindet. Die Lasten aus dem Friedensprozess, der Versorgung der Migranten und den Folgen der Pandemie für den Staatshaushalt sind extrem. Indes gelingt es der Regierung Duque nicht, einen belastbaren Dialog mit den gesellschaftlichen Gruppen herzustellen, die Mobilisierung auf den Straβen zu vermeiden und vor der Präsentation des eigenen Gesetzesvorschlages die Opposition zu konsultieren. Nun wird versucht, das Steueraufkommen zeitlich befristet zu erhöhen. 

Eine zerstörerische Polarisierung

Bei den gewaltsamen Protesten der vergangenen Tage geht es indes um mehr als nur die Steuerlast für die Mittelschicht und besonders verletzliche soziale Gruppen. Es steht die Lösung gesellschaftlicher Grundfragen auf der Tagesordnung, die weder die Regierung Duque noch die Mehrheit im Land überhaupt anpacken wollen: Wie kann es gelingen, die Wunden des über 50 Jahre andauernden Bürgerkrieges zu heilen und eine Versöhnung zwischen den feindlichen Lagern herbeizuführen? Wie gelingt der soziale Ausgleich in einer extrem ungleichen Gesellschaft, in der die ökonomische Elite und die landbesitzende Oligarchie breiten Bevölkerungskreisen den Zugang zu Wohlstand verweigern? Wie kann die dominierende Rolle von Polizei und Militär so neu bestimmt werden, dass sie zu der Suche nach Frieden und gewaltfreiem Zusammenleben passt?

Günther Maihold, Stiftung Wissenschaft und Politik
Günther Maihold, Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: DW

Doch niemand arbeitet an der Lösung dieser und weiterer offener Fragen. Politisch ertragreicher ist das immer wieder neue Anschüren der sozialen und politischen Polarisierung im Lande. Erneut blieb es Ex-Präsident Álvaro Uribe vorbehalten, Benzin in die Glut zu schütten: In mehreren Tweets sprach er vom "vandalischen Terrorismus" im Lande, gegen den Soldaten und Polizei auch Waffengewalt einsetzen dürften. Damit setzt er seine etablierte Strategie fort, mit der Begründung einer "Terrorismusgefahr" die dominante Rolle der Sicherheitsorgane als zentralem politischen Instrument des Staates zu festigen.

Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im Mai 2022 werden bereits jetzt Positionen festgeschrieben, auf die Uribe als Königsmacher seines politischen Lagers wieder massiv Einfluss nehmen wird. Es ist absehbar, dass damit das Lagerdenken fortgeführt wird und über das Bemühen für eine gemeinsame Zukunft und ein friedliches Zusammenleben obsiegen dürfte. Damit ist die Lösung der ungeklärten Zukunftsfragen des Landes wieder einmal auf die lange Bank geschoben

Kolumbiens Ex-Präsident Álvaro Uribe mit Mikrophon
Alvaro Uribe, der Mann, der bis heute die Fäden zieht in KolumbienBild: picture-alliance/Getty Images/R. Arboleda

Ausfall als internationaler Gestalter

Die aktuellen inneren Konflikte treffen Kolumbien zu einem Zeitpunkt, an dem es international eine gestalterische Rolle spielen könnte. Turnusgemäβ hat es die Präsidentschaft in der Pazifik-Allianz, der andinen Gemeinschaft und im regionalen Politikforum PROSUR übernommen - eine zeitliche Koinzidenz, die beste Optionen für die Dynamisierung der prekären Prozesse regionaler Integration bieten würde. Nicht zuletzt durch die Pandemie blicken viele Regierungen nach innen und sind wenig geneigt, sich in grenzüberschreitenden Verständigungen zu engagieren. Jedoch könnten gerade auch hier Möglichkeiten liegen, um mit den wirtschaftlichen und sozialen Pandemiefolgen besser fertig werden zu können.

Doch die innere Lage hat Kolumbiens Regierung nun auch die Chance genommen, hier neue Impulse zu setzen und eine auβenpolitische Gestaltungsrolle zu übernehmen. Präsident Duque steht vor einem schwierigen letzten Jahr seiner Amtsführung, die sowohl national wie auch international eher von verpassten Chancen und ungelösten Herausforderungen geprägt ist. Fünf Jahre nach Unterzeichnung des Friedensabkommens steht für Kolumbien dabei viel auf dem Spiel.

 

Prof. Dr. Günther Maihold ist stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Lateinamerika ist sein Arbeits- und Forschungsschwerpunkt.